Rhöndorfer Ausgabe Online

13. April 1946 (Rhöndorf)

Aktennotiz über eine Besprechung bei Stadtdechant Robert Grosche

, Köln

StBKAH 08.55


Am 9. April 1946 war im Hause des Stadtdechanten Grosche in Köln eine erneute Zusammenkunft1. An Ihr nahmen teil die Herren

                                    Hamacher,
                                    Spiecker,
sowie                          Ballensiefen      }          Siegburg
und                             Henseler
ferner                         Stadtdechant Grosche
und die Dechanten     Schreiber          }          Köln
und                              Gickler
und                              der Unterzeichnete.

Die Verhandlung begann damit, daß Herr Spiecker und Herr Hamacher sich beschwerten über die Verbreitung meiner Aktennotiz über die Besprechung am 14.3.1946 mit Herrn Strunk. Ich habe den Herren erklärt, daß ich diese Veröffentlichung, die absolut gegen meinen Willen erfolgt sei, bedauere. Die Herren erklärten sich damit zufriedengestellt. Herr Hamacher bat mich dann, die Aktennotiz zu verlesen. Ich habe das getan. Herr Spiecker hat nicht ihre Richtigkeit bestritten, sondern nur gesagt, daß sie etwas konzentriert sei. Darauf hat Herr Spiecker eine sehr lange Abhandlung verlesen, die er verfaßt hatte und die im wesentlichen dasselbe enthielt, was er mir in der Besprechung am 14.3.46 erklärt hat. Es gab auch eine sehr ausgedehnte, stellenweise sehr hitzige Debatte, in deren Verlauf die Herren Schreiber und Gickler erklärten, die Herren Hamacher und Spiecker nennten ihre Partei zu Unrecht »Zentrum«. Nach den von Herrn Spiecker vorgetragenen Grundsätzen habe die neue Partei mit dem früheren Zentrum gar nichts gemein. Sie würden, wenn sie von Pfarrkindern darum gefragt würden, diesen entschieden widerraten, an Zentrumsversammlungen teilzunehmen oder in diese Partei einzutreten. Der Verlauf der ganzen Versammlung zeigte, daß die Herren Hamacher und Spiecker völlig verschiedener Meinung sind, daß mit der durch Herrn Spiecker vertretenen Richtung ein Paktieren unmöglich ist. Herr Spiecker gab auch zu, daß ihm letzten Endes vorschwebe die Gründung einer neuen Partei, ähnlich wie die Labour-Party in England, der der linke Teil der CDU und der rechte Teil der SPD angehören soll. Zum Schluß fragten die Herren Spiecker und Hamacher, ob nicht eine Arbeitsgemeinschaft zwischen dem Zentrum und uns möglich sei. Ich habe erklärt: »Nein, zwischen einer Partei, die das Wort ›christlich‹ bewußt und gewollt streicht, und uns gäbe es nur noch Kampf!«2

Adenauer


  1. ^

    Zum Vergleich mit der nachfolgenden Darstellung ist heranzuziehen: der bereits von Hans Georg Wieck (Die Entstehung, S. 150) ausführlich zitierte, auch Adenauer zugeleitete und in StBKAH erhaltene Bericht Schreibers vom 15.5.1946 über dasselbe Treffen, der sich mit Adenauers Wiedergabe in zentralen Punkten deckt (Position Spieckers bzw. die durch sie hervorgerufene ›Verblüffung‹; Feststellung der Unvereinbarkeit am Ende), hinsichtlich der Widersprüche (Adenauer) bzw. des teilweisen Einverständnisses (Schreiber) zwischen Hamacher und Spiecker aber divergiert.

  2. ^

    In diesem Sinne wählte Adenauer nunmehr auch in öffentlichen Erklärungen eine verschärfte Gangart gegenüber dem Zentrum; hierzu seine Wuppertaler Rede vom 5.5.1946 – vgl. Anm. 3 des Briefes an Otto Schmidt vom 2.3.46 – und ein daran anknüpfendes CDU-Flugblatt ›Dr. Adenauer über das neue Zentrum‹, das für sehr massive Beitrittswerbung genutzt wurde.