25. Juli 1929

Schreiben von Louis Hagen an Adenauer, aus Karlsbad

 

Sehr verehrter Herr Oberbürgermeister!

Zunächst muss ich Ihnen ein unangenehmes Geständnis machen, das Ihnen zugleich die Erklärung dafür gibt, dass ich Ihnen bisher noch nicht geschrieben habe. Vorigen Sonntag wurde ich von einem schweren Hitzschlag getroffen, der mit einer unangenehmen Ohnmacht anfing, die der Arzt dadurch kupierte, dass er in 5 Minuten bei mir war und mir sofort eine Einspritzung machte; es sind aber dann sehr unangenehme Erscheinungen zunächst übriggeblieben, es hatte sich alles in mir verkrampft, ich litt unter furchtbaren Kopfschmerzen, absoluter Appetitlosigkeit und war nicht ohne Sorgen für das bisschen Leben.

Die Depeschen an Sie sowie die Herren Oehme und Langen habe ich in die­sem, zwar bereits etwas verbesserten Zustand diktiert; dass sie, wie mir beide Herren berichteten, wie Sie aus den Einlagen ersehen werden, fruchtlos waren, bedauere ich ungemein. Sie kennen meine Einstellung für die Universität, und ich möchte gar so gerne, dass das nicht nur großzügige, sondern ideale Pro­jekt auch in möglichst schneller Zeit durchgeführt wird. Ich glaube, dass damit wirkliche Hochschul-Verhältnisse eintreten können, dann aber auch, um der Sorge enthoben zu sein, ob nicht der eine oder der andere der Garantiezeichner nach und nach sich zurückzieht. Es wird Ihrer Zähigkeit und Ihrer Energie schon gelingen, möglichst bald dieses Projekt in die Tat umzusetzen; eher dürfen wir nicht ruhen.

Günstiger scheint mir die Frage der Kölner Anleihe zu liegen. Ich gebe mich - und ich glaube nicht in übertriebener Weise - der Hoffnung hin, dass die Hälfte jedenfalls bei der Zeichnung genommen wird. Ich urteile natürlich in erster Reihe nach den bisherigen Resultaten bei meiner Firma, die durchaus befriedigend sind, ich weiß aber auch, dass bei Oppenheim und Schaaffhausen viel bessere Vorzeichnungen vorliegen, wie von den beiden Häusern angenommen wurde. Von Berlin habe ich nichts gehört. Warburg schrieb mir, dass bei ihm vor einigen Tagen 500.000 Mark gezeichnet worden waren. Wenn ein einigermaßen erträgli­ches Resultat herauskommt, hoffe ich auch, dass es ja nicht schwierig sein wird, die noch nicht ausgeübte Option im Lombard unterzubringen. Darüber uns noch zu unterhalten haben wir ja bis September Zeit.

Das veränderte Ferngasprojekt finde ich sehr gut. Selbstverständlich kann ich die technischen Unterschiede gegenüber dem 1. Entwurf nicht beurteilen, aber es ist bestimmt gut, wenn derartige große Projekte gründlich durchgear­beitet werden.

Sehr große Sorge macht mir die innere Politik, und ich finde es geradezu ein Verhängnis, dass der Reichskanzler Müller nun auch, für die nächsten Monate wenigstens, ausgeschaltet werden muss. Es ist ja zweifelhaft - aber ich will hof­fen, dass ich mich irre -, ob er mit dem Leben davon kommt. Es ist ein schweres Verhängnis, dass er an demselben Übel leidet und sich derselben Operation unterziehen musste wie seinerzeit Ebert. Im Deutschen Reich sind nur zwei Men­schen vorhanden, die im äußersten Falle berufen wären einzutreten, das sind Sie und der Ministerpräsident Braun. Sie denken Gott sei Dank nicht daran, diesen dornenvollen Weg zu wandeln. Nach Ihrer im März erfolgten Wiederwahl dürften wohl in den nächsten 12 Jahren von Ihnen solche Extratouren nicht erwartet werden. Braun wird, wie ich zu meinem großen Erstaunen durch Weissmann erfuhr, ganz wahrscheinlich eine eventuelle Kanzlerwahl annehmen. Ich will nur hoffen, dass dann trotz seines Freundes Weissmann Herr Pünder mindestens auch Staatssekretär bleibt.

Weissmann war während der letzten, für mich verhängnisvollen Tage sehr reizend, hat sehr viel an meinem Bette gesessen, das ich erst heute verlassen durfte. Auch mein alter hiesiger Arzt, Dr. Toepfer, hat sich sehr bemüht. Nicht nur, dass er gleich nach 5 Minuten bei mir war, war er dreimal am Tag persönlich bei mir, stand morgens 7 Uhr schon an meinem Bette und war sehr glücklich, dass er mich schon gestern abends als Rekonvaleszent entlassen konnte. Ich leugne aber nicht, dass ich mich noch ungemein schlapp befinde, trotz Erlaubnis keine Neigung habe, auszugehen oder auszufahren. Ich bin nur heute Morgen zu Frau Krupp von Bohlen ausgefahren, da sie sich in den letzten Tagen um mich besonders gesorgt hat.

Über Karlsbad brauche ich Ihnen ja nichts zu melden, es war in den letzten Tagen bei der Hitze unausstehlich. Ich werde sehr froh sein, wenn ich in den näch­sten Tagen auf meinen geliebten Aberg hinaufkomme, werde mir aber in diesem Jahre das Hinaufgehen verkneifen müssen. Ihnen und Ihrer sehr verehrten Frau Gemahlin geht es hoffentlich nach Wunsch, wenn ich mir auch vorstellen kann, dass die heißen Tage auch für Sie eine Qual waren.

In der Rheinischen Braunkohlen-Versammlung am 27., wo Sie wohl anwe­send sein werden, dürfte es wohl kaum zu Diskussionen kommen. Diejenigen, die gegen eine Bevorzugung der bisherigen Vorzugsaktionäre rebellieren, dürften wohl am besten tun zu schweigen, da die Abstimmung doch sehr stark gegen sie lauten wird.

Meine bestimmte Absicht, am 30. zu den am 31. und 1. Aug. stattfindenden Generalrats-Sitzungen der Reichsbank nach Berlin zu fahren, werde ich wohl gezwungenermaßen aufgeben müssen, denn ich fühle mich noch heute derartig hinfällig, dass jeder, dem ich von dieser Absicht sprach, mich warnte, nicht mit dem Leben zu spielen. Ich bin auch entschlossen, auf diese Warnung zu hören und es darauf ankommen zu lassen, dass es auch ohne mich geht.

Darf ich Ihnen noch zum Schluss eine Merkwürdigkeit mitteilen, das ist die, dass ich die auf Ihren gütigen Rat erfolgte Zuschrift an den Kollegen Rings mit der Einlage von 5 Scheinen am Tage vor meiner Abreise absandte, aber - wie ich mir schon erlaubte, bei meinem Abschiedsbesuch zu berichten - ohne jede Antwort und ohne jede Quittung von ihm geblieben bin.

Ich will Sie nicht länger durch meine Mitteilungen in Anspruch nehmen, es war mir aber ein wirkliches Bedürfnis, über manches Ihnen zu berichten, und ich bitte zum Schluss, mir zu glauben, dass ich mit der aufrichtigsten Bewunderung für Sie immer verbleibe Ihr größter Freund und Anhänger, der auch Ihrer vor­züglichen anderen Hälfte seine verehrungsvollsten Empfehlungen zu übermitteln bittet.

In diesem Sinne stets der Ihre

Louis Hagen

 

Quelle: HAStK 902/102/1. Abgedruckt in: Konrad Adenauer 1917-1933. Dokumente aus den Kölner Jahren. Hrsg. v. Günther Schulz. Köln 2007, S. 312-314.

Antwort Adenauers vom 01.08.1929