Rhöndorfer Ausgabe Online

26. Mai 1946 (Rhöndorf)

An Maria Sevenich

, Darmstadt-Eberstadt

StBKAH 08.07


Sehr verehrtes Fräulein Sevenich!

Haben Sie vielen Dank für Ihren Brief vom 21.5.46 nebst Anlage, den ich am 25.5. erhielt1. Ich habe die Münchener Thesen, die ich gut finde, unserm Wirtschafts- und Sozialausschuß weitergegeben. Auch mit den Ausführungen des Pater Welty bin ich fast restlos einverstanden bis auf die unglückliche Bezeichnung »Sozialismus«. Dadurch, daß wir diese Bezeichnung übernehmen, geben wir einem zum Untergang verurteilten Begriff aus propagandistischen Gründen neues Leben und schrecken viele Leute von uns ab, viel mehr als wir dadurch gewinnen werden2. Nach 1918 wollte man dasselbe, ist aber schon bald davon wieder abgekommen. Vielleicht gelingt es Ihrer Klugheit, daß wir von der Bezeichnung – nur um sie handelt es sich – loskommen.

Ich habe Pater Siemer und Welty in Walberberg sprechen wollen, es ist aber leider durch ein inzwischen aufgeklärtes Mißverständnis nicht zu der Zusammenkunft gekommen3. Ich werde sehen, ob wir uns nach meiner Rückkehr aus Hamburg in der mit dem 2.6. beginnenden Woche sprechen können.

Berlin macht mir auch Sorge. Die britische Militärregierung legt sehr großen Wert auf unsere Vertretung. Ich werde mit Albers sprechen. Eine bestimmte Persönlichkeit mit meiner Vertretung zu beauftragen, ist vielleicht nicht zweckmäßig, weil dadurch die Vertretung zu offiziell wird, ich werde mir das aber noch überlegen. – Mit Herrn Hermes habe ich mehrere telefonische Besprechungen gehabt, sein Aufenthalt im Kranken[haus] hat länger gedauert als angenommen. Morgen fährt er in Erholung, hoffentlich mit vollem Erfolge4.

Wenn der Termin der Zusammenkunft mit den Herren feststeht, so geben Sie mir bitte umgehend Bescheid. Bis zum 31.5.46 bin ich in Hamburg, Zonenbeirat, Sophienterrasse.

Ich bin gespannt auf den Ausgang der heutigen Wahlen5, Sie werden anstrengende Tage hinter sich haben.

Seien Sie herzlichst gegrüßt von meiner Frau und Ihrem
sehr ergebenem


  1. ^

    Im Anschluss an ein Gespräch mit Adenauer in Rhöndorf am 20.5.1946 hatte Maria Sevenich »die sozial- und wirtschaftspolitischen Thesen Bayerns« übersandt, die als Anlage zu ihrem Schreiben in StBKAH nicht erhalten sind. Bei Alf Mintzel, Die CSU, findet sich in dem entsprechenden Abschnitt (CSU-interne Diskussionen und Standpunkte im Frühjahr 1946, S. 254-262) kein Hinweis auf derartige Thesen. Möglicherweise sind sie identisch mit dem 5-Punkte-Programm von Michael Horlacher vom 16.5.1946, in dem sich die Forderung findet: »2. Eindeutiges Bekenntnis zur christlichen Staats-, Wirtschafts- und Gesellschaftsauffassung im Gegensatz zur egoistisch-kapitalistischen Profitwirtschaft und Kollektivwirtschaft. Das grundsätzlich anzuerkennende Privateigentum muß im Einklang mit den christlichen Sittengesetzen gesehen werden« (Druck: Walter Berberich, Die historische Entwicklung, S. 174).

  2. ^

    Vgl. Rudolf Morsey, Konrad Adenauer und die Gründung, S. 106 und Rudolf Uertz, Christentum, S. 85.

  3. ^

    Vgl. das Schreiben an Laurentius Siemer vom 25.5.1946.

  4. ^

    Vgl. Anna Hermes, Und setzet ihr nicht das Leben ein, S. 234-241.

  5. ^

    Die am 28.4.1946 in der amerikanischen Zone durchgeführten Landkreiswahlen, die – in Verbindung mit den Stadtkreiswahlen vom 26.5.1946 (in Städten mit über 20.000 Einwohnern) – der CSU in Bayern 60,1% (SPD: 28,1%, FDP: 2,3%, KPD: 4,9%), der CDU in Hessen 36,9% (SPD: 43,2%, FDP: 7,3%, KPD: 4,9%) und der CDU in Württemberg-Baden 30,2% der Stimmen gebracht hatten (SPD: 32%, FDP/DVP: 19,5%, sonstige: 18,3%).