Rhöndorfer Ausgabe Online
An Oberbürgermeister Dr. Karl Scharnagl
, MünchenLAV NRW R, RWV 0026/1027, Bl. 3-5; Druck: Rudolf Morsey, Vom Kommunalpolitiker zum Kanzler, S. 76-791; Konrad Adenauer. Seine Zeit – sein Werk, S. 132, 134
Sehr verehrter Herr Scharnagl,
Es wird Sie und die übrigen Herren dort, worunter ich vor allem Herrn Schäffer und Hipp rechne, interessieren, über die parteipolitischen Entwicklungen im Westen zu hören.
Nach langen und eingehenden Verhandlungen und Aussprachen ist man an mehreren Orten, so am 19.8.45 in Köln, zur Gründung einer neuen Partei, der Christlich-Demokratischen Partei geschritten. Für Rheinland und Westfalen wird die Gründung am 2.9.45 in Köln bezw. Wattenscheid stattfinden. Mit ganz überwiegender Mehrheit ist allenthalben beschlossen worden, den Namen Zentrum und seine Organisation zu Gunsten der neuen Partei aufzugeben.
Die grundlegenden Prinzipien der neuen Partei sind folgende:
1.) Führung des Staates auf christlicher Grundlage, d.h. nach den Prinzipien, wie sie sich auf der Grundlage des Christentums in einer Jahrhunderte langen Entwicklung in Europa herausgebildet haben.
2.) Demokratie.
3.) Betont fortschrittliche soziale Reform und soziale Arbeit, nicht Sozialismus.
Von protestantischer Seite ist der Plan der Gründung dieser Partei von Anfang an begrüßt und gefördert worden. Das gilt gleichermaßen von demjenigen Teile der Protestanten, der kirchenfrei gerichtet ist, wie von den Angehörigen und Führern der Bekenntniskirche.
Die Kölnischen Protestanten unter Führung des Herrn Superintendenten Encke werden heute Fühlung mit führenden evangelischen Kreisen Süddeutschlands, insbesondere mit Herrn Bischof Dr. Wurm, aufnehmen, um dort auch diese Kreise für die neue Partei zu gewinnen.
Sie zweifeln nicht, daß sie hiermit Erfolg haben werden.
Ich traf vor einiger Zeit den Vorsitzenden des Caritas-Verbandes, Prälat Kreutz, Freiburg, der ebenfalls diese Entwicklung sehr begrüßte und meinte, daß sie in Baden, mit dem übrigens schwer Fühlung zu nehmen ist, ebenfalls durchaus begrüßt werden.
Nun komme ich heute zu Ihnen und den andren Herren in Bayern mit der Bitte, sich dieser Entwicklung anschließen zu wollen. Ich halte sie im Interesse Deutschlands für absolut notwendig. Sie werden dort, wie wir hier, die Erfahrung gemacht haben, daß die Kommunistische Partei, begünstigt durch die allgemeine sehr schlechte Lage, mit ihrer skrupellosen Agitation großen Erfolg hat. Die sozial-demokratische Partei hat zwar noch an einzelnen Stellen führende Leute von früher, die gern die Sozialdemokratie auf ihrer alten Bahn, d.h. getrennt von den Kommunisten, halten möchten. Es scheint aber nicht, als ob das auf die Dauer möglich sein würde. So haben z. Bsp. sowohl in Köln wie in Düsseldorf Sozialdemokraten und Kommunisten eine politische Arbeitsgemeinschaft geschlossen. Dieser parteipolitischen Entwicklung gegenüber würde eine solche christlichdemokratische Partei eine sehr große Bedeutung und einen sehr großen Einfluß haben.
Ich und sehr viele mit mir würden es sehr bedauern, wenn gegenüber einer so starken Verbindung, wie die Sozial-Demokraten und Kommunisten darstellen, die Vertreter der christlichen Grundsätze sich in deren Parteien zersplittern und somit ihre Bedeutung und ihren Einfluß selbst mindern würden.
Alleine eine Zusammenfassung in einer solchen Partei würde gegenüber achristlichen Parteien die Vertreterin des christlichen Prinzips sein, und ich glaube, daß unser Volk nur dann wieder gesunden kann, wenn in ihm das christliche Prinzip wieder herrschen wird. Ich glaube weiter, daß lediglich dadurch ein starker Widerstand gegen die Staatsform und Ideenwelt des Ostens – Rußland – und ein gedankenmäßiger und kultureller und damit auch ein außenpolitischer Anschluß an West-Europa gesichert werden kann.
Was das Programm der Christlichen-Demokratischen Partei angeht, so war man sich darüber einig, daß es unmöglich sei in einer derartig fluktuierenden Zeit wie der gegenwärtigen, ein ins Einzelne gehendes Parteiprogramm aufzustellen. Man läuft sonst Gefahr, daß schon in wenigen Monaten jetzt genau festgelegte Sätze und Forderungen über Bord geworfen werden müßten. Man will deshalb sich bei der Formulierung des Programms darauf beschränken, in der Hauptsache die tragenden Grundgedanken, wie ich sie oben spezifiziert habe, festzulegen. Man glaubt weiter, daß eine außerordentlich große Anziehungskraft die Namen der Unterzeichner eines demnächst zu erlassenden Aufrufs haben würden. Man will deshalb möglichst gute und bekannte Persönlichkeiten aus dem ganzen, nicht von Rußland besetzten Teile Deutschlands zu gewinnen suchen. Wir glauben, daß zu dieser Partei große Kreise kommen werden, die nicht dem Zentrum angehört haben, im Laufe der Entwicklung auch rechtsgerichtete Teile der heutigen Sozialdemokratie.
Gegenüber Strömungen, die die frühere Bayerische Volkspartei beibehalten wollen, kann man m.E. mit Recht sagen, daß jede Zersplitterung der Anhänger des christlichen Gedankens seine empfindliche Schwächung bedeuten würde.
Falls aus den Verhältnissen Bayerns heraus eine dort entstehende Bayerische Landesgruppe für sich einige mit dem übrigen Inhalt des noch genauer festzustellenden Parteiprogramms nicht in Widerspruch stehende besondere Punkte wünscht, so würde dem m.E. nichts entgegenstehen. Man muß natürlich immer darauf bedacht sein, daß die Einheit der Partei und die Geschlossenheit ihrer Führung nicht darunter leiden darf.
Ich bitte Sie und die anderen Herren, immer wieder bei Ihren Überlegungen sich zu vergegenwärtigen, daß allein diese geplante Zusammenfassung aller auf christlicher und demokratischer Grundlage stehenden Kräfte uns vor aus dem Osten drohenden Gefahren schützen kann.
Es wird Sie interessieren zu hören, daß diejenigen Bischöfe, die unlängst in Werl in Westfalen2 versammelt waren, sich auf dafür ausgesprochen haben, Namen [und] Organisation des Zentrums zu Gunsten einer neu zu gründenden Partei fallen zu lassen3.
Ich habe nichts dagegen, wenn Sie von diesen meinen Ausführungen in Ihnen geeignet erscheinender Weise vertraulich Gebrauch machen. Ich würde mich ganz außerordentlich freuen, wenn wir von dort her möglichst bald ein zustimmendes Echo hören und dann Herren von Ihnen und uns in persönlichen Kontakt treten könnten. Prälat Dr. Müller-Hohenlind vom Caritas-Verband wird Anfang September, nach 5.9., bei Ihnen vorsprechen. Vielleicht ist es Ihnen möglich, ihm eine Antwort mitzugeben.
Seien Sie herzlichst gegrüßt von Ihrem ergebenen
Dr. Adenauer
Oberbürgermeister
Morsey bewertet diesen »massiven Werbebrief« (S. 38) als »Schlüsseldokument des kommenden Parteiführers. (S. 44). Dies wird bestätigt durch die an dieses Schreiben anknüpfende Diskussion; vgl. Ernst Deuerlein, CDU/CSU, S. 48, 57; Wolfgang Jäger, Adenauers Einwirkung auf die programmatische Entwicklung der CDU 1945-1949 in der Frage der Wirtschaftsordnung, in: Konrad Adenauer und seine Zeit Bd. 2, S. 438; Franz Josef Strauß, Konrad Adenauer und sein Werk, ebd. Bd. 1, S. 85; Johann B. Gradl, Adenauer und Berlin, ebd., S. 348; Detlev Hüwel, Karl Arnold, S. 67.
Zur Konferenz der Bischöfe in Werl ein Hinweis bei Hans Georg Wieck, Die Entstehung, S. 76. Mit Sicherheit kann für diesen Zeitraum nur »das Konveniat der Bischöfe der Kölner und der Paderborner Kirchenkonferenz in Werl i. W. vom 4.-6. Juni 1945« nachgewiesen werden; hierzu – ohne direkten parteipolitischen Bezug – die Niederschrift des Erzbischofs von Paderborn, Lorenz Jaeger, vom 24.6.1945 in: Bistumsarchiv Münster, Bischöfliches Sekretariat, Bischöfe, A 0-63).
Bedenken gegen die »Neuaufrichtung des Zentrums, namentlich auch des Namens« waren bereits bei einer »Zusammenkunft rheinischer Bischöfe in Koblenz am 15.5.1945« geäußert worden; vgl. den Abdruck des hierzu vorliegenden Berichts bei Ludwig Volk (Bearb.), Akten Kardinal Michael von Faulhabers Bd. II: 1935-1945, Mainz 1978, S. 1057.