Rhöndorfer Ausgabe Online
An die Teilnehmer eines bizonalen CDU/CSU-Treffens in Stuttgart
StBKAH 08.06, Verteiler: »An die Herren Minister Dr. Hilpert, Darmstadt; Ministerpräsident Köhler, Karlsruhe; Minister Andree, Wirtschaftsministerium, Stuttgart; Ersing, Wirtschaftsministerium, Stuttgart; Simpsenhöffer[!], Wirtschaftsministerium, Stuttgart; Rechtsanwalt Dr. Müller, München; Botschafter von Prittwitz, München; Oberpräsident Dr. Steltzer, Kiel, Oberpräsidium.«
Druck: Walter Berberich, Die historische Entwicklung der Christlich-Sozialen Union in Bayern, S. 199-202; Teildruck: Hans Georg Wieck, Christliche und freie Demokraten, S. 191-1931
Sehr geehrte Herren!
Am 6. April 1946 war Herr Jakob Kaiser, Berlin, bei mir2. Ich habe ihm über die Verhandlungen und Beschlüsse, die am 3.4.46 in Stuttgart gefaßt worden sind, die mir aufgetragenen Mitteilungen gemacht. Ich hatte vorher eine kurze Niederschrift angefertigt, die ich ihm übergeben habe und die ich in Abschrift beifüge.
Herr Kaiser äußerte sofort sehr lebhafte Bedenken gegen diese Beschlüsse, insbesondere gegen eine Namensänderung und gegen die Nichtbeschickung des von den Herren in Berlin und der russischen Zone beabsichtigten Parteitreffens. Er erklärte, daß diese Beschlüsse die Arbeit der CDU in Berlin außerordentlich schädigen und gefährden oder sogar unmöglich machen würden.
Am 7.4.46 war[en] Herr Kaiser, Herr Katzenberger, Berlin, und Herr Arnold, Düsseldorf, bei mir in Rhöndorf, um die Sachlage nochmals zu besprechen. Herr Kaiser führte aus, daß sich seine schon am Tage vorher geäußerten Bedenken und Befürchtungen noch verstärkt und vertieft hätten. Er sei der Ansicht, daß eine Änderung des Namens in »Christliche Union« sowohl bei den Anhängern der Landesparteien, die jetzt den Namen »Christlich-Demokratische Union« führen, wie bei den Alliierten stärkstes Befremden auslösen und z. T. auf starken Widerstand stoßen würde. Er wies weiter darauf hin, daß man durch die Streichung des Wortes »Demokratie« aus dem Parteinamen den Gegnern der Partei eine sehr starke Stütze für ihre Behauptung, die CDU oder CSU seien im Grunde reaktionär, geben würde. Die gegnerischen Parteien würden mit solchen Behauptungen auch bestimmt bei den Alliierten Eindruck machen. Die Arbeit der CDU in Berlin sei dadurch – er könne das, nachdem er sich die Dinge nochmals überlegt habe, nur noch einmal unterstreichen – auf das äußerste gefährdet. Herr Katzenberger, Berlin, bestätigte die Ausführungen Herrn Kaisers's als richtig.
Auch ich mußte zugeben, daß eine Änderung des Namens »Christlich Demokratische Union«, die Streichung des Wortes »Demokratische«, in der britischen Zone höchst wahrscheinlich auch an manchen Stellen zu Schwierigkeiten führen werde.
Es wurde dann die Frage besprochen, ob es nicht möglich sei, sowohl den Interessen der Landesparteien in der amerikanischen Zone, bei ihrem Zusammenschluß zu einer Partei, der dringend erwünscht sei, wie auch den Interessen der Landesparteien der übrigen Zonen, gerecht zu werden. Es wurde angeregt, die Vorsitzenden der Landesparteien der amerikanischen Zone zu bitten, folgenden Vorschlag in Erwägung zu ziehen, falls Bayern sich nicht in der Lage sehen sollte, den Namen »Christlich-Demokratische Union Bayerns« anzunehmen:
Die Landesparteien der amerikanischen Zone behalten ihre bisherigen Namen bei, das Organ, das sie bei ihrem Zusammenschluß zu einer Partei schaffen werden, bekommt den Namen »Union der verschiedenen Landesparteien, nämlich usw.«
Ich, meine verehrten Herren, bin der Auffassung, daß man alles tun muß, um den Anregungen des Herrn Kaiser und seiner Freunde, die mir aus sehr begründeten und berechtigten Erwägungen zu entspringen scheinen, nachzukommen. Ich glaube, daß man damit dem so außerordentlich begrüßenswerten Zusammenschluß der Landesparteien in der amerikanischen Zone kein Hindernis in den Weg legen würde.
Zusammenschluß der Landesparteien in der amerikanischen Zone kein Hindernis in den Weg legen würde.
Die Befürchtungen der Herren Kaiser und Katzenberger, daß eine außerordentlich starke Schädigung der Geltung der CDU und damit der gesamten deutschen Sache in Berlin und der russischen Zone eine Folge der geplanten Namensänderung sein werde, ist nicht von der Hand zu weisen. Sie fürchten dadurch einen direkten Schaden für die deutschen Interessen in diesen beiden Zonen und damit natürlich auch für die gesamten deutschen Interessen. In der Aussprache wurde weiter festgestellt, daß das in Aussicht genommene Treffen in Berlin weder nach der Intention des Herrn Kaiser und seiner Freunde, noch auch nach der Intention der Besatzungsmächte, insbesondere auch der russischen, ein Reichstreffen sein solle, daß es sich vielmehr lediglich handele um ein Parteitreffen der CDU Berlin und der verschiedenen Landesparteien in der russischen Zone3. Es erschien den Herren aber im Interesse der gesamten deutschen Sache im höchsten Maße wünschenswert, ja erforderlich, daß, um das Ansehen und die Geltung der CDU Berlin und der verschiedenen CDU-Landesparteien des Ostens zu verstärken, namhafte Mitglieder der Landesparteien aus den übrigen Zonen als Gäste, nicht als stimmberechtigte Mitglieder teilnehmen. Es würde z. B. nach den Ausführungen der Herren völlig genügen, wenn etwa aus der gesamten amerikanischen Zone 9 Mitglieder, ebenso aus der britischen Zone, teilnehmen würden. Die Herren erklärten mit allem Nachdruck, es sei völlig ausgeschlossen, daß diese Gäste in der Atmosphäre der dortigen Zone zu irgendwelchen Beschlüssen auch nur Stellung nehmen müßten, die sie selbst oder ihre Parteien in Verlegenheit bringen würden. Es handele sich nur darum, ebenfalls wieder im Interesse der deutschen Sache im Osten, auch nach außen hin die Verbundenheit des Ostens mit den übrigen Zonen in Erscheinung treten zu lassen. Die Herren baten, doch unter Berücksichtigung dieser ihrer Ausführungen in eine Nachprüfung der Angelegenheit einzutreten.
Mir scheint, daß bezüglich des Treffens ein Mißverständnis vorgelegen hat. Man ging in Stuttgart davon aus, daß die Mitglieder der Parteien der britischen und amerikanischen Zone auf diesem Treffen genötigt sein würden, Beschlüsse zufassen, an Abstimmungen teilzunehmen oder sonst Stellung zu nehmen. Nach den bestimmten Erklärungen der Herren Kaiser und Katzenberger ist eine solche Beteiligung der Herren auch vom Standpunkte der CDU in Berlin und in der Ostzone rechtlich unmöglich, und zwar schon deshalb unmöglich, weil es keine Reichspartei gebe. Unter diesen Umständen glaube ich, daß man der so dringend gewünschten Entsendung von Gästen kein Hindernis in den Weg legen sollte. Die Ausführungen der Herren, daß man dadurch die Stellung der CDU in Berlin und in der Ostzone gegenüber der Kontrollkommission stark schwäche und damit der deutschen Sache erheblichen Schaden zufüge, sind meines Erachtens überzeugend und durchschlagend. Ich bitte daher, auch hier in eine Nachprüfung einzutreten, und schlage vor, daß namhafte Vertreter der Landesverbände aus den verschiedenen Zonen nach Berlin gehen, die auch in ihrer Person die Gewähr dafür bieten, daß die oben von den Berliner Herren gekennzeichnete Linie absolut innegehalten wird. Selbstverständlich darf dabei nicht übersehen werden, daß Vertreter beider Konfessionen entsandt werden müssen.
Es wurden auch die Beanstandungen verschiedener Stellen in Reden des Herrn Kaiser oder in dem von Berlin aus versandten Material besprochen. Herr Kaiser erklärte dazu, daß man einen anderen Eindruck bekommen würde, wenn man den ganzen Zusammenhang, in dem diese Worte ausgesprochen seien, miterlebt habe. Man solle doch auch bedenken, daß sie in Berlin unter ganz anderen Einflüssen arbeiten müßten, als wir in den übrigen Zonen. Er begrüße es, wenn von den übrigen Zonen her etwa in Berlin gewählte Fassungen entsprechend kritisiert würden.
Schließlich bat er, als er von mir hörte, daß die Vorsitzenden der Parteien in der amerikanischen Zone doch im Laufe des Monats April in Heidelberg zusammenkommen wollten, ihm doch auch eine Einladung zu übersenden, damit er dort die ganze Situation des Ostens klarlegen und auch auf seine Äußerungen zurückkomme könne4.
Inzwischen habe ich auch von anderer Seite Informationen über die Stellung der Amerikaner und Engländer zu Berlin erhalten, und zwar von Stellen, die mit Herrn Kaiser und Herrn Katzenberger in keiner Verbindung stehen. Nach diesen Informationen erscheint es mir sehr wünschenswert, das Ansehen der CDU in Berlin und in der russischen Zone möglichst zu stärken, damit möglicherweise in dem endgültigen Friedensvertrag eine Änderung der jetzt vorgesehenen Grenzen im Osten Deutschlands erreicht wird.
Ich habe Herrn Kaiser ausdrücklich erklärt, daß es für den Westen wie für den Süden Deutschlands ganz ausgeschlossen sei, daß nach einer Wiedererrichtung Deutschlands die politische Zentrale des neuen Deutschlands in Berlin ihren Sitz finde. Dabei sei es ganz gleichgültig, ob und von wem Berlin und der Osten besetzt sei.
Ich bitte Sie, meine verehrten Herren, für eine objektive und vorurteilslose Nachprüfung einzutreten. Ich habe versucht, bei den Verhandlungen mit den Berliner Herren allen Interessen in ausgleichender Weise gerecht zu werden. Ich glaube, daß das möglich ist, ohne daß sich an unseren in Stuttgart festgestellten übereinstimmenden grundlegenden Auffassungen etwas ändert.
Mit hochachtungsvolllem Gruß
Ihr sehr ergebener
Dieses Adenauer-Schreiben ist, in Verbindung mit der von Wieck publizierten Aktennotiz, seither häufig erwähnt und ausgewertet worden. Auf die beiden zentralen Dokumente der innerparteilichen Auseinandersetzung und des Klärungsprozesses zwischen westlichen CDU-Landesverbänden und der CDU in Berlin und in der SBZ gehen unter anderem ein: Hans-Peter Schwarz, Vom Reich, S. 470 f. (Adenauer als »Sprecher gegen den Berliner Zentralismus«); Werner Conze, Jakob Kaiser, S. 78-81, 89-91 (Vorwurf der Ausbootung Kaisers durch Adenauer; Hinweise auf die Reaktion Kaisers und eines der Adressaten, Werner Hilpert); Rudolf Morsey, Der politische Aufstieg, S. 43 (Akzentuierung des föderalistischen Adenauer-Ansatzes); Alf Mintzel, Die CSU, S. 257f. (Hinweis auf die Reaktion eines weiteren Adressaten, Josef Müller) und Detlev Hüwel, Karl Arnold, S. 78 (Einwirkung Arnolds auf die Haltung Adenauers im zweiten Gespräch).
Zum Besuch Kaisers (der in den Adenauer-Erinnerungen keine Erwähnung findet) vgl. Werner Conze, Jakob Kaiser, S. 78; vgl. auch Anm. 3 des Schreibens an Friedrich Spennrath vom 16.3.1946. Zur Vorgeschichte dieser zweiten Zusammenkunft Adenauers mit Kaiser ein Schreiben Adenauers an Albers vom 22.3.1946: »Wie mir Herr Dr. Löns sagte, hätten Sie den Wunsch, die Vorstandssitzung abzuhalten, um Herrn Jakob Kaiser in unserer Mitte begrüßen zu können. Ich werde mich sehr freuen, Herrn Jakob Kaiser in einer evtl. zu diesem Zweck einzuberufenden Vorstandssitzung zu sehen und bitte mir umgehend mitzuteilen, wie lange Herr Kaiser noch im Westen bleibt« (Druck: Klaus Dreher, Der Weg, S. 296. Die in diesem Brief weiterhin angesprochenen Terminschwierigkeiten, hinter denen Dreher – ebd., S. 202 – gegen Kaiser gerichtetes taktisches Kalkül erblickt, lassen sich anhand des Adenauer‘schen Taschenkalenders für 1946 verifizieren: eine Albers genannte Terminverpflichtung nach Neuss wird durch entsprechende Eintragungen für den 4., 8., 15., 30.3., 1., 6. und 17.4.1946 bestätigt.)
Zum damit angesprochenen Parteitag der CDUD (15.-17.6.1946) vgl. Werner Conze, Jakob Kaiser, S. 92-97; zur Planung und Absage der Teilnahme Adenauers vgl. das Schreiben an Jakob Kaiser vom 24.5.1946.
Über die im April 1946 im Frankfurter Interzonenausschuss der Union (vgl. Anm. 2 des Schreibens an Jakob Kaiser vom 27.4.1946) anlaufenden Vorbereitungen des Heidelberger Reichstreffens berichtete am 25./26.4.1946 Josef Kannengießer vor dem CDU-Zonenausschuss; vgl. Helmuth Pütz (Bearb.), Konrad Adenauer, S. 138.