Rhöndorfer Ausgabe Online

31. August 1946 (Rhöndorf)

An Prälat Professor Dr. Georg Schreiber

, Münster

StBKAH 07.12


Sehr geehrter Herr Prälat!

Ihren Brief vom 22. D.Mts.1 habe ich gerne gelesen. Aber ich bitte Sie, mir nicht übel zu nehmen, wenn ich dazu sage, daß ich Ihre Einstellung nicht verstehe. Zunächst stelle ich fest, daß wir nicht um Ministersitze »gehandelt« haben, sondern wir haben auf Ministersitze verzichtet. Ferner darf ich bemerken, daß auch eine Partei eine Ehre hat und daß, wenn ihr ausdrücklich erklärt wird, sie sei nicht zuverlässig genug, um einen der ihren in das Ministerium des Innern zu entsenden, es für die Partei unmöglich ist, sich an einem solchen Kabinett zu beteiligen.

Eine Parallele zur englischen Opposition ist in keiner Weise gezogen worden. Etwa dahingehende Zeitungsberichte sind falsch. Wir haben im Gegenteil ausdrücklich in der Öffentlichkeit erklärt, daß wir uns an den Arbeiten beteiligen würden, allerdings die Tätigkeit des Kabinetts sehr genau beobachten wollen.

Was nun Ihre positive Anregung angeht, ein Ausgleichskomitee zu schaffen, so darf ich Ihnen vertraulich dazu folgendes sagen:

Herr Kardinal Frings hat noch vor etwa 14 Tagen persönlich den Versuch gemacht, eine Verständigung irgendeiner Art herbeizuführen. Dieser Versuch ist an der Hartnäckigkeit des Herrn Dr. Hamacher gescheitert. Ich glaube, daß daher von einem Ausgleichskomitee wirklich keine Rede sein kann.

Ein Unglück ist es, daß Herr Spiecker die Leitung der ganzen Zentrumspartei in die Hände bekommen hat. Eine Verständigung mit Herrn Dr. Hamacher wäre m. E. vor einigen Monaten – sie ist damals von mir versucht worden – durchaus möglich gewesen. Nun müssen wir die weitere Entwicklung abwarten. –

Bei dieser Gelegenheit darf ich Ihnen herzlich danken für die freundliche Übersendung Ihrer Rektoratsrede, die mich ganz außerordentlich interessiert hat.

Ich hoffe, daß Sie sich wohl befinden und bin mit vielen Grüßen
Ihr ergebener
(Adenauer)


  1. ^

    Hierin Kritik am CDU-Verhalten in den Regierungsverhandlungen (Vorwurf des Verzichts auf positive Gestaltungsmöglichkeiten im Kabinett) sowie die Forderung nach einem »dauernde[n] Ausgleichs-Komitee … zwischen CDU und Zentrum« (das »gerade viele Geistliche im Land … als notwendig erachten «); vgl. Rudolf Morsey, Adenauer und Kardinal Frings, S. 490.