Rhöndorfer Ausgabe Online

14. Mai 1946 (Rhöndorf)

An Brigadier John Barraclough

, Düsseldorf

StBKAH 06.05, Diktatzeichen »A/S«, Datum ms. korrigiert aus »15« in »14«.5.1946. Druck (ohne den letzten Satz): Konrad Adenauer, Erinnerungen 1945-1953, S. 196f.


Sehr geehrter Herr Brigadier!

Der Aufforderung des Herrn Oberpräsidenten Dr. Lehr nachkommend1, erlaube ich mir, im folgenden die Ansichten der Christlich Demokratischen Union der Nord-Rheinprovinz über ihre Beteiligung bei dem jetzt in Bildung begriffenen Provinziallandtag klarzulegen. Ich habe diese Fragen mit den maßgebenden Organen der Partei besprochen, ehe ich die vertrauliche Mitteilung des Herrn Oberpräsidenten Lehr erhielt.
Wir gehen davon aus, daß die britische Militär-Regierung bei der Ernennung der Mitglieder von der Absicht geleitet wird, der Stärke der politischen Parteien innerhalb der Bevölkerung nach Möglichkeit bei der Verteilung der Sitze gerecht zu werden. Diese Stärke genau zu beziffern, ist naturgemäß schwierig. Immerhin bieten sich verschiedene Anhaltspunkte, aus denen man Schlüsse über dieses Stärkeverhältnis ziehen kann. Als solche Anhaltspunkte glauben wir betrachten zu können: das Ergebnis der letzten Wahlen zum Rheinischen Provinziallandtag im Jahre 1929, die Ergebnisse der letzten freien Reichstagswahlen im Jahre 1932 sowie die Wahlen in der amerikanischen Zone, die im Januar und April dieses Jahres stattgefunden haben, auch in gewissem Umfange die Ergebnisse der Abstimmung über die konfessionelle Volksschule, die in der Nord-Rheinprovinz unlängst gewesen ist2.

Was insbesondere die Wahl in der amerikanischen Zone angeht, so glauben wir mit Recht sagen zu können, daß die Verhältnisse in dieser Zone und die Verhältnisse in der Nord-Rheinprovinz früher wie jetzt in hohem Maße gleichartig sind. Ich darf bei der Beurteilung des Ergebnisses der Wahlen in der amerikanischen Zone noch besonders darauf hinweisen, daß bei der zweiten Wahl im April 1946 unsere dortigen Bruderparteien gegenüber der ersten Wahl einen erheblichen Stimmenzuwachs erhalten haben, während die Sozialdemokratische Partei in erheblichem Umfange Stimmen eingebüßt hat. Es läßt sich also vielleicht aus der Gegenüberstellung der beiden Wahlen eine gewisse Entwicklungstendenz in der Auffassung der Wähler erkennen.

Bei aller gebotenen Zurückhaltung glauben wir mit absoluter Sicherheit, das eine für die Nord-Rheinprovinz sagen zu können3: die KPD und die SPD werden zusammen nicht die Mehrheit der Stimmen bei einer Wahl, die jetzt etwa abgehalten würde, erhalten. Die bei weitem stärkste Partei würde ganz zweifellos die Christlich Demokratische Union sein.

Was das Zentrum und die Demokratische Partei angeht, so wird unseres Erachtens die Stärke des Zentrums erheblich überschätzt. Das Zentrum ist in der Nord-Rheinprovinz zweifellos schon im Rückgang befindlich. Wir glauben nicht, daß es eine irgendwie nennenswerte Stimmenzahl auf sich wird vereinen können, abgesehen von einigen kleineren Orten, in denen besondere Verhältnisse vorliegen. Die Demokratische Partei hat in der Nord-Rheinprovinz niemals eine Bedeutung gehabt; sie wird [sie] auch in Zukunft nicht haben. Überraschend ist bei den Wahlen in Württemberg, daß selbst dort, wo vor 1933 die Demokratische Partei eine überzeugte traditionelle Wählerschaft hatte, nur ein geringer Prozentsatz der Stimmen (11%) für sie abgegeben worden sind.

Wenn Sie, sehr geehrter Herr Brigadier, eine mündliche Erläuterung wünschen, so stehen meine Parteifreunde und ich Ihnen jederzeit gern zur Verfügung.

Mit ausgezeichneter Hochachtung
Ihr sehr ergebener


  1. ^

    Hierzu Schreiben Lehrs an Adenauer vom 8.5.1946.

  2. ^

    Zu dem hier angestellten Vergleich mit Wahlen vor 1933 und nach 1945 vgl. Anm. 1 des Schreibens an Karl Scharnagl vom 7.2.1946, Anm. 4 des Schreibens an Robert Lehr vom 19.3.1946 und Anm. 1 vom 13.4.1946. Mittlerweile hinzugekommen – und von Adenauer im nachfolgenden erörtert –: die am 28.4.1946 in der amerikanischen Zone durchgeführten Landkreiswahlen, die – in Verbindung mit den Stadtkreiswahlen vom 26.5.1946 – der CSU in Bayern 60,1 % (SPD: 28,1 %, FDP: 2,3 %, KPD: 4,9 %), der CDU in Hessen 36,9 % (SPD: 43,2 %, FDP: 7,3%, KPD: 9,3 %) und der CDU in Württemberg-Baden 30,2% der Stimmen gebracht hatten (SPD: 32%, FDP/DVP: 19,5 %, sonstige: 18,3 %).

  3. ^

    Auf die nachfolgende Briefpassage verweist ausführlich: Walter Först, Geschichte, S. 58f. Först ergänzend zur Auswirkung des Adenauer-Schreibens: »Offenbar haben diese Darlegungen auf die Militärregierung keinen Eindruck gemacht, denn diese folgte ihnen auch im Hochsommer bei der Zusammensetzung des ernannten Landtags nicht« (ebd., S. 59).