Rhöndorfer Ausgabe Online

28. Juli 1945 (Köln)

An Rechtsanwalt Franke

, Hessisch-Lichtenau

StBKAH 07.01


Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt1!

Leider kann ich Ihnen über Herrn Major Schliebusch2 keine genaue Auskunft geben. Sicher ist folgendes: Er ist, als die Ereignisse sich überstürzten, zusammen mit seinem Sohne aus dem Gefängnis Klingelpütz3 ausgewichen und hat Aufnahme gefunden im Hause des Gartendirektors Giesen in Urfeld Kreis Bonn. Dort ist er an Lungenentzündung erkrankt, aber wieder genesen. Später haben die Amerikaner, als sie das Gebiet besetzten, ihn und seinen Sohn als Kriegsgefangene mitgenommen. Er war zwar aus dem Heeresverband entlassen, aber erst im Dezember 1944. Seitens der Amerikaner wurde eine Entlassung erst anerkannt, wenn sie spätestens zum 1. Juli 1944 erfolgt war. Ich nehme an, er ist in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Bisher hat allerdings seine Frau in Bonn nichts gehört. Das ist weiter nicht auffällig. Sobald ich etwas von seinem Schicksal weiter höre, gebe ich Ihnen Nachricht.

Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr sehr ergebener
(Dr. Adenauer)
Oberbürgermeister


  1. ^

    Ein »stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Reichswirtschaftskammer« – so die Angabe zur eigenen Person im Anschreiben vom 20.7.1945 – mit diesem Namen konnte nicht zweifelsfrei ermittelt werden. Nach Erich Stockhorst (Fünftausend Köpfe. Wer war was im Dritten Reich, S. 191) handelt es sich bei dem Adressaten evtl. um Christian Franke (1891-1972), 1933-1943 Präsident der Industrie- und Handelskammer Münster, u. a. auch Mitglied des Beirates der Reichswirtschaftskammer. – Franke hatte im übrigen noch einen Kopfbogen der Reichswirtschaftskammer verwendet. Die auf ihm befindlichen Zusatzangaben zum derzeitigen Aufenthaltsort (»Hess.-Lichtenau, Hotel zum Goldenen Löwen«) lassen darauf schließen, daß Franke zu den in Hessisch-Lichtenau internierten »leitenden Beamten der Reichsministerien und des früheren Reichsnährstands« (Rudolf Morsey, Personal- und Beamtenpolitik, S. 194) gehörte, die »von den Militärregierungen Aufträge [erhielten], die Akten zu sichten und zu ordnen oder über bestimmte Fragen des Aufbaues der bisherigen deutschen Verwaltung Denkschriften auszuarbeiten« (Walter Vogel, Westdeutschland T. II, S. 11).

  2. ^

    Zu Major Fritz Schliebusch (an dessen Schicksal sich der mit ihm persönlich befreundete Franke interessiert gezeigt hatte) und zu dessen Hilfestellung für Adenauer unter nationalsozialistischer Verfolgung (unter anderem bei der Befreiung aus dem Konzentrationslager auf dem Kölner Messegelände) vgl. Paul Weymar, Adenauer, S. 248-253; Konrad Adenauer, Erinnerungen 1945-1953, S. 17 und besonders die Angaben in der Bescheinigung vom 8.11.1945 für Major Fritz Schliebusch.

  3. ^

    Zur Kölner Straf- und Haftanstalt Klingelpütz und ihrer Verwendung als Konzentrationslager und Hinrichtungsstätte durch die Nationalsozialisten vgl. Historisches Archiv der Stadt Köln (Hg.), Widerstand und Verfolgung, S. 366-369.