Rhöndorfer Ausgabe Online
An Oberleutnant a.D. Friedrich Wilhelm von Seydlitz-Kurzbach
, Watzum-Schöningen/Kreis WolfenbüttelStBKAH 08.07
Sehr geehrter Herr von Seydlitz!
Auf Ihren Brief vom 12. d. Mts.1 erlaube ich mir folgendes zu erwidern: Was Sie mir über das Verhalten der Bauern in Braunschweig schreiben, ist unglaublich. Derartige Beispiele sind mir noch nicht vorgekommen. Was die Angehörigen des Generalstabs angeht, insbesondere die jüngere Generation, so teile ich durchaus Ihren Standpunkt. Man wird aber hier nur sehr vorsichtig und langsam zu Werke gehen können, um die deutsche öffentliche Meinung und auch die öffentliche Meinung in der Welt eines besseren zu belehren. Ich hoffe, daß nach Abschluß des Nürnberger Prozesses2 eine gewisse Entspannung auf diesem Gebiet eintritt und daß dann es vielleicht möglich ist, daß diejenigen jüngeren Angehörigen des Generalstabs, die an untergeordneter Stelle und z. T. gegen ihren Willen dort arbeiten mußten, von der Diffamierung befreit werden.
Ich bin der Auffassung, daß man bezüglich der leitenden Männer des Generalstabs anders denken muß. Sie hatten die Pflicht, gegenüber den Absichten der Nationalsozialisten, die nur zum Untergang Deutschlands führen konnten, rechtzeitig Front zu machen, evtl. ihren Abschied zu nehmen.
Seien Sie aber versichert, daß ich aber bezüglich der jüngeren Angehörigen des Generalstabs genau so denke wie Sie und tun werde, was ich kann.
Mit vorzüglicher Hochachtung
(Adenauer)
Eine Abschrift dieses im Original an Michael Thomas weitergeleiteten Schreibens ist in StBKAH nicht erhalten. Späterer Korrespondenz sind die im Schreiben an Thomas vom 26.6.1946 erbetene Mitteilung und weiterführende Angaben zu diesem Vorgang nicht zu entnehmen.
Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher (20.11.1945-1.10.1946).