Rhöndorfer Ausgabe Online

16. April 1946 (Rhöndorf)

An Hugo Efferoth

, La Paz, Bolivien

StBKAH 07.01


Sehr geehrter Herr Efferoth1!

Vor einigen Tagen erhielt ich Ihren Brief vom 23. August 19452. Ich habe mich sehr gefreut, von Ihnen ein Lebenszeichen zu erhalten. Ich hatte wiederholt mich nach Ihnen erkundigt, aber keinen getroffen, der Auskunft geben konnte. Herr Suth hat keinesfalls einen Brief von Ihnen erhalten, sonst würde er es mir mitgeteilt haben. Vielleicht haben Sie in der Zwischenzeit nähere Nachrichten von hier bekommen. Ich will Ihnen aber auf alle Fälle einen kurzen Überblick geben.

Köln ist in seinen Hauptteilen zerstört. Es zählt zwar wieder z. Zt. 500.000 Einwohner. Aber schätzungsweise wohnen 1/3 davon in Kellern oder mehr oder weniger zerstörten Gebäudeteilen. Ich habe manche deutsche Stadt in der letzten Zeit gesehen, aber keine große Stadt gefunden, die so zerstört ist wie Köln. Der Dom steht noch, aber große Teile des Daches sind abgedeckt. Die Gewölbe sind zum größten Teil eingestürzt. Immerhin, er läßt sich wieder herstellen. Vom Rathaus ist kaum noch etwas vorhanden. Die Vorhalle steht noch und ein Teil des Turms, sonst nichts. Vom Gürzenich stehen noch die 4 Umfassungsmauern. Die alten Kirchen Köln's sind sehr schwer zerstört. Sie lassen sich aber nach der Behauptung der Architekten, wenn erst genügend Materialien und Menschen zur Verfügung stehen, doch in etwa wieder aufbauen.

Es sieht sehr ernst aus hier! Größte Arbeitslosigkeit, eine sehr schwere Ernährungskatastrophe. Keine Aussicht auf Besserung. Am besten geben Ihnen folgende Ziffern ein Bild von der Lage in Köln:

Geburtenziffer monatlich rd. 250,

Sterblichkeitsziffer monatlich rd. 650.

Ansteckende Krankheiten herrschen nicht in besonderem Maße. Die Menschen sterben an Schwäche.

Was aus allem werden soll, ist noch völlig unübersichtlich. Ich glaube aber, daß noch viele Millionen in Deutschland sterben werden. Die Menschen sind meistens apathisch und hoffnungslos, die Jugend verwildert und verkommen.

Die Verhältnisse von 1918 lassen sich auch nicht im entferntesten mit den Verhältnissen von heute vergleichen.

Was mich persönlich angeht, bin ich sehr verfolgt worden, war mehrfach verhaftet, bis Ende November 1944 im Gefängnis. Auch meine Frau war im Gefängnis.

Ich wohne seit 1937 in Rhöndorf b/Honnef. Sie werden es sicher kennen. Es liegt ja am Fuße des Drachenfelsen. Ich wurde von den Amerikanern nach Köln gebeten, die Stelle des Oberbürgermeisters wieder zu übernehmen, habe das auch getan, wurde dann Anfang Oktober 1945 von den Engländern entlassen. In der Zwischenzeit ist in der britischen Zone von der Militärregierung die englische Städteordnung eingeführt worden, die eine Zweiteilung der Verwaltung vorsieht: einen politischen Oberbürgermeister, der im Grunde genommen nur Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung, die über alles entscheiden soll, sein soll und einen Oberstadtdirektor, der unpolitisch sein soll und der tatsächlich die Verwaltung leitet.

In Köln ist z. Zt. Oberbürgermeister: der frühere Staatssekretär Pünder, Oberstadtdirektor: mein Schwager Suth.

Vielleicht interessieren Sie auch einige persönliche Angaben.

Nach meiner Entlassung aus dem Amt als Oberbürgermeister durch die Engländer habe ich den Vorsitz der Christlich-Demokratischen Union der Rheinprovinz und des Zonenausschusses der Christlich-Demokratischen Union für die britische Zone übernommen. Die CDU fußt auf den Grundsätzen des Christentums und der christlichen Ethik. Sie umfaßt Katholiken und Protestanten.

Die Sozialdemokratie wird in Köln geführt von Herrn Görlinger, der auch Vorsitzender der Stadtverordnetenfraktion ist. Vorsitzender der CDU-Fraktion ist Herr Schaeven.

Herr Rings lebt noch. Er ist nahezu 90 Jahre alt, körperlich behindert, geistig sehr frisch. Er war als Ausgebombter längere Zeit in der russischen Zone und konnte von dort nicht zurück. Dadurch hat er körperlich sehr gelitten. Er hat sich aber wieder erholt.

Herr Mönnig ist über 80 Jahre alt, völlig blind. Er wohnt in Godesberg. Herr Falk hatte sich mit seiner Frau in Brüssel verborgen und ist dort im Dezember 1944 gestorben.

Es würde mich freuen, wenn Sie zurückkommen würden3. Deutschland braucht erfahrene Männer. Es gibt sehr wenige tüchtige Leute. Die beiden Kriege haben sehr große Lücken gerissen, und Nachwuchs ist infolge des verheerenden Einflusses der NSDAP nicht da. Aber wie können Sie es möglich machen zurückzukommen? Von hier aus kann z. Zt. nichts geschehen. Vielleicht setzen Sie sich mit Herrn Sollmann in Verbindung, der mir vor einiger Zeit schrieb. Seine Adresse ist:

William F. Sollmann 
Pendle Hill 
Wallingford, PA.

Möglicherweise kann er Ihnen einen Rat geben. Wenn es z. Zt. nicht geht, dann warten Sie in Geduld. Wir brauchen alle sehr viel Geduld! Es ist unsere einzige Stärke.

Seien Sie herzlich gegrüßt von
Ihrem ergebenen
(Adenauer)

 


  1. ^

    Angaben zu Adenauer-Kontakten Efferoths vor 1933 bei Ekkhard Häussermann, Konrad Adenauer und die Presse, S. 239, 243, 246.

  2. ^

    Mit diesem Brief (der Adenauer durch »Vermittlung der vatikanischen Mission« in Bonn erreicht hatte; hierzu ein Adenauer-Schreiben an »Herrn Rybski« vom 16.4.1946; vgl. Anm. 1 des Schreibens an Ulrich Noack vom 8.4.1946) hatte Efferoth um »ein einziges Lebenszeichen an Ihren ›roten‹ Efferoth [gebeten], dessen Röte Zeiten, die nicht mehr denen der gemütlichen Parteizahlabende gleichen, erheblich abgeschliffen haben.«
    Angesichts der Haltung Adenauers im Frühjahr 1933 sei ihm noch lebhaft in Erinnerung, »wie da inmitten von Feigheit und Verlogenheit, von Karrieresucht und wahrem Vaterlandsverrat, von Blödheit und Bauernschlauheit wenigstens einer noch war, der aufrecht im Maelstrom der menschlichen Erniedrigung stand…« 

  3. ^

    Efferoths im August 1945 geäußerter Wunsch nach »Repatriierung« sollte sich nicht erfüllen; auch erreichte ihn diese Antwort Adenauers nicht mehr, da er am 4.4.1946 in La Paz verstorben war.