Rhöndorfer Ausgabe Online

29. April 1946 (Rhöndorf)

An Domkapitular Nikolaus Jansen

, Aachen

StBKAH 07.11


Lieber Herr Jansen!

Es hat mich aufrichtig gefreut, von Ihnen ein Lebenszeichen zu bekommen1. Ich habe mehrfach versucht, näheres über Sie zu hören, aber die Verbindungen sind ja so schlecht heutzutage.

Ich danke Ihnen, daß Sie mir so offen geschrieben haben. Ich glaube aber, daß Ihre Befürchtungen unbegründet sind. Herr Kaiser ist bei seinen Worten entgleist2. Er entgleist öfter in seinen Reden. Ich habe darüber mit ihm noch gerade vor 2 Wochen im Auftrage der CDU der amerikanischen und der britischen Zone eine sehr ernste Aussprache gehabt. Nehmen Sie seine Worte darum nicht zu tragisch. Ich kann Ihnen versichern, daß Ihre Befürchtungen ganz unbegründet sind. Es findet keine derartige Vermischung oder Abflachung statt, wie Sie sie befürchten.

Der Zuzug der evangelischen Christen zur CDU ist teilweise doch sehr groß. Das gilt insbesondere von rein protestantischen Gegenden, wie z. B. Schleswig-Holstein und Groß-Hessen. In Schlesw.-Holstein und Groß-Hessen hat die CDU eine Mehrheit. Durch die Gründung der CDU sind dort weite Kreise, die bisher marxistisch waren, für die CDU gewonnen worden. Ich glaube weiter, daß es uns mit einer Wiederbelebung des Zentrums nicht gelungen wäre, die jüngeren Jahrgänge, die etwa bis zum 35. Lebensjahre, für das Zentrum zu gewinnen. Sie stehen jedem politischen Leben fremd und ablehnend gegenüber und wissen nichts von der Vergangenheit. Ich finde weiter, daß in dieser Zeit, in der es sich um den großen Kampf zwischen dem Christentum und materialistischem Marxismus handelt, alle christlichen Kräfte gesammelt werden müssen, da sie, wie Sie bestimmt glauben dürfen, in den wesentlichen Zielen völlig übereinstimmen.

Was die Teilnahme des Klerus am Parteileben angeht, so darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß vor Ihrer Rückkehr z. B. der Erzbischof Köln seinen Geistlichen jede Teilnahme am parteipolitischen Leben ausdrücklich untersagt hat. Ich habe mich auch bei ihm persönlich dagegen gewehrt3. Ich bin der Auffassung, daß Geistliche beider Konfessionen im politischen Leben unter voller Würdigung ihrer besonderen Stellung tätig sein sollen.

Ich hoffe, daß wir uns in absehbarer Zeit einmal über diese ganzen Fragen mündlich aussprechen können. Brieflich ist es sehr schwer. Aber Sie dürfen überzeugt sein – ich wiederhole das nochmal –, daß Ihre Befürchtungen nicht begründet sind.

Mit herzlichen Grüßen, wie immer
Ihr
(Adenauer)


  1. ^

    Unter Bezugnahme auf frühere Kontakte zu Adenauer hatte Jansen grundlegende Fragen des Verhältnisses der katholischen Kirche zu den neuentstandenen Parteien aufgeworfen. Obwohl selbst Mitglied der CDU, befürchte er einen durch die Union geförderten »Interkonfessionalismus …, in welchem eine wesentliche Stärkung der nicht kath. Richtung eintritt.«

  2. ^

    Jansen hatte an einer am 31.3.1946 in Essen gehaltenen Programmrede Jakob Kaisers (zu Grundfragen der »Einigung der Konfessionen und der Stände zu einem großen politischen Machtfaktor«) Anstoß genommen; Auszüge aus dieser Rede in ›Die Welt‹ vom 2.4.1946, weitere Hinweise bei Werner Conze, Jakob Kaiser, S. 74.

  3. ^

    Vgl. hierzu Rudolf Morsey, Konrad Adenauer und die Gründung, S. 108.