Rhöndorfer Ausgabe Online
An Rechtsanwalt Dr. Otto Schmidt
, Wuppertal-BarmenOriginal in LAV NRW R, RWN 0119/1
Sehr geehrter Herr Schmidt!
Bei meiner Rückkehr aus der Sitzung des Zonenbeirats am 8.3. abends fand ich Ihr Telegramm und Ihren Brief vom 6.3. vor1. Zu Ihrem Brief vom 6.3. bemerke ich vorläufig folgendes, da wir uns ja, wie ich annehme, am Mittwoch, den 13.3., sehen werden:
Zu 1) Richtig.
Zu 2) Dem Sinne nach richtig, ich habe deswegen auch mit den maßgebenden Parteimitgliedern der Nordrheinprovinz, darunter auch mit Ihnen bezüglich des Programms vorher Fühlung genommen und Ihren Widerspruch dem Ausschuß des Zonenausschusses wörtlich mitgeteilt.
Zu 3) Richtig.
Ich kann nicht zugeben, daß bei uns das »Führerprinzip« herrscht2. Ich werde Ihnen den Werdegang des Programms am Mittwoch im einzelnen erläutern. Ich bin nicht in der Lage, das vom Zonenausschuß genehmigte Programm zunächst dem Landesvorstand zur Beschlußfassung zu unterbreiten, ehe es veröffentlicht wird. Ich bin vielmehr gehalten, dem Beschluß des Zonenausschusses, das Programm zu veröffentlichen, nachzukommen. Ich bitte Sie zu berücksichtigen, daß wir dann niemals zu einem Programm kommen würden, da jeder Landesvorstand dasselbe Recht für sich beanspruchen wird, wie Sie es jetzt für den Landesvorstand der Nordrheinprovinz tun.
Zu Ihrer persönlichen Bemerkung erlaube ich mir, folgendes zu erwidern. Es ist mir nicht bekannt, daß Sie mich schriftlich wiederholt um eine Rücksprache gebeten haben. Wohl haben Sie in Briefen die Hoffnung ausgedrückt, daß bald eine Besprechung stattfinden würde. Diese Aussprache sollte vorige Woche sein. Ich wollte in dieser über die Zonenausschußsitzung in der vorhergehenden Woche Bericht erstatten. Ich mußte die für vergangene Woche Mittwoch anberaumte Sitzung aufheben bezw. verschieben, weil ich am Sonntag, den 4., die Aufforderung der Kontrollkommission für die Zonen[beirats]sitzung in Hamburg am 6. und 7. erhielt. Sie werden mit mir darin einig gehen, daß das ein dringlicher Grund war, die Tagung des Arbeitssauschusses zu verschieben. Ich denke in keiner Weise daran, daß Sie nur eine nominelle Verantwortung übernehmen sollen. Ich beabsichtige im Gegenteil, Ihnen vorzuschlagen, regelmäßig wenigstens einen Tag in der Woche nach Köln zu kommen, um dort im Landesvorstand zu arbeiten. Über den Zustand, in dem ich die Verhältnisse dort angetroffen habe, werde ich mündlich berichten.
Ehe ich Ihr Telegramm vom 1.3. wegen Herabsetzung der Lebensmittelrationen hier erhielt, hatte der Zonenausschuß in Neheim-Hüsten am 27.2. schon einen entsprechenden Beschluß gefaßt und ihn weitergeleitet. Auch der Zonenbeirat hat in seiner Sitzung in Hamburg am 6.3. einen dahingehenden Beschluß gefaßt3.
Wie übrigens manchmal die Post arbeitet, können Sie daraus ersehen, daß das eine Exemplar Ihres Briefes vom 7.2.46 in Sachen der Wahlrechtsreform erst jetzt an mich gekommen ist.
Mit ergebenen Grüßen
Ihr
Adenauer
Zum nachfolgenden vgl. Peter Hüttenberger, Nordrhein-Westfalen, S. 68 und Rudolf Uertz, Christentum, S. 79.
Mit seinem im Parteiauftrag aufgegebenen Telegramm hatte Schmidt gebeten, »unter allen Umständen Veröffentlichung des Zonen-Programms zu unterlassen«. Die von Adenauer kommentierten Punkte des zur Begründung anschließend geschriebenen Briefes: »1.) Das Programm einer Partei ist die geistige Grundlage des politischen Wollens, an dem sich Millionen von Menschen als Mitglieder und Wähler ausrichten sollen. Ein solches Programm muß daher mit einer Sorgfalt ohnegleichen ausgearbeitet werden. 2.) Das Programm einer demokratischen Partei kann nur so erarbeitet werden, daß es von den qualifiziertesten geistigen Trägern der Organisation von unten nach oben durchberaten wird. … 3.) Das Programm einer christlichen Partei kann nicht vom Christentum als einer Selbstverständlichkeit ausgehen, zumal das, was unter dem Begriff ›christlich‹ zu verstehen ist, in einer Begriffs- und Sprachenverwirrung ohnegleichen entleert und verfälscht worden ist. Bei den besonderen Verhältnissen in Deutschland ist mit äußerster Gewissenhaftigkeit zu vermeiden, daß eine Formulierung theologische Bedenken der einen oder anderen Konfession hervorrufen könnte«.
Zum Vorwurf »Anwendung des Führerprinzips« war Schmidt nach dem bisherigen Verlauf der Programmdiskussion gelangt: »Ohne jede organschaftliche Weisung ist Ihr persönlicher Entwurf einer Kommission der Zone unterbreitet worden, die wir nicht einmal der personellen Zusammensetzung nach kennen«. Zur Verwendung des Wortes ›Führer‹ in parteiinternen Diskussionen auch ein Schreiben Schmidts an Adenauer vom 2.4.1946; hierin rät Schmidt seinerseits, diesen Begriff zu vermeiden, da er eine ›faschistische Denkweise‹ verrate (Hinweis auf diesen Vorgang bei Rudolf Uertz, Christentum, S. 81).
Druck der »Entschließung über die gegenwärtige Ernährungslage« in: Akten zur Vorgeschichte Bd. 1, S. 351.