Hanns Jürgen Küsters
Mit der Westintegration schlug Adenauer einen vollkommen neuen, ja revolutionären Weg deutscher Außenpolitik seit der Reichsgründung 1871 ein. Seine Westintegrationspolitik umfasste zwei elementare Vorgänge: die "Westbindung" der Bundesrepublik in sicherheitspolitisch-militärischer Hinsicht und die "Westintegration", also den Einigungsprozess westlich orientierter Demokratien Europas.
Als erster deutscher Kanzler bekannte sich Adenauer 1949 in seiner ersten Regierungserklärung uneingeschränkt zum Westen: „Es besteht für uns kein Zweifel, dass wir nach unserer Herkunft und nach unserer Gesinnung zur westeuropäischen Welt gehören." Was schließlich heißen sollte: Die Bundesrepublik Deutschland steht auf dem Boden von Demokratie, Freiheit und Rechtstaatlichkeit, wie es Tradition in den westlichen Demokratien ist.
Nach den Exzessen der nationalsozialistischen Diktatur wollte er zumindest den Westteil Deutschlands für die Nachbarstaaten wieder berechenbar machen. Die junge Bundesrepublik sollte jene Tugenden befolgen, die Deutsche noch in jüngster Vergangenheit mit Füßen getreten hatten: Achtung internationaler Grenzen, Geradlinigkeit außenpolitischer Grundsätze, Einhaltung und Verlässlichkeit eingegangener völkerrechtlicher Verpflichtungen. Das war zugleich eine deutliche Absage an die Bismarcksche Schaukelpolitik zwischen Ost und West.
Westintegrationspolitik hatte für Adenauer stets vielfältige Dimensionen: Sie bedeutete Fortentwicklung der Europäischen Gemeinschaften ebenso wie Bündnispolitik im klassischen Sinne. Sie bezeichnete eine Question élementaire der deutsch-französischen Beziehungen wie der europäisch-atlantischen Beziehungen. Nicht zuletzt verkörperte sie eine Grundkonstante im Ost‑West‑Konflikt und für die Überwindung der Teilung Deutschlands.
Dabei kann man Adenauers Außenpolitik keineswegs der Vernachlässigung des russischen Faktors bezichtigen. Ganz ohne Zweifel war sein ausgeprägter Antikommunismus mit ein entscheidendes Motiv für die Westintegrationspolitik, genährt von der Abscheu des Katholiken gegen die atheistische Grundhaltung der Bolschewisten und deren Expansionsstreben. Adenauers wirkliche Sorge vor der expansiven Sowjetunion entsprang dem Bild des zaristischen Russland - eines Staates von enormer ökonomischer und militärischer Kraft -, das um die Jahrhundertwende in der deutschen Öffentlichkeit ebenso weit verbreitet war wie der Gedanke an die preußisch-russische Sonderbeziehung, dem Mythos von Tauroggen, an den sich der Vertrag von Rapallo 1922 nahtlos anknüpfte.
Adenauer neigte angesichts des sowjetischen Hegemoniestrebens in Osteuropa mit Blick auf den gesamten Kontinent nach 1945 dem wohlbekannten Schreckensbild zu und verschrieb sich mehr der Defensivhaltung in seiner Ostpolitik. Er setzte auf das Konzept fester Allianz mit dem Westen, die durch eine Verbindung von militärischer Stärke und wirtschaftlicher Dominanz den Koloss Sowjetunion in Schach halten und der Isolierung Deutschlands vorbeugen soll. Diese beabsichtigte in seinen Augen letztlich nichts anderes als die Wiedergeburt alter Gleichgewichtspolitik, von der Bismarck beseelt war.
Als Pendant schwelte auf Seiten der Westalliierten stets die Befürchtung, die Deutschen könnten eine neue Rapallo-Politik inszenieren, um der Wiederherstellung ihrer nationalen Einheit willen die deutsch-sowjetische Karte spielen und sich dem Westen entsagen. Adenauer hütete sich davor, Ost gegen West auszuspielen, wiewohl er die Bedeutung einer zweiten Handlungslinie - die des Dialogs mit Moskau - für die deutsche Außenpolitik erkannte. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen, die er als ersten Schritt zur Normalisierung des deutsch-sowjetischen Verhältnisses sah, kündigte er schon 1954 als quasi unausweichlichen Schritt an.
In der Tat riss denn auch der direkte Gesprächsfaden zwischen Bonn und Moskau nicht mehr ab, auch wenn die Sowjetunion bis zum Treffen des Bundeskanzlers Kohl mit Präsident Gorbatschow im Februar 1990 in Moskau den Deutschen strikt die Ausübung des nationalen Selbstbestimmungsrechtes verweigerte. Adenauer war sich vollends bewusst, dass damit das Gewicht Bonns gegenüber den westlichen Alliierten verstärkt würde. Um so mehr setzte er gleichzeitig auf die Fortführung der europäischen Einigung.
Wir müssen Europa schaffen, um den Expansionsdrang der Sowjetunion einzudämmen.
Die vielzitierte rheinische Blickrichtung, die christlich‑abendländische Tradition, die katholische Weltanschauung haben Adenauer sicherlich viel bedeutet. Die eigentliche Gefahr der abendländischen Kultur sah er jedoch im Bolschewismus, in der kommunistischen Ideologie, letztlich im Panslawismus. Das waren seiner Ansicht nach die Triebfedern für das Machtstreben der Führer der Sowjetunion, der Volksrepublik China und des zweiten deutschen Staates. Sie bedrohten auf Dauer die Existenz der westlichen Völker. Dieser Gefahr könnten die freiheitlichen Demokratien nur gemeinsam mit allen verfügbaren Kräften widerstehen.
Wir müssen Europa schaffen, um die Schwächen westlicher Demokratien auszugleichen.
Gesellschaftlicher Pluralismus, turnusgemäße Wahlen, das ständige Wechselspiel von Regierung und Opposition stellte eine permanente Gefahrenquelle für die Stabilität der westlichen Gesellschaftssysteme dar. Sie bargen das Moment der Desintegration in sich gegenüber den monolithisch geformten Entscheidungsstrukturen kommunistisch gelenkter Staatsorgane. Dem könnten die westlichen Demokratien nur durch eine möglichst geschlossene Allianzpolitik entgegentreten.
Neue Deutsche Wochenschau 150/1952, 07.12.1952, Bundesarchiv, Bestand Film: F 001711
Die europäische Integration ist notwendig, weil sie im Zeichen des Ost-West-Gegensatzes einen neuen Ansatz von Außenpolitik bietet.
Früher als manch anderer Politiker besass Adenauer das Gespür für den nach der Potsdamer Konferenz sich anbahnenden Konflikt unter den alliierten Siegermächten. Im Oktober 1945 konstatierte er den Ost‑West‑Konflikt mit der nüchternen Aufzählung der Besatzungsverhältnisse. „Russland hält in Händen: die östliche Hälfte Deutschlands, Polen, den Balkan, anscheinend Ungarn, einen Teil Österreichs. Russland entzieht sich immer mehr der Zusammenarbeit mit den anderen Großmächten und schaltet in den von ihm beherrschten Gebieten völlig nach eigenem Gutdünken. In den von ihm beherrschten Ländern herrschen schon jetzt ganz andere wirtschaftliche und politische Grundsätze als in dem übrigen Teil Europas. Damit ist eine Trennung in Osteuropa, das russische Gebiet, und Westeuropa eine Tatsache." Den von den Westmächten besetzten Teil Deutschlands sah Adenauer als einen integrierten Teil Westeuropas, in dem die einzelnen Regierungen so eng wie möglich politisch zusammenarbeiten müssen. Nur mittels einer engen Abstimmung ihrer nationalen Außenpolitiken - also multilateral - konnte der Westen im Konflikt mit dem Osten seine Position behaupten.
Die europäische Integration ist notwendig, weil sie hilft, historische Konflikte wie die deutsch-französische Erzfeindschaft zu überwinden.
Europäische Integration beinhaltete für Adenauer die neue Form der Verständigungspolitik. „Der deutsch‑französische Gegensatz muss endgültig aus der Welt geschaffen werden", verkündete er in seiner Regierungserklärung 1949. Nur über die europäische Verflechtung - so lautete sein Hauptargument - könne der deutsch-französische Gegensatz langfristig überwunden und auf die Grundlage freundschaftlicher Beziehungen gestellt werden. Integration war die Zauberformel des ansonsten unlösbar erscheinenden Problems einer Neugestaltung deutsch-französischer Beziehungen, deren Bereinigung die notwendige Voraussetzung für jede integrative Bewegung in Europa ist. Ohne ein Rapprochement zwischen Bonn und Paris ließ sich Europa nun einmal nicht bauen. Es war und ist der Kern jeder dauerhaften Friedenssicherung in Europa. Der deutsch‑französische Vertrag von 1963 brachte diesen fundamentalen Wandel in den Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg zum Ausdruck.
Allerdings hatte diese Verbindung auch eine nicht zu unterschätzende deutschlandpolitische Komponente. Bonn brauchte die Unterstützung der Regierung in Paris, sprich: Adenauer de Gaulle. Die Deutschen spürten, dass Adenauers Europapolitik in Zeiten der Berlinkrise von 1958 bis 1962 sowohl einen gemeinsamen Aktionsrahmen für eine mit Frankreich abgestimmte Politik gegenüber der Sowjetunion abgab, die zugleich einer russisch‑französischen Entente‑Politik vorbeugen half. Andererseits operierte Adenauer stets mit dem Argument, eine Einigung der Westmächte mit der Sowjetunion über die Köpfe der Deutschen hinweg dürfe in der Frage des nationalen Schicksals nicht zustande kommen. In der Tat fürchtete er nichts mehr als das Wiederaufleben der alliierten Kriegskoalition, eine Verständigung der Vier Mächte über Deutschland, die gegen die Interessen der Deutschen gerichtet sein könnte und auf die sie selbst keinen Einfluß haben würden.
Europäische Einigung schafft durch die wirtschaftliche Verflechtung Wohlstand für alle beteiligten Völker.
Internationale wirtschaftliche Verflechtungen der Industrien, des Kapitals und des Handels waren für Adenauer die alles entscheidende Voraussetzung für den raschen Wiederaufbau Deutschlands und die langfristige Steigerung der Prosperität aller an dem Integrationsprozess beteiligter Völker. Die Menschen auf der Straße müssten die wirtschaftlichen Vorteile spüren, die ihnen nur durch Produktionssteigerungen und ein gerütteltes Maß an sozialer Sicherheit garantiert werden könne, war seine Devise. Adenauer hing dem Gedanken der organischen Verflechtung der deutschen respektive der rheinischen Wirtschaft mit den Industrie- und Handelszentren Belgiens, der Niederlande und Frankreichs schon in den zwanziger Jahren an. Als Kölner Oberbürgermeister erörterte er bereits 1924 mit Reichskanzler Stresemann Pläne einer deutsch‑französischen Zollunion. Sie scheiterten aber schon im Vorfeld am Widerstand der Berliner Regierung, die das Konzept angesichts der deutsch-französischen Erzfeindschaft ablehnte.
Als Robert Schuman 1950 Adenauer den Plan einer übernationalen Hohen Behörde für Kohle und Stahl unterbreitete, erblickte der Kanzler darin die Aktualisierung seines alten Konzepts einer deutsch‑französischen Wirtschaftsverflechtung. Hauptsächlich waren es drei Gründe, warum er den Schuman-Plan unverzüglich unterstützte: Durch den Aufbau einer gemeinschaftlichen Lenkung für Kohle und Stahl wurde die westalliierte Kontrolle der Ruhrindustrie abgelöst. Die Bundesrepublik brachte ihre Schlüsselindustrien in ein partnerschaftliches System ein und wurde auf diese Weise die einseitige Siegerkontrolle mitsamt ihren Produktionsbeschränkungen auf dem Stahlsektor los. Schließlich war die Ablösung des Ruhrstatuts ein wichtiger Schritt hin zur Souveränität.
Europäische Integration ist die einzige Ausgangsbasis für den Wiederaufbau Deutschlands
Westintegration war nicht nur politisch der einzige Weg aus der Isolation, in welche sich die Deutschen durch den Nationalsozialismus hineinmanövriert hatten. Für die Bundesrepublik implizierte die Annäherung an den Westen neben der Erlangung politischer Souveränität zugleich die Chance zum wirtschaftlichen Wiederaufbau in engster Verbindung mit dem westlich geprägten Weltwirtschaftssystem. Die Westdeutschen hatten sich 1949 nicht nur für die freiheitliche Demokratie entschieden. Sie wussten ebenso, dass Wiederaufbau und mehr Wohlstand allein durch Westverflechtung der deutschen Wirtschaft zu erreichen sein würde. Denn die Bundesrepublik war zunächst einmal von den vormals wichtigen Export‑ und Rohstoffmärkten des Ostens abgeschnitten. Wer nach dem Verlust der Ostgebiete 1945 in einigermaßen prosperierenden Verhältnissen leben wollte, musste notgedrungen Nahrungsmittel und Rohstoffe importieren, die langfristig nur aus Exporterlösen zu finanzieren waren.
Die deutsche Außenhandelspolitik richtete sich also zwangsläufig nach Westen hin aus. Das hieß nach der Währungsreform 1948 für das zerstörte Westdeutschland: möglichst rasch die Rückkehr auf die Weltmärkte suchen, sich auf die Tugenden der Vorkriegszeit besinnen, den Export fördern, eben jene Produkte anbieten, die immer noch als „Made in Germany" attraktives Kaufangebot verkörperten.
Der Marshall-Plan erleichterte die Rückkehr Westdeutschlands auf die Weltmärkte und bedeutete zugleich die Hinwendung zur Philosophie des internationalen Liberalismus, Abbau von Handelsbeschränkungen im Waren‑ und Kapitalverkehr und Wiederherstellung des Freihandels, wie er vor dem Ersten Weltkrieg gang und gäbe war. Man kann die außenwirtschaftlichen Vorgänge, die in der Bundesrepublik durch Erhards Konzept der Sozialen Marktwirtschaft ihre binnenwirtschaftliche Ergänzung fanden, kaum überschätzen. Jahre später hat der Kanzler dies einmal treffend in einem Brief an seinen Wirtschaftsminister folgendermaßen charakterisiert: „Die europäische Integration war das notwendige Sprungbrett für uns", schrieb Adenauer am 13. April 1956 Erhard, „um überhaupt wieder in die Außenpolitik zu kommen. Europäische Integration ist auch um Europas Willen und damit um unseretwillen notwendig. Europäische Integration", führte er weiter aus, „war aber vor allem notwendig, weil die Vereinigten Staaten sie als Ausgangspunkt ihrer ganzen Europapolitik betrachteten und weil ich genau wie Sie die Hilfe der Vereinigten Staaten als absolut notwendig für uns betrachte." Hier sprach der Realpolitiker.
Als die Verträge über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und Euratom 1957 vorlagen, wies Adenauer auf die immensen Handelschancen der exportabhängigen deutschen Wirtschaft hin, den Ressourcenzugang an Kapital und Dienstleistungen und verteidigte die hohen finanziellen Opfer an Frankreich zur Unterstützung der französischen Überseegebiete damit, dass der internationale Handels- und Güteraustausch von Restriktionen befreit würden und damit allen Menschen zugute kämen. Doch begnügte sich der Kanzler nie allein mit der Wirtschaftsverflechtung. Er strebte immer die weitgehende politische Einigung an.
Europäische Einigung ist notwendig, weil sie hilft, politische Konflikte friedlich auszutragen und Frieden zu stiften, sowohl unter den Regierungen wie unter den Völkern.
Sein eigentliches Ziel der Verflechtung war stets eine politische Union. Würde ein gewisser Grad der Verflechtung unter den europäischen Staaten erst einmal erreicht sein, dann werde sich jeder Staat sehr wohl die Anwendung kriegerischer Mittel überlegen, weil der Schaden in jedem Fall größer ist als der Nutzen, schätzte der nüchterne Pragmatiker Adenauer. Europapolitik war eben diejenige Plattform, die einerseits politische Mitsprache ermöglichte und andererseits Interessengegensätze auf zivilisierte, diplomatische Art auszutragen erforderte. Es war ein Forum zur Krisenverhütung und Krisenbewältigung, getragen von dem Grundkonsens, dass der Interessenausgleich nicht zum einseitigen Nachteil eines vermeintlich schwächeren Partners erfolgen darf. Adenauer hatte sich stets gegen jede Form von Diskriminierung oder Ausschließung verwahrt, vor allem in der Englandfrage.
Um der europäischen Sache willen scheute er nicht vor Opfern zurück, selbst wenn es um Souveränitätsverzichte ging. Beeinflusst von den stark föderalistischen Vorstellungen jener Jahre zwischen 1948 und 1950/51, enthielten seine Reden immer wieder die Forderung nach einem Souveränitätsverzicht der westeuropäischen Demokratien zugunsten eines europäischen Bundesstaates. Natürlich fiel unter damaligen Gegebenheiten der Besatzung den Deutschen der Souveränitätsverzicht leichter als den übrigen Nachbarstaaten. Jedoch wusste Adenauer ebenso gut, dass ein souveräner westdeutscher Staat nur wieder in der internationalen Staatengemeinschaft gleichberechtigt aufgenommen und respektiert würde, wenn er bereit war, sich bedingungslos diesem Integrationsprozess zu verschreiben, ja seine eigene staatliche Existenz damit zu verknüpfen.
Europäische Integration bietet die nötige Rückversicherung für die nationale Sicherheit aller Völker.
Adenauer vertrat stets die Meinung, ein Staat findet nur dann Anerkennung, wenn er auch über entsprechende Streitkräfte verfügt. Das diplomatisch geschickt eingefädelte Angebot einer deutschen Wiederbewaffnung konnte er sich nur im europäisch‑atlantischen Verbund vorstellen. Er hat den Aufbau einer deutschen Armee nie als Einzelwerk gesehen. Dafür brachte er den Deutschen doch zu wenig Vertrauen entgegen. Den Sicherheitsbedürfnissen der westlichen Nachbarstaaten, insbesondere Frankreichs, konnte man seiner Ansicht nach nur durch Verflechtung näher kommen. Wie umgekehrt, die Bundesrepublik ihre Existenz nur im Verbund mit den Staaten Westeuropas und den Vereinigten Staaten vor der Bedrohung aus dem Osten zu sichern vermochte. Die militärische Integration war also von Beginn an eine doppelte: Sie geschah im Interesse der Sicherheit sowohl Deutschlands als auch der Bündnispartner. Es war und bleibt heute noch Rückversicherungspolitik par excellence.
Europäische Integration ist das geeignete Mittel, das Wiedererstarken des übertriebenen Nationalismus zu bekämpfen.
Integration war für Adenauer das Hauptargument zur Bewältigung der deutschen Frage und zur Bekämpfung jeglicher nationalistischer Ideologien. Ihm war von Anfang an klar, dass nicht alle deutschen Parteien bedingungslos den Westintegrationskurs steuern, im Zweifelsfall gar um der staatlichen Einheit willen ein unsicheres gesamtdeutsches Gebilde den naheliegenden Freiheiten vorziehen würden. Doch um so größer waren seine Anstrengungen, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln die Bundesrepublik Deutschland im Westen zu verankern. Freiheit und Integration rangierten vor der Wiedervereinigung, ja waren letztlich der Weg dorthin - was sich 1989/90 bewahrheitete.
Wiedervereinigung statt Westintegration ‑ um diese Frage drehten sich ab 1952 die bekannten innenpolitischen Kontroversen in der Bundesrepublik. Diese Ziele waren für den Kanzler kein unüberwindbarer Gegensatz. Da sich Wiederaufbau, Sicherheit, Freiheit, Souveränität und Gleichberechtigung mit dem Konzept der Westintegration erreichen ließen, musste das letzte große Ziel - die Wiedervereinigung Deutschlands - auch deshalb zurückstehen, weil sie mit diesem Ansatz ohne Einwilligung der Sowjetunion nicht zu realisieren war. Hierzu bedurfte es des Ost‑West-Konsenses.
Die Einbindung in den Westen sollte die Deutschen davon abhalten, sich in nationalistische Abenteuer zu stürzen, die Demokratie festigen und Sicherheit im Inneren garantieren. Der deutsche Nationalismus durfte keine völlige politische Autonomie besitzen, er musste integriert sein in die westliche Staatengemeinschaft. Und das galt in Adenauers Augen umso mehr für ein wiedervereinigtes Deutschland, das Mitglied der europäischen Staatengemeinschaft sein sollte ‑ so jedenfalls war es im Deutschlandvertrag von 1954 festgelegt worden. Die deutsche Frage war seiner Ansicht nach letztlich nur unter dem europäischen Dach lösbar. Ein Verbundsystem, das allerdings über die Grenzen des westeuropäischen Bündnisses hinausging und auch Osteuropa, vor allem das katholische Polen, umfasste. In diesem europäischen Rahmen schwebte Adenauer bereits 1952 auch die dauerhafte Lösung der Oder-Neiße-Frage vor.
Quelle: Bundesarchiv, Bestand Film: F 001711
Konrad Adenauer sah in dem Kalten Krieg einen Machtkampf zwischen der Sowjetunion und den Völkern des freien Westens.
Die Pariser Verträge brachten der Bundesrepublik weitgehende Souveränität und regelten ihre Wiederbewaffnung im Rahmen der NATO.
Nur zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden in der Bundesrepublik die ersten Soldaten der Bundeswehr vereidigt.
Im April 1953 brach Konrad Adenauer zu einer ausgedehnten Reise in die USA auf. Es war der erste Amerika-Besuch eines deutschen Regierungschefs überhaupt.