Rhöndorfer Ausgabe Online
An Major Michael A. Thomas
, Bad OeynhausenStBKAH 07.12
Lieber Herr Thomas!
Ihr Brief vom 13. d. Mts. kam gestern in meine Hände1. Ich beeile mich, Ihnen zunächst zu danken für die Offenheit Ihrer Ausführungen.
Zunächst muß ich Ihnen sagen, daß ich weder bei meinen Ausführungen irgendwie an Sie gedacht habe, noch jetzt Sie unter die »Emigranten« rechnen würde. Ich habe bei meinen Ausführungen an ganz bestimmte Leute gedacht – die Namen könnte ich Ihnen gelegentlich mündlich sagen– sowie an eine Gruppe von Emigranten in London, die von dorther unkontrollierbare Einflüsse ausüben2.
Sie haben Ihre Nationalität aus triftigen Gründen gewechselt. Wenn ich es gekonnt hätte, würde ich es vielleicht auch getan haben. Sie kommen jetzt zurück und treten offen und ehrlich auf als das, was Sie nunmehr sind, als britischer Staatsangehöriger deutscher Herkunft. Sie sind für meinen Begriff kein Emigrant. Ich kann das nur nochmals wiederholen. Ich darf Ihnen noch weiter sagen, daß ich Ihre Tätigkeit, die objektiv und ehrlich erfolgt, besonders begrüße. Sie haben eine deutsche Erziehung genossen, Sie haben auch noch den Nationalsozialismus selbst kennen gelernt. Ich halte Sie geradezu dafür berufen, in unserem Deutschland zu wirken, und glaube, daß Sie viel Segen stiften können. Es drängt mich, bei dieser Gelegenheit Ihnen zu sagen, daß jede persönliche Begegnung mit Ihnen mir geradezu eine Freude gewesen ist. Ich bedauere aufrichtig, daß Sie jetzt aus der Zone heraus sind. Ich meine fast, Ihre Tätigkeit in der Zone würde wichtiger sein als Ihre Tätigkeit dort. Ich glaube nicht, daß Berlin der wichtigste Schauplatz der britischen Politik sein wird. Der Angelpunkt der britischen Politik liegt im Westen. Ich wünsche dann sehr, daß Sie recht bald wieder Ihre Tätigkeit in der britischen Zone aufnehmen könnten!
Ich glaube wohl, daß die Stimmung in Berlin positiver ist als hier. Es spricht ganz bestimmt auch mit der Unterschied in der Ernährung; denn Berlin ist, soviel ich weiß, ja besser ernährt als insbesondere hier das Rheinland und die großen Städte in der britischen Zone überhaupt. Der Hunger ist aber ein Faktor von größter physiologischer Bedeutung. Vielleicht kommt auch hinzu, daß gerade hier im Westen noch weitere Kreise sich etwas anderes vom Sturze des Nationalsozialismus erhofft hatten, als eingetroffen ist. Die Stimmung in der britischen Zone ist deswegen so außerordentlich lähmend.
Mit herzlichen Grüßen, auf ein baldiges Wiedersehen
Ihr
(Adenauer)
P.S.: Ich lege Ihnen einen Brief einer mir unbekannten Herrn von Seydlitz bei und meine Antwort darauf3. Vielleicht können Sie mir gelegentlich Ihre Meinung dazu mitteilen.
D.U.
Dieses Schreiben ist in StBKAH nicht erhalten.
Derartige Äußerungen konnten nicht nachgewiesen werden. – Allgemeiner gehaltene Kritik an der Besatzungsmacht hatte Adenauer am 29.5.1946 in Hamburg geübt: »›Wenn die Sieger bei der Befreiung mit etwas psychologischem Verständnis für uns aufgetreten wären, hätten sie den Nationalsozialismus mit einem Schlage beseitigen können.‹ Jetzt aber gebe es kein Zeichen einer Besserung, sondern nur Hoffnungslosigkeit und Enttäuschung…«
Vgl. das Schreiben an Wilhelm von Seydlitz-Kurzbach vom 27.6.1946.