Rhöndorfer Ausgabe Online

25. Februar 1946 (Rhöndorf)

An Fritz Graf Westerholt

, Arenfels bei Hönningen/Rhein

StBKAH 08.53


Sehr geehrter Herr Graf!

Herr Dr. Scharmitzel, Köln, übergab mir Ihren an ihn gerichteten Brief vom 22.1.461. Ich bin mit vielen Ihrer Ausführungen durchaus einverstanden, insbesondere was die sogenannte Bodenreform angeht. Ich füge Ihnen einen Auszug aus der »Times« bei, in dem hervorgehoben wird, daß unsere Landwirtschaft in vielfacher Beziehung rückständig ist. Das Gleiche war mir übrigens schon vor 1933 von dem damaligen Präsidenten der deutschen Landwirtschaftsgesellschaft, dessen Namen mir entfallen ist, erklärt worden. Nicht gehe ich einig mit Ihnen in Ihrer Ablehnung der Gartenstädte in den Außenbezirken der Großstädte. Es handelt sich hier um eine Frage von größter ethischer Bedeutung für die Großstädte. Sie müssen entgiftet werden. Daran hat auch das Land ein sehr großes Interesse, weil das Gift der Großstadt auf die Landbevölkerung unweigerlich übergreift2. Die Forderungen, die in Godesberg laut geworden sind, würde ich nicht so tragisch nehmen3. Die Vorträge dort waren vielleicht nicht genügend vorbereitet.
Was die Sanierung des Staates angeht, so kann an eine Sanierung nicht herangegangen werden, ehe die staatlichen Grundlagen der Zukunft geschaffen werden. Deren Schaffung liegt aber vollständig in den Händen der Alliierten.

Sie haben durchaus Recht, wenn Sie betonen, daß Sachverständige gehört werden müssen. Aber Sie werden mit mir darin übereinstimmen, daß die Sachverständigen der verschiedenen Wirtschaftszweige naturgemäß in entscheidenden Dingen in starkem Widerspruch miteinander stehen und daß der Ausgleich dann erfolgen muß durch Männer, die nicht zu stark durch ihre Betätigung in einem Wirtschaftszweig gebunden sind. Ich erblicke einen der wesentlichsten Fehler der Jahre von 18-33 darin, daß sich damals viele Männer vom öffentlichen Leben zurückgehalten haben. Die Teilnahme am öffentlichen Leben ist alles andere als eine Freude, aber sie ist notwendig. Es würde mich sehr freuen, wenn das in Zukunft anders wird. Vielleicht haben wir Gelegenheit, uns in absehbarer Zeit einmal über diese und andere Probleme auszutauschen.

Mit den besten Empfehlungen
Ihr sehr ergebener

 


  1. ^

    Mit diesem Schreiben ebenfalls an Adenauer weitergeleitet:
    Abschrift eines Westerholt-Briefes an den Fürsten Salm-Reifferscheidt, Alfter bei Bonn, vom 21.2.1946 sowie ein Exposé von Kuno Freiherr von Geyr, Arenfels, zur Bodenreform vom 22.2.1946.
    In Anlehnung an dieses Material hatte Westerholt (1877-1951) davor gewarnt, mit einer unsachgemäß durchgeführten Bodenreform »organisch gewachsene Betriebseinheiten zu zerstören«. Eine weitere, von Adenauer mit Ausrufungszeichen am Rande hervorgehobene Briefpassage lautet: »Wenn wir den Kern der verbombten Städte nicht wieder mit Hochhäusern anfüllen, so entsteht Produktionsminderung. Sie liegt vor, wenn wir zweistöckige Arbeiterhäuser bauen statt vierstöckige, wenn wir Gartenstädte in den Außenbezirken der Großstädte entstehen lassen, wenn die kleineren Gemeinden offene Besiedlung fordern. Sie liegt aber auch vor, wenn wir einem Neusiedler einen Kuhstall bauen, während auf dem benachbarten Gut der Kuhstall zur Hälfte leer steht«.

  2. ^

    Adenauer in seiner am 7.4.1946 gehaltenen Bonner Rede: »Die Zusammenballung großer Menschenmassen auf engstem Raum darf sich unter keinen Umständen wiederholen, und ebenso wenig darf die sich daraus ergebende Wertsteigerung des Grund und Bodens einzelnen zugute kommen. Ich erblicke seit vielen Jahren in dieser verfehlten Boden- und Siedlungspolitik der früheren Zeit eine der Hauptquellen für die Entwurzelung und materialistische Einstellung unseres Volkes. Hier sehe ich eine bodenreformerische Aufgabe größten Ausmaßes von vitalster Bedeutung für die Zukunft unseres Volkes.«

  3. ^

    Einem Westerholt vorliegenden Bericht zufolge, war anlässßlich einer Godesberger CDU-Tagung gefordert worden: »Land … für die Bauern aus dem Osten, für die eigenen nachgeborenen Bauernsöhne, für die heimkehrenden Soldaten, für die in der Industrie überflüssig werdende Bevölkerung, für städtische Randsiedlungen, für Haus- und Gartenbesitzer«.
    Hinweise auf die frühe CDU-Diskussion der Bodenreform und mit ihr verbundener gesellschaftspolitischer Aufgabenstellungen bei Günter J. Trittel, Bodenreform, S. 38-42.