Rhöndorfer Ausgabe Online

4. Oktober 1945 (Rhöndorf)

An Dr. Hans Rörig

, Bern

Original in HAStK Best. 1290, A 70A


Sehr geehrter Herr Rörig1!

Es wird Zeit, daß Sie nach Deutschland kommen, Zeit für Sie und Zeit für die Interessen, die Sie wahrnehmen können2. Herr Breuer, der Verlagsdirektor des Kölner Kourier war, ist, wie ich höre, aus dieser Stellung entlassen worden und zwar, wie mir zuverlässig gesagt worden ist, weil er sich in dieser Stellung beim Vertrieb des Blattes in unzuverlässiger und exorbitanter Weise bereichert habe. Ich muß sagen, daß er der Leitung des Blattes in keiner Weise gewachsen war. ­– Kurz bevor ich abgesetzt wurde, am 6.10.45, erhielt ich von Oberstleutnant Dilke die briefliche Mitteilung, daß er Sie angefordert habe. – Da mir jede Teilnahme am öffentlichen Leben und zunächst jede politische Betätigung irgendwelcher Art, direkt oder indirekt, unter der Drohung, mich vor ein Militärgericht im Falle der Zuwiderhandlung zu stellen, untersagt worden ist – das Verbot wurde später auf eine derartige Betätigung im Regierungsbezirk Köln beschränkt, inhaltlich bei den heutigen Verkehrsverhältnissen keine Milderung –, kann ich leider in Ihrer Angelegenheit nichts mehr tun. Es scheint mir das Richtige zu sein, wenn Sie sich an die Londoner Adresse von DilIke und an Ihnen bekannte Londoner Stellen wenden. Denn es ist, ich betone das nochmals, Zeit, daß Sie kommen.– Der Grund für meine Maßregelung ist mir unbekannt. Es scheint aber, daß sowohl meine offene Kritik wie die Annahme, daß ich zu einem Zusammenarbeiten mit der Sozialdemokratie, ‹unter›3 deren Führung, nicht bereit sei, die wesentlichen Ursachen gewesen seien.

Leider muß ich Sie nochmals mit der Angelegenheit meines Sohnes Konrad behelligen. Sir Sidney Clive hat Ihnen ja mitgeteilt, daß er in Bälde entlassen werden würde. Diese Mitteilung war vom 19.9.45, er hatte sie aus Norwegen erhalten am 11.9. Bis heute haben wir von unserm Sohne nichts mehr gehört, so daß ich wohl mit Recht fürchte, daß man Sir Sidney Clive eine formularmäßige Auskunft gegeben hat, während mein Sohn ja, wie ich von entlassenen Mitgefangenen gehört habe, in einer besonderen Lage ist. Da Sie wahrscheinlich die früheren Mitteilungen nicht mehr besitzen, darf ich sie im Folgenden kurz wiederholen. Er war einige Jahre vor dem Kriege bei der Niederlassung der AEG in Oslo beschäftigt und spricht daher perfekt Norwegisch. Er war Herbst 1944 bei der Dolmetscherkompanie in Münster und wurde von dort nach Norwegen angefordert. Er ist, wie ich von entlassenen Mitgefangenen gehört habe, einige Tage zu einem Büro in Oslo, und zwar einem Büro der Frontaufklärung, kommandiert gewesen. Wegen dieser Tätigkeit wird er anscheinend zurückgehalten. Ein entlassener Mitgefangener hat mir gesagt, er habe selbst die Verfügung gelesen, daß die Angehörigen dieser Formation erst zuletzt entlassen werden sollten.
Mein Sohn ist stets einer der heftigsten Gegner der NSDAP gewesen, die ich kenne. Er ist seit 1933 als mein Sohn überall benachteiligt worden, zumal da er selbst keiner Parteiformation beigetreten ist [sic]. Er konnte nicht im Staatsdienst bleiben, er war Gerichtsassessor, er konnte nur mit größter Mühe eine Stelle in der Privatindustrie finden, bei der AEG, und wurde dort überall ängstlich versteckt, so daß er nicht weiter kam. Das ist auch der Grund, warum man ihn damals seitens der AEG nach Norwegen abgeschoben hat. –Als er 1942 eine Stelle als Direktor bei der Waggonfabrik Talbot in Aachen gefunden hat, hat schließlich der dortige Kreisleiter beim Bezirkskommando darauf bestanden, daß er als mein Sohn eingezogen würde. Gleichzeitig hat der Kreisleiter dem Inhaber der Fabrik so zugesetzt, daß dieser erklärt hat, er könne einen Träger meines Namens nicht halten ‹, und ihm gekündigt hat›4.

Es ist wirklich grotesk und ungerecht, daß er zurückgehalten wird, während unendlich viele PGs entlassen worden sind. Er ist 39 Jahre alt, verheiratet, Vater von zwei Kindern, nicht von stärkster Gesundheit, so daß ein Winter in Norwegen ihm sicher sehr zusetzen wird. Hier werden inzwischen Stellen, für die er in Betracht käme, anderweitig besetzt. Ich bitte Sie sehr, stellen Sie das alles noch einmal Sir Sidney Clive vor und bitten Sie ihn, doch nochmals zu recherchieren und zu helfen. Es wäre auch für mich ein Lohn für alles, was ich unter dem Regime Hitlers meiner Überzeugung wegen ausgestanden habe.

Mein Sohn war bis Mitte August 1945 im Lager Heistadmoen der Reservation 44 bei Kongsberg in Norwegen. Er soll damals nach Oslo gebracht worden sein. Seitdem haben wir nichts mehr von ihm gehört. Ich bin Ihnen von Herzen dankbar für Ihre Vermittlung.

Sonst gibt es kaum etwas zu berichten, was Sie nicht wissen werden. Es ist höchste Zeit, daß die so oft in Aussicht gestellte andere Behandlung Deutschlands auch wirklich kommt.

Wenn Sie kommen, so hoffe ich Sie möglichst bald zu sehen. Grüßen Sie bitte Ihre Frau und seien Sie beide von meiner Frau und mir vielmals gegrüßt.
Ihr K. Adenauer


  1. ^

    Das Datum des vorliegenden Schreibens konnte im Rahmen der Prüfung der Archivsignaturen auf den 4.10.1945 korrigiert werden.

  2. ^

    Die Entscheidung über Rörigs Rückkehr nach Köln war zu dieser Zeit noch nicht gefallen, trotz unverminderter Bemühungen Adenauers noch bis kurz vor seiner Entlassung; hierzu Schreiben Rörigs an Generalkonsul von Weiss vom 8.10.1945 mit Hinweis auf den wenige Tage vorher empfangenen Besuch von Baron Waldemar von Oppenheim, »der mir den dringenden Wunsch Dr. Adenauers nach meiner Rückkehr überbrachte.« Vgl. das Schreiben an Hans Rörig vom 17.12.1945.

  3. ^

    ‹ › hs. von Adenauer korrigiert aus »bei«.

  4. ^

    ‹ › hs. von Adenauer eingefügt.