Rhöndorfer Ausgabe Online

14. Februar 1946 (Rhöndorf)

An Landrat Wilhelm Heile

, Syke

Original in BArch NL 1132, Durchschlag an Dr. Georg Strickrodt


Sehr geehrter Herr Heile!

Nach Rücksprache mit einigen Parteifreunden kann ich heute zur Vorbereitung eines mündlichen Austausches ausführlicher auf die Anlagen Ihres Briefes vom 2.2.46 eingehen1.

Zwischen uns bestehen m. E. nur in sehr wenigen Punkten verschiedene Auffassungen. Ich glaube aber, daß auch hier eine mündliche Besprechung Übereinstimmung ergeben wird, ein Ergebnis, das ich sehr wünsche und sehnlichst erhoffe.

Erlauben Sie mir, in folgendem zur Vorbereitung dieser Besprechung diese Verschiedenheiten zu besprechen.

1. In Ziffer 1 Ihrer Richtlinien sagen Sie: »Die Grenzen dieser Selbständigkeit bestimmt das Reich. Das Reich allein führt und bestimmt die Politik.«2 – In unserm Programmentwurf heißt es: »Die Reichseinheit muß gewahrt bleiben. Deutschland soll ein demokratischer Bundesstaat mit weitgehender Dezentralisation werden. Zentrale Einrichtungen sollen geschaffen werden insoweit, als sie notwendig sind, um den Zusammenhalt des Bundesstaates zu sichern.« Ich glaube nicht, daß die verschiedenen Formulierungen, die wir haben, verschiedene Grundauffassungen zum Ausgangspunkt haben.

2. Die Schulfrage3.
Die CDU steht prinzipiell auf dem Standpunkte, daß für die weltanschauliche Gestaltung des Volksschulwesens nicht der Staat, sondern der Wille der Erziehungsberechtigten maßgebend sein soll. Das ist eine so völlig aus dem Wesen der Demokratie sich ergebende Forderung, daß ich bestimmt annehme, Sie werden dem zustimmen. – Nun handelt es sich noch um die vorläufige Regelung, d. i. bis zur Regelung durch ein Gesetz, das von einem in freien Wahlen zustandegekommenen Parlament zu verabschieden ist. Dazu ist folgendes zu sagen. In Preußen war, wie Sie wissen werden, bis 1938 die bekenntnismäßig gegliederte Volksschule die »Regelschule«, in Baden z. Bspl. war es die Gemeinschaftsschule. Das Reichskonkordat vom 20.7.1933 hielt bezüglich der bestehenden katholischen Volksschulen den bestehenden Rechtszustand aufrecht. Erst nach 1938 hat die nationalsozialistische Regierung unter Bruch des bestehenden Rechts und des Konkordats die Bekenntnisschule beseitigt und durch die sogenannte deutsche Einheitsschule ersetzt4.

Wir alle stehen doch auf dem Standpunkte, daß die Rechtsbrüche, die der Nationalsozialismus begangen hat, beseitigt werden müssen und daß der frühere Zustand wiederhergestellt werden muß, bis etwa ein ordentliches Parlament neues Recht schafft. Auf die Volksschulen angewandt würde dieser Grundsatz bedeuten, daß die Verhältnisse, wie sie vor dem Rechtsbruch bestanden haben, wiederhergestellt werden müssen, in Preußen also die bekenntnismäßig gegliederte Volksschule als Regelschule, in Baden z. Bspl. die Gemeinschaftsschule. Die endgültige Regelung soll u. E. später das Parlament treffen unter Wahrung des oben an die Spitze gestellten Prinzips, daß der Wille der Eltern entscheiden soll. – Man würde es bei uns in den weitesten Kreisen nicht verstehen, wenn ausgerechnet auf dem Gebiete des Volksschulwesens von dem allgemeinen Prinzip, das von den Nationalsozialisten gebrochene Recht wiederherzustellen, abgewichen werden und der Rechtsbruch der Nationalsozialisten aufrecht erhalten werden sollte. Wir würden geradezu mit einem Entrüstungssturm zu rechnen haben und dem Zentrum Wasser auf die Mühle leiten. – In unsern Reihen sind Anhänger der confessionellen und der Gemeinschaftsschule, und zwar sowohl auf katholischer wie auf evangelischer Seite. Ich glaube, daß beide Richtungen sich mit der Wiederherstellung des früheren Zustandes und der Feststellung des oben wiederholt gekennzeichneten Prinzips – der Wille der Eltern soll entscheidend sein – für die zukünftige Regelung einverstanden erklären werden.

Ich hoffe sehr, daß auch Sie unter Berücksichtigung der oben geschilderten Entwicklung und gegenwärtigen Lage sich damit einverstanden erklären können.

3. Aus Ihrem Schreiben an Herrn Oberpräsident Stel[t]zer vom 13.1.46 scheint mir hervorzugehen, daß Ihnen das Wort »christlich« im Parteinamen nicht gefällt. Ich bitte, aus dem zur vertraulichen Kenntnis beigefügten Programmentwurf zu sehen, wie das Wort gemeint ist. Wir wollen keine Religionsgemeinschaft oder dgl., wir verlangen nicht von unsern Mitgliedern, daß sie sich zu einem bestimmten christlichen Bekenntnis bekennen. Denn wir sind eine politische Organisation und wollen nichts anderes sein. Unsere Partei steht jedem offen, der sich zur christlich-humanistischen Weltanschauung und den ethischen Grundsätzen des Christentums bekennt. Wir erblicken wie Sie in der materialistischen Weltauffassung den Todfeind des deutschen Volkes und überhaupt Europas, ihn wollen wir bekämpfen, der materialistischen Weltauffassung die christliche, seinen Grundsätzen die der christlichen Ethik gegenüberstellen.

Sie erwähnen in dem Briefe an Bischof Berning den Gegensatz zwischen Materialismus und Idealismus. Ich glaube, daß nur eine kleine Schicht im deutschen Volke verstehen wird, was hier unter Idealismus gemeint ist. Auch der Name Ihrer Partei scheint uns das Wesentliche auch Ihrer Auffassung nicht genügend klar zum Ausdruck zu bringen, der Name »christlich-demokratische Union« scheint uns besser zu sein.
Ich meine, wir müßten zueinander kommen. Es steht zu viel auf dem Spiel für unser Volk. Ich unterschreibe jedes Wort, das Sie darüber sagen. Ich schlage Ihnen vor, daß wir uns in Opladen treffen. Sie haben sicher Gründe gehabt, die Sie damals veranlaßten, Opladen zum Ort Ihrer Gründung zu wählen. Ich kann Opladen von hier aus gut erreichen. Nach Osnabrück kann ich leider nicht kommen, ich bin zur Zeit zu sehr in Anspruch genommen. Bitte schlagen Sie telegraphisch einige Termine vor.

Ich bin mit ergebensten Grüßen
Ihr
Adenauer

[P.S.] Mir würde ein Tag zwischen dem 17. und dem 23.2. abgesehen vom 20.2. sehr passen5.
‹Ich füge zur vertraulichen Kenntnisnahme noch bei: Abschrift eines Briefes, den ich an Herrn Schlange-Schöningen gerichtet habe, ferner den Programmentwurf.›


  1. ^

    Mit diesem in StBKAH 08.68 erhaltenen Schreiben hatte der im Januar 1946 in Opladen an die Spitze der norddeutschen FDP-Verbände gewählte Heile Adenauer von seinen Bemühungen »um einen Zusammenschluß aller demokratischen Gruppen« in Kenntnis gesetzt. In diesem Sinne von ihm bereits angeschrieben, wie aus den Anlagen hervorgeht: Oberpräsident Theodor Steltzer (Schreiben vom 13.1.1946), Bischof Wilhelm Berning, Osnabrück (Schreiben vom 16.1.1946) und der oldenburgische Ministerpräsident Theodor Tantzen (Schreiben vom 16.1.1946). Zum Ergebnis der Bündnisbestrebungen Heiles vgl. die von ihm 1947 veröffentlichte Schrift ›Abschied von der FDP‹.

  2. ^

    Vgl. die Programmatischen Richtlinien der FDP vom 4.2.1946; Druck: Ossip K. Flechtheim (Hg.), Dokumente Bd. 2, S. 272.

  3. ^

    Die schulpolitische Position der FDP nach Ziffer 7 ihrer Richtlinien (ebd., S. 274): »Wir fordern … die Gemeinschaftsschule, in der die von ihrer Kirche anerkannten Lehrkräfte konfessionellen Religionsunterricht erteilen«.

  4. ^

    Zur nationalsozialistischen Schulpolitik vgl. Karl Dietrich Erdmann, Die Zeit der Weltkriege, S. 420-427.

  5. ^

    Vgl. das Schreiben an Wilhelm Heile vom 22.2.1946.

  6. ^

    Von Adenauer hs. eingefügt.