23. Juni 1963

Tischrede von Präsident Kennedy bei einem Essen im "Haus des Bundeskanzlers"

 

Herr Bundeskanzler, sehr geehrte Herren der Bundesregierung!

Ich möchte zunächst Ihnen, aber auch der Bevölkerung meinen warmen Dank dafür aussprechen, daß Sie mir heute diesen herzlichen Empfang bereitet haben. Bundeskanzler Adenauer war so freundlich, von einem spontanen Empfang zu sprechen, und ich will gar nicht bezweifeln, daß der große gute Wille, der aus diesem Empfang sprach, spontan war. Aber ich möchte sagen, daß es mir doch zweifelhaft erschien, ob die vielen Flaggen und Fähnchen, die zu sehen waren, wirklich alle aus den einzelnen Familien kamen; ich habe das Gefühl, daß hier irgendjemand nachgeholfen hat.

Es war ein großes Privileg für mich, heute den Tag mit dem Bundeskanzler zu verbringen. Ich möchte darauf hinweisen, welche große Lebensspanne seine Tätigkeit umfasst, und darauf, wie jung unser Land vergleichsweise ist, denn nur zwei Jahre, nachdem der Bundeskanzler geboren wurde, liegt der Zeitpunkt, an dem noch in unserem Lande General Custer und 500 seiner Kavalleristen von dem Führer der Sioux-Indianer, Sitting Bull, überfallen und ausgemerzt wurde.

Es scheint mir, daß nach dem zweiten Weltkrieg sowohl die Vereinigten Staaten wie die Bundesrepublik eine korrekte Entscheidung getroffen haben, und zwar die Vereinigten Staaten die Entscheidung, daß eine freie und demokratische Bundesrepublik für die Sicherheit sowohl Europas wie auch der Vereinigten Staaten ausschlaggebend sein würde; andererseits die Entscheidung der Bundesrepublik, daß eine freie und demokratische Bundesrepublik für die zukünftige Kraft des ganzen Europas ausschlaggebend sein würde. Ich glaube, man kann sagen, daß diese beiden Entscheidungen von der Geschichte bestätigt worden sind. Hinsichtlich unserer Entscheidung, glaube ich, verdient vor allem die Truman-Regierung den Kredit dafür, und diese Politik ist dann von der Eisenhower-Regierung weitergeführt und unterstützt worden. Hinsichtlich der Entscheidung der Bundesrepublik kann man wohl sagen, daß diese weise und grundlegende Entscheidung von der Geschichte dem Bundeskanzler Adenauer zugeschrieben wird.

Unsere große Aufgabe im Jahre 1963 mag nicht so dramatisch erscheinen wie die schwerwiegenden Entscheidungen früherer Jahre. Aber sie scheint mir trotzdem genauso wichtig, und das ist die Aufgabe, ein Bündnis aufrechtzuerhalten und weiterzupflegen in einer Zeit relativer äußerer Ruhe. Die Geschichte weist viele Wracks von Bündnissen auf, und wenn wir trotz des Ausbleibens von direktem und unmittelbarem Druck von außen unser Bündnis aufrechterhalten können, dann werden wir in gewisser Beziehung historisch eine Ausnahme darstellen. Die große Aufgabe für uns und alle unsere Verbündeten in den sechziger Jahren scheint mir die zu sein: Wie können wir dieses Bündnis weiter ausbauen, und wie können wir sicherstellen, daß, obwohl der Feind im Augenblick nicht so stark an unseren Pforten zu rütteln scheint, unsere enge Zusammenarbeit weiter gewährleistet wird.

Ich hoffe daher, daß es gemäß unseren Erfolgen in der Vergangenheit möglich sein wird für die Bundesrepublik, für ihre Verbündeten in der NATO zusammen mit den Vereinigten Staaten, diese enge gemeinsame Rolle in den sechziger Jahren weiterzuspielen und nicht nur unsere eigene Sicherheit aufzubauen - nicht nur die Sicherheit West-Europas und der Vereinigten Staaten -, sondern von dort hinauszugehen und gerade jenen zu helfen, die heute das eigentliche Schlachtfeld im Kampf um die Freiheit darstellen.

Meine Herren, wir sind außerordentlich erfreut darüber, hier mit Ihnen zusammen zu sein, und wir danken allen Ihren Mitbürgern für den herzlichen Empfang, den Sie uns bereitet haben. Wir alle wollen weiter zusammenarbeiten in dieser Arbeit, und ich möchte jetzt am Schluß besonders betonen, wie sehr ich mich freue, mit Bundeskanzler Adenauer hier zusammen zu sein, der den Weg gezeigt hat, als er noch ungehobelt war und bergauf ging. Ich möchte sagen, daß seine leitende Tätigkeit genauso nützlich im Jahre 1963 sein wird wie in den vergangenen Jahren. Auf ihn möchte ich mein Glas erheben!

 

Quelle: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 108 vom 25. Juni 1963, S. 961f.

Antwort auf die Ansprache von Bundeskanzler Adenauer