Rhöndorfer Ausgabe Online
An Bürgermeister Rudolf H. Petersen
, HamburgStBKAH 08.05
Sehr verehrter Herr Petersen!
Seit unserem Zusammensein in Hiltrup1 hat die parteipolitische Entwicklung hier im Westen einen so schnellen Fortgang genommen, daß ich Sie darüber unterrichten möchte. Die Schnelligkeit der Fortentwicklung wurde namentlich auch bestimmt durch die Agitation der KPD und der SPD, die bemüht sind, namentlich in den Betrieben eine bis ins Einzelne gehende Organisation aufzubauen. Morgen, am 2. September, wird nun sowohl in Köln für die Rheinprovinz wie auch in Westfalen die Christlich-Demokratische Partei gegründet. Die evangelischen Kreise – auch diejenigen aus Elberfeld/Barmen, Essen, dem Oberbergischen und Westfalen – beteiligen sich sehr rege. Von evangelischer Seite sind auch Fühler nach Süddeutschland ausgestreckt worden, und zwar mit bestem Erfolg. Unter den früheren Anhängern des Zentrums ist eine kleine Opposition vorhanden gegen die Aufgabe des Namens und der Partei. Diese Opposition ist aber nicht nennenswert. Die hohen kirchlichen Kreise halten sich auf katholischer Seite sehr zurück, sind aber mit der Entwicklung durchaus einverstanden. Was das Programm angeht, so wird man sich wohl auf die Herausstellung allgemeiner Grundsätze beschränken: Staatsführung nach christlichen Grundsätzen, d.h. nach den Grundsätzen, wie sie sich im Abendlande im Laufe der Jahrhunderte auf christlicher und humanistischer Grundlage entwickelt haben. Daß die Partei demokratisch ist, geht schon aus ihrem Namen hervor. Sie soll auch stark sozial arbeiten, nicht sozialistisch. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß die Entwicklung letzten Endes zur Folge haben wird, daß auf der einen Seite die auf materialistischem Boden stehenden Parteien, SPD und KPD, stehen, auf der anderen Seite die Christlich-Demokratische Partei. Was die Entwicklung der SPD angeht, so hält man es, von hier aus betrachtet, nicht für ausgeschlossen, daß von starken Teilen der SPD, namentlich den jüngeren, eine entschiedene Anlehnung an die KPD gewünscht und durchgesetzt wird. In Köln z.B. ist zwischen SPD und KPD eine Arbeitsgemeinschaft geschlossen2. Das Gleiche soll in Düsseldorf der Fall sein. Wenn dem so ist, so kann man daran denken, daß auf dem rechten Flügel der Sozialdemokratie stehende Leute im Laufe der Entwicklung zu der Christlich-Demokratischen Partei stoßen werden.
Dieser Tage waren Herr Dr. v. Poll und Herr Paulus hier. Sie schilderten mir die Lage in Hamburg, sprachen auch besonders über Sie. Herr Oberbürgermeister a.D. Lehr, früher in Düsseldorf, und ich werden in den Vorstand der rheinischen Partei eintreten. Wir glauben, daß die augenblickliche Lage – sowohl die innenpolitische wie die außenpolitische – verlangt, daß Leute, die über Ansehen verfügen, sich politisch zur Verfügung stellen. Ich würde mich ganz besonders freuen, wenn auch Sie dieser Ansicht beitreten würden bezüglich Ihrer Person. Ich glaube, daß gerade Ihr Beitritt eine außerordentlich große Bedeutung für die Christlich-Demokratische Partei haben würde. Die Breite ihrer Basis würde dadurch wesentlich unterstrichen werden.
Als wir in Hiltrup sprachen, war ich noch nicht ganz im Reinen mit mir selbst über das, was zu geschehen habe. In der Zwischenzeit bin ich mir völlig klar darüber geworden und halte die Gründung dieser Partei für eine absolute Notwendigkeit im Interesse unseres Volkes. Wie wünschenswert es ist, daß nur sehr wenige große Parteien entstehen, brauche ich Ihnen ja nicht zu sagen. Was die Frage des Namens angeht, so läßt sich gegen den Namen »Christlich-Demokratisch« manches sagen. Es spricht auch manches dafür. Ich glaube, man sollte sich nicht zu lange damit aufhalten. Wir meinen aber entschieden, daß der Namen »Union«, wie die Berliner Herren ihn gewählt haben, nicht genommen werden sollte, und zwar aus folgendem Grunde: Man kann nicht wissen, welche Wege die Christlich-Demokratische Union unter dem Drucke der Russen einmal einschlagen wird. Es würde dadurch evtl. einer gegnerischen Agitation sehr wertvolles Material gegeben werden können. Wie hielten es für notwendig, das Wort »christlich« in den Parteinahmen aufzunehmen, abgesehen von den prinzipiellen auch aus folgenden taktischen Erwägungen: Die »christlichen Gewerkschaften« sind nicht mehr. Der Name »Zentrum« und sein Parteiprogramm wird fallen gelassen. Wenngleich das Wort »Zentrum« an sich farblos ist, so hat doch der Parteiname im Laufe der letzten Jahrzehnte eine ausgesprochen christliche Bedeutung erhalten. Wenn man nunmehr bei der neu zu gründenden Partei das Wort »christlich« fortlassen würde, so würden ganz sicher sehr viele bisherige Anhänger der Zentrumspartei kopfscheu werden. Ich weiß auch nicht, ob die »Demokratische Partei« von früher her ein besonders großes Ansehen bei der Bevölkerung hat. Ich darf darauf hinweisen, daß sie von 75 Reichstagssitzen im Jahre 1919 auf 2 Sitze im Jahre 1932 gesunken ist3. Schon aus diesem Grunde empfiehlt es sich wohl nicht, eine demokratische Partei schlechthin zu gründen. Im übrigen wird Herr Dr. v. Poll sicher gerne bereit sein, Sie über den Inhalt unserer Unterredung weiter ins Bild zu setzen.
Ich hoffe, daß es Ihnen gut geht, und bin
mit vielen Grüßen
Ihr ergebener
Zu den Bestrebungen nach Zusammenarbeit zwischen SPD und KPD im Nachkriegs-Köln, zugleich zur Korrektur der hier von Adenauer vergröbernd dargestellten Kooperationsversuche vgl. Otto Dann, Die Anfänge, S. 162f. und Reinhold Billstein, Organisation, S. 185-187.
Die Deutsche Demokratische Partei (der der Bruder Petersens, Carl Petersen, Präsident des Hamburger Senats vor 1933, angehört hatte) erreichte bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 19.1.1919 18,5 % der Stimmen (= 75 Sitze); die aus ihr 1930 hervorgegangene Deutsche Staatspartei kam bei den Reichstagswahlen vom 6.11.1932 auf 1 % bzw. 2 Abgeordnetensitze.