Rhöndorfer Ausgabe Online
An Professor Dr. Ulrich Noack
, DarmstadtStBKAH 07.11
Sehr geehrter Herr Professor!
Gestern, am 7. d. Mts., überbrachte mir ein sich Rybski nennender Herr einen Brief vom 3.4.461,den Sie an Herrn Bidault, den Außenminister der französischen Republik, gerichtet haben. In diesem Brief mit seinen Anlagen entwickeln Sie Ansichten über das zukünftige Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland. Sie schreiben darin:
»Ebenso bin ich sicher, daß Herr Adenauer als leitende Persönlichkeit der CDU in der britischen Zone diese Grundsätze billigt.«
Ich erlaube mir die Frage, worauf Sie diese Annahme stützen. Ich billige diese Grundsätze nämlich keineswegs und bitte Sie daher dringend, sich nicht irgendwie auf mich zu berufen. Meine Ansichten habe ich in verschiedenen öffentlichen Versammlungen wie folgt präzisiert:
»Ich verstehe das Verlangen Frankreichs und der übrigen westlichen Nachbarn Deutschlands nach Sicherheit. Ich bin auch in der Vergangenheit immer für eine Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich eingetreten. Ich erblicke aber in einer Abtrennung des Ruhrgebietes und des Rheinlandes von Deutschland keine dauernde und keine konstruktive Lösung der Frage. Eine konstruktive Lösung erblicke ich allein in der Gründung der Vereinigten Staaten Europas unter Führung von England und Frankreich. Zu diesen Vereinigten Staaten von Europa muß auch Deutschland gehören! Eine Lostrennung wesentlicher Gebiete von Deutschland würde zu einem Verkümmern des übrigen Deutschlands und damit zur Bildung eines Krankheitsherdes mitten in Europa führen. Bis zur Gründung der Vereinigen Staaten von Europa, die durch die UNO herbeigeführt werden müßte, kann meines Erachtens dem Verlangen der westlichen Nachbarn Deutschlands nach Sicherheit völlig Genüge geschehen ohne eine Zerreißung Deutschlands«2.
Ich halte es nicht für richtig, daß Sie lediglich Frankreich als die führende Macht Europas bezeichnen. Frankreich ist biologisch und wirtschaftlich nicht genügend stark für diese Rolle. Ich bin der Auffassung, daß Europa von England und Frankreich geführt werden muß, daß deswegen eine Verflechtung der wirtschaftlichen Interessen Frankreichs und Englands und Deutschlands notwendig ist. Wir haben, ebenso wie die Engländer selbst, das größte Interesse daran, daß England sich als europäische Macht fühlt. Wenn man aber Frankreich als die alleinige führende Macht Europas bezeichnet, schaltet man England aus. Das halte ich nicht für richtig3.
Sie schreiben in Ihrem Brief an Herrn Bidault, daß auch die führenden Persönlichkeiten der Christlich-Demokratischen Union in Großhessen Ihren Gedanken zustimmten, insbesondere Frau Maria Sevenich. Ich bitte Sie sehr, doch in eine Nachprüfung Ihrer Ideen unter Berücksichtigung meiner obigen Ausführungen einzutreten. Ich halte es für verwirrend und für gefährlich, wenn Sie Ihren an sich durchaus richtigen Gedanken einer dauernden Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich in die von Ihnen in Ihrem Briefe an Bidault gewählte Form kleiden.
Frau Schlüter-Hermkes ist so freundlich, diesen Brief und auch die sonstigen Schriftstücke, die Sie durch Herrn Rybski überbringen ließen, Ihnen zu geben. Vielleicht werden Sie Frau Schlüter-Hermkes eine Antwort an mich mitgeben. Ich bitte Sie dann auch, Auskunft über die Persönlichkeit des Herrn Rybski, seine Zuverlässigkeit usw. zu erteilen.
Mit ausgezeichneter Hochachtung
A
Dieser Brief ist, wie auch die nachfolgend erwähnten Anlagen, in StBKAH nicht erhalten. Die Begründung ist einem Adenauer-Schreiben vom 16.4.1946 an den hier angesprochenen, vom Bearb. nicht identifizierten »Herrn Rybskj, Bonn/R., Vatikanische Mission« zu entnehmen: »Da Frau Dr. Schlüter-Hermkes am Tage nach Ihrer Anwesenheit hier nach Wiesbaden fuhr … habe ich ihr die Schriftstücke mitgegeben und sie gebeten, Herrn Noack auf meine obigen Beanstandungen aufmerksam zu machen. Herr Noack hat darauf die ganzen Schriftstücke bei sich zurückbehalten«; vgl. hierzu die Schlusspassage dieses Briefes.
Eine textidentische Redenpassage konnte für diesen Zeitraum nicht nachgewiesen werden; doch lässt sich inhaltliche Übereinstimmung mit der Kölner Universitätsrede vom 24.3.1946 (Adenauer-Reden, S. 105) wie auch vor allem mit der am 7.4.1946 in Bonn gehaltenen Rede nachweisen. Vgl. hierzu Anm. 2 des Schreibens an Johannes Henry vom 22.2.1946.
Vgl. Hans-Peter Schwarz, Adenauer und Europa, S. 489.