* geboren 18.12.1913
in
Lübeck (als Herbert Ernst Karl Frahm)
† gestorben 08.10.1992
in
Unkel
Journalist, Regierender Bürgermeister von Berlin, Bundesminister, Bundeskanzler, SPD-Vorsitzender
1930 | Eintritt in die SPD, später Wechsel zur SAP |
1932 | Abitur, Volontär in einer Schiffsmaklerfirma |
April 1933 | Flucht nach Dänemark, dann Norwegen |
1936 | Verdeckte Arbeit mit einer SAP-Widerstandsgruppe im Reich |
1937 | Berichterstatter im Spanischen Bürgerkrieg |
1938 | Ausbürgerung durch das NS-Regime |
1940 | Nach der deutschen Besetzung Norwegens Gefangenschaft, aus derihm die Flucht nach Schweden gelingt |
1946 | Berichterstatter für die norwegische Presse bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen |
1948 | Wiedereinbürgerung in Deutschland unter dem im Krieg geführten Namen Willy Brandt |
1949 | SPD-Abgeordneter des Landes Berlin im ersten Deutschen Bundestag |
03.10.1957 | Wahl zum Regierenden Bürgermeister von Berlin |
1961 | Kanzlerkandidat der SPD |
1964 | SPD-Vorsitzender |
1966-1969 | Bundesminister des Auswärtigen in der Regierung Kiesinger |
1969 | Wahl zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland |
07.12.1970 | Kniefall während des Polen-Besuchs am Mahnmal für den Aufstand im Warschauer Ghetto |
10.12.1971 | Verleihung des Friedensnobelpreises für die Aussöhnung mit Polen |
27.04.1972 | Scheitern des konstruktiven Misstrauensvotums der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag gegen Brandt |
19.11.1972 | Bei den vorgezogenen Neuwahlen zum Deutschen Bundestag wird die SPD erstmals stärkste Bundestagsfraktion mit 45,8% der Stimmen. |
06.05.1974 | Rücktritt vom Amt des Bundeskanzlers nach der Enttarnung seines Mitarbeiters Günter Guillaume als DDR-Spion |
23.03.1987 | Rücktritt als SPD-Vorsitzender |
Das Verhältnis von Adenauer und Brandt war in der Phase ihres gemeinsamen politischen Handels von 1957 bis 1963 nicht von Vertrauen oder Sympathie gekennzeichnet, aber auch nicht ausschließlich von unüberbrückbaren Gegensätzen bestimmt. Es war getragen von einem wechselseitigen Respekt vor der politischen Verantwortung und der Ablehnung charakterlicher Eigenschaften des anderen.
Adenauer und Brandt gelten seit Anfang der sechziger Jahre als die Protagonisten grundverschiedener Konzeptionen bundesdeutscher Außen-, Deutschland- und Ostpolitik. Über ihr Verhältnis in der Phase ihres gleichzeitigen politisch verantwortlichen Handelns zwischen 1957 und 1963 herrscht weithin die Vorstellung von feindlich gesonnenen Repräsentanten der Christdemokratie und der Sozialdemokratie, die im dauernden Streit lagen und sich menschlich tief verachteten.
Der parteipolitische Standort und die politische Vergangenheit des anderen erweckten in beiden persönliche Ablehnung: Adenauer im Hinblick auf die Umtriebe des früheren Linkssozialisten, Brandt wegen der stark antisozialistischen Gesinnung des Kanzlers.
In der Westpolitik bescheinigte Brandt seinem Vorgänger jedoch einen klaren Sinn für die Anerkennung der Realitäten. Herstellung des Konsenses mit den westlichen Mächten sei schließlich Maxime seiner Außenpolitik gewesen. Dabei habe Adenauer freilich davor zurückgeschreckt, die Folgen seiner Prioritäten deutlich auszusprechen, nämlich dass Westintegration "jede Wiedervereinigungspolitik außer Kraft setzen mußte", urteilte Brandt vor der Wende des Jahres 1989. Wenn es zwischen beiden Politikern dennoch eine gewisse Ebene des gegenseitigen Verstehens gab, dann war es die von Bürgermeister zu Bürgermeister. Der gelernte Kommunalpolitiker Adenauer wusste um die Sorgen des Bürgermeisters einer so exponierten Stadt wie Berlin. Gerade in finanzieller Hinsicht traf Brandt mit seinen Wünschen bei Adenauer daher auf offene Ohren.
Seit ihren frühen Anfängen hat Brandt die Richtigkeit der Westintegrationspolitik Adenauers nie wirklich angezweifelt. Im Gegensatz zur offiziellen Parteilinie erachtete er die europäische Zusammenarbeit als notwendig, hielt die Politik der Anerkennung der Realitäten für unabweislich, weil ansonsten den Deutschen weitere Isolierung drohe. In erster Linie wegen der politischen Vergangenheit hegte Adenauer eine gewisse Skepsis gegenüber Brandt.
Vor Zuspitzung der Berlin-Krise im November 1958 durch Chruschtschows Ultimatum lagen beide in ihren Ansätzen, aus der verfahrenen Deutschlandpolitik herauszukommen, gar nicht so weit auseinander. Sie gründeten bis dahin auf Hoffnungen, durch Vereinbarungen über menschliche Erleichterungen Fortschritte zu erzielen. Enge Abstimmungen zwischen Bundesregierung und Berliner Senat waren in beiderseitigem Interesse und zudem vonnöten.
Kanzler und Regierender Bürgermeister waren übereinstimmend der Ansicht, mit dem Fehlschlag der Genfer Verhandlungen sei eine Eskalation des Konfliktes um Berlin abgewendet worden. Sie zogen daraus jedoch unterschiedliche Schlüsse. Brandt betrieb eine allmähliche Positionsverschiebung, indem er auf die amerikanisch-britische Linie des Vorschlags einer Freien Stadt West-Berlin einging und damit von der Position des Kanzlers abrückte. Adenauer sah darin eine gefährliche Interessenkonstellation zum Nachteil West-Berlins, die zur weiteren Teilung Deutschlands führen könnte.
Brandt verfolgte eine Doppelstrategie: in Rechtsfragen enge Verbundenheit mit der Bundesregierung dokumentieren und der Sowjetunion gewisse Verhandlungsbereitschaft signalisieren, einen Türspalt für substantielles Entgegenkommen offenlassen, wenn sich Chancen dazu boten. Adenauer bezweifelte nicht die Notwendigkeit, mit den Sowjets ins Gespräch zukommen, doch das taktische Vorgehen war umstritten: Sollte man den Sowjets gegenüber nachgiebiger sein oder mehr Härte zeigen?
Nach dem Streit über den Freistadt-Vorschlag verschlechterten sich die Beziehungen über die Sommermonate 1960 zusehends. Nach Brandts Nominierung im August 1960 zum SPD-Kanzlerkandidaten für die Bundestagwahl 1961 trat er als direkter Konkurrent Adenauers in Erscheinung. Vom Frühjahr 1960 bis zum Spätherbst 1961 bestimmten vor allem emotionale Faktoren ihren Umgang miteinander.
Im Gegensatz zum Kanzler, der deutschlandpolitisch hart, unnachgiebig, starr wirkte, den das Selbstbewusstsein eines gestandenen Politikers auszeichnete, verkörperte Brandt Risikobereitschaft, Mobilismus, Entgegenkommen. Wo Adenauer standfest blieb und die Konfrontation nicht scheute, neigte Brandt eher dazu, die Dinge auszuloten, war entspannungsbereit, gewillt, mit den Sowjets zusammen voran zu kommen. Ihn reizte die Herausforderung eines politischen Veteranen, er wollte verändern, ausprobieren, was politisch gegen die eigene Parteiführung und den politischen Gegner zu bewegen war. Personelle Polarisierung und teils persönliche Verumglimpfungen bestimmten den Wahlkampf, die dazu führten, dass es am 13. August 1961, dem Tag des Mauerbaus in Berlin, keinen Direktkontakt zwischen Bundeskanzler und Regierenden Bürgermeister gab. Um keine Eskalation der Krisensituation zu betreiben, verzichtete Adenauer auf einen Besuch in Berlin, während Brandt sich vor Ort präsentierte und die Westmächte an ihre Verantwortung für Berlin erinnerte.
Zwar mussten CDU und CSU bei der Bundestagswahl Stimmenverluste hinnehmen und verloren die bisherige absolute Mehrheit der Mandate, doch blieben sie stärkste Fraktion. Brandt hatte sein Ziel, Adenauer abzulösen, nicht erreicht. Doch auch der Kanzler konnte sich angesichts der Schwierigkeiten, eine Koalition zustande zu bringen, nicht als Gewinner der Wahl präsentieren.
In den nächsten Monaten rückten sie bei der Bewältigung der Berlin-Krise wieder etwas näher aneinander heran. Denn ohne Kanzler und Regierenden Bürgermeister konnte weder der eine noch der andere eine vernünftige Berlinpolitik machen.
Das Verhältnis Adenauer - Brandt, soviel bleibt festzuhalten, zeichnete sich gewiss nicht durch persönliches Vertrauen, menschliche Wärme und Sympathie aus. Es war aber auch nicht ausschließlich von unüberbrückbaren Gegensätzen bestimmt. Es war getragen von einem wechselseitigen Respekt vor der politischen Verantwortung des anderen, sei es aufgrund unkalkulierbarer Machtinteressen, sei es wegen des parteipolitischen Konkurrenzverhältnisses, und bestimmt von der Ablehnung charakterlicher Eigenschaften des anderen.
In den Jahren der zweiten Berlin-Krise unterlagen sie dem Zwang, zur gleichen Zeit Politik machen zu wollen. Dadurch traten immer wieder Situationen ein, in denen diese beiden vollkommen unterschiedlichen politischen Führungsfiguren sich nicht nur miteinander ins Benehmen setzen, sondern auch, politischer Not gehorchend, Interessenfronten schmieden mussten. Die Beziehung erlebte vielfältige Schwankungen. Zeiten wie nach der Genfer Konferenz 1959 und nach der Bundestagswahl 1961, in denen man zusammenrückte, und Phasen, in denen es ratsam schien, sich aus dem Weg zu gehen. Genauer betrachtet, war das Verhältnis von wechselnden konfrontativen und kooperativen Zügen im Umgang der beiden Politiker geprägt - so, wie es unter Demokraten verschiedener und gleicher Couleur gang und gäbe ist.
Brandt, Willy: Berliner Ausgabe. Hg. von Helga Grebing/Gregor Schöllgen/Heinrich A. Winkler. 10 Bde. Bonn 2000-2008.
Ders.: Erinnerungen. Neuausgabe Hamburg 2006 (1. Aufl. Frankfurt/Main 1992).