Rhöndorfer Ausgabe Online
An Dannie N. Heineman
, LondonStBKAH 07.01
ich hatte schon lange versucht, Ihre Adresse zu erfahren. Heute war Herr Bücher bei mir, und wir sprachen über Sie. Er meinte, daß ein Schreiben über Savoy-Hotel, London, Sie erreichen würde. Ich hörte von Herrn Bücher zu meiner Freude, daß es Ihnen und Ihrer Familie gut gehe. Uns geht es leidlich. Seit wir uns zuletzt in Brüssel gesehen haben, haben wir noch schwere Zeiten durchlebt2. Ich war mehrere Male verhaftet, im Konzentrationslager, wurde wegen schwerer Erkrankung entlassen und kam dann in das Gestapo-Gefängnis Brauweiler. Aus ihm wurde ich Ende November 1944 mit entsprechenden Drohungen für die Zukunft entlassen. Meine Frau war ebenfalls zehn Tage im Gefängnis. Später haben wir dann noch allerlei mitgemacht, als der Kampf zwischen den Amerikanern und den Deutschen um den Brückenkopf am Rhein hin- und herging. Mein ältester Sohn war in Norwegen. Wir haben seit Februar nichts von ihm gehört. Mein zweiter Sohn ist in amerikanischer Kriegsgefangenschaft, der dritte ist aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft entlassen.
Ich habe mich nach anfänglichem Sträuben schließlich doch dazu bewegen lassen, meinen alten Posten wieder anzunehmen. Ich will versuchen, wenigstens die Anfänge des Neuaufbaues zu sichern. Die Verhältnisse sind außerordentlich ernst, und die Zukunft liegt sehr schwarz vor uns. Ich bitte Sie herzlichst, sobald es eben geht, hierhin zu kommen, damit man in Ruhe die ganze Situation mit Ihnen durchsprechen kann. Es handelt sich um Entscheidungen, die zu treffen sind, die nicht nur für Deutschland oder den von den Russen nicht besetzten Teil Deutschlands, sondern für ganz Westeuropa, insbesondere auch für England, von größter Bedeutung werden können. Mit Ihrem Rat, mit Ihrem Einblick in die Zusammenhänge und mit Ihren Verbindungen könnten Sie sehr viel Gutes tun.
Kommen Sie daher bitte so bald als möglich.
Mit herzlichen Grüßen auch von meiner Frau an Ihre Gattin und Sie
Ihr
(Dr. Adenauer)
PS.
Von Herrn Bücher höre ich, daß Ihr zweiter Sohn Botschaftssekretär an der Amerikanischen Botschaft in London ist. Ich richte daher meinen Brief auch an die amerikanische Botschaft in London in der Hoffnung, daß einer der beiden Briefe Sie erreicht3.
Zu Heinemans Hilfe für Adenauer während des Nationalsozialismus vgl. Paul Weymar, Adenauer, S. 158f.; Konrad Adenauer, Erinnerungen Bd. 2, S. 157f., 162 und Rudolf Morsey, Adenauer und der Nationalsozialismus, S. 485.
Zu diesem Besuch in Brüssel finden sich Angaben in einem von Adenauer 1946 ausgefüllten »Personal-Fragebogen« der Militärregierung: Auslandsreise nach Belgien zwischen dem 11.1. und 14.1.1938 zum »Besuch eines amerikanischen Freundes« (Fragebogen in StBKAH 07.10).
Hierzu ein Schreiben an Botschaftssekretär James H. Heineman vom 12.9.1945 (HAStK Acc. 2, A 357); zu den weiteren Bemühungen Adenauers um Kontaktaufnahme nach 1945 vgl. Schreiben an Dannie N. Heineman vom 11. April 1947.