Rhöndorfer Ausgabe Online
Aktennotiz über Gespräche zur Regierungsbildung durch Ministerpräsident Rudolf Amelunxen
StBKAH 08.20
Herr Amelunxen steht, entgegen den darüber veröffentlichten Meldungen, der CDU nicht nur nicht nahe, sondern ist nach der bestimmten Erklärung der westfälischen Mitglieder der CDU ein Gegner dieser Partei. Er selbst hat auf eine Frage während der Verhandlung erklärt, daß er keiner Partei angehöre. Herr Amelunxen berief nun zunächst die Vertreter folgender 5 Parteien:
CDU, SPD, KPD, Zentrum und Demokraten,
zu einer Besprechung nach Münster, damit ihm diese Parteien Vorschläge für die Bildung eines Kabinetts machten1. Die Vertreter sämtlicher Parteien sagten ihm, daß sie zunächst mal mit ihren Parteifreunden Rücksprache nehmen müßten. Bei dieser ersten Besprechung wurde von den Vertretern anderer Parteien – den Vertretern der CDU war das noch gar nicht bekannt – mitgeteilt, daß die britische Militärregierung in Düsseldorf mit dem Oberbürgermeister Arnold in Düsseldorf verhandelt habe und ihn gefragt habe, ob er bereit sei, den Posten eines stellvertretenden Ministerpräsidenten zu übernehmen. Herr Arnold hat sich dazu bereit erklärt, falls seine Partei damit einverstanden sei und falls er zugleich ein Ressort bekäme, weil sonst der Posten eines stellvertretenden Ministerpräsidenten in der Luft hinge.
Die Vertreter der britischen Militärregierung erkannten das als richtig an und sagten ihm, daß für den stellvertretenden Ministerpräsidenten nur in Frage komme als Ressort das Ministerium des Innern.
In der Folge fand dann eine weitere Besprechung statt; in dieser gab Herr Amelunxen an, daß die britische Militärregierung erklärt habe, es sollen 10 Ministerien geschaffen werden und diese 10 Ministerien sollten auf die Parteien nach folgendem Schlüssel verteilt werden:
3 CDU
3 SPD
2 KPD
1 Zentrum
1 Demokraten
Der Vertreter der CDU erklärte, daß sie noch nicht in der Lage wäre, Persönlichkeiten vorzuschlagen, daß sie aber einen Ausschuß aus ihren beiden Personalratsfraktionen gebildet hätte und in wenigen Tagen in der Lage sei, Vorschläge zu machen. Schließlich hat dann eine Besprechung stattgefunden zwischen Herrn Ministerpräsidenten Amelunxen und den Vertretern der Parteien, soviel ich weiß am Mittwoch, den 14.8.1946. Ich war in Hamburg. In dieser Besprechung hat Herr Amelunxen mitgeteilt, daß von den 10 Ministerien er 7 den anderen Parteien zugesagt habe und daß für die CDU noch vorhanden seien:
das Kultus-Ministerium, das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft, das Justiz-Ministerium.
Dazu ist zu sagen, daß das Justiz-Ministerium nach den Bestimmungen der britischen Kontrollkommission über die Errichtung einer Zentrale für das ganze Justizwesen in der britischen Zone, deren Leitung dem Oberlandesgerichtspräsidenten von Hamburg2 übertragen ist, z. Zt. überhaupt keinen Geschäftsbereich hat und das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft den Anweisungen der übergeordneten Justizinstanz Folge zu leisten hat, also auch keinen selbständigen Aufgabenbereich im wesentlichen.
Es hat dann eine Besprechung stattgefunden unseres gemeinschaftlichen CDU-Ausschusses von Nordrhein-Westfalen am 16.8.1946 in Recklinghausen, und ich bin gebeten worden, auf der Rückreise von Hamburg daran teilzunehmen. Als ich kam, hatten die Herren einmütig beschlossen, eine Beteiligung an dem Kabinett Amelunxen auf der ihnen von Ministerpräsident Amelunxen mitgeteilten Grundlage abzulehnen.
Wir gingen dann am letzten Samstag, dem 17.8.1946, nach Düsseldorf in die entscheidende Sitzung.
Besprechung des Herrn Amelunxen mit den Parteivertretern, und zwar waren anwesend von seiten der CDU:
außer mir Herr Albers, Herr Heinemann aus Essen, Herr Dr. Jöstingmeier aus Münster.
Ich habe dann diesen Beschluß des Ausschusses der CDU v. Reckling[hausen] zur Kenntnis gebracht, und Herr Amelunxen hat dann den Versuch gemacht, doch noch eine Einigung zustande zu bringen.
Der Verlauf der Debatte, die sich dann entspann, ist stenografisch aufgenommen worden, und es ist die Verwertung des dort Gesprochenen in der Öffentlichkeit jedem Teilnehmer anheim gestellt worden, so daß man also über diese Vorgänge in vollster Öffentlichkeit sprechen kann.
Es wurde dort zunächst von Herrn Amelunxen gesagt, daß zwei Kandidaten, die die CDU benannt hatte, für das Kultusministerium und für das Landwirtschaftsministerium nicht die Zustimmung der Militärregierung gefunden hätten und daß infolgedessen die CDU doch schon einen schlechten Start gemacht hätte, weil sie als Kultusminister den Staatssekretär a. D. Lammers bezeichnet habe, der jetzt beim Oberpräsidium Nord-Rheinprovinz tätig ist für diese Abteilung und als Landwirtschaftsminister einen Dr. Peters, der zwar auch nicht in der Partei gewesen sei, der aber doch in der Militärverwaltung in Polen gewesen sei und daher nicht in Frage komme. Von unserer Seite wurde darauf hingewiesen, daß, was zunächst Herrn Peters anginge, Herr Peters in keiner Weise belastet sei, daß doch die britische Militärregierung in anderen Fällen, z.B. im Falle des Oberstadtdirektors Kolb, der in der belgischen Militärverwaltung tätig gewesen sei, dessen Tätigkeit nicht als hindernd für die Bekleidung des Postens von hervorragender Bedeutung angesehen habe. Was Herrn Lammers angehe, so sei Herr Lammers allerdings unter Herrn von Papen 3 Monate noch Staatssekretär gewesen und habe als solcher auftragsweise Verfügungen unterzeichnet, durch die der Hitlerjugend die Benutzung von Turnhallen freigegeben worden sei. Die Rheinische Zeitung habe diese Verfügung gerade im richtigen Augenblick ausgegraben, um entsprechende Schwierigkeiten zu machen. Mit diesen Verfügungen habe es folgende Bewandtnis:
Es hätten im Jahre 1932 auf Veranlassung des Reichspräsidenten von Hindenburg Besprechungen stattgefunden, um ein Reichskabinett möglichst mit allen Parteien unter Einschluß der NSDAP zu bilden ohne Kommunisten. Die Vertreter der NSDAP hätten bei diesen Beratungen darauf hingewiesen, daß es doch untunlich sei, wenn sie an solchen Beratungen beteiligt würden und gleichzeitig noch Verfügungen bestünden, durch die sie den Kommunisten gleichgestellt würden. Sie bäten daher, diese Verfügungen aufzuheben. In Verfolg dieser Bitte sei auf allgemeinen Wunsch diese Verfügung aufgehoben worden. Das habe Herr Lammers ausgeführt3.
Von unserer Seite wurde dann weiter dargelegt, daß es doch dringend erwünscht sei, um nicht noch weitere Uneinigkeiten unter den deutschen Parteien hervorzurufen, die Vorgänge des Jahres 1932 nicht in den Kreis der Beratungen zu ziehen. Wenn aber die anderen Herren Wert darauf legten, bei der Beurteilung von Persönlichkeiten auch das Verhalten der anderen Parteien im Jahre 1932 mit in den Kreis der Betrachtungen zu ziehen, so sei ich durchaus dazu bereit, das zu tun. Es bliebe aber dabei, daß Herr Amelunxen erklärte, ein Mann, der unter Herrn von Papen noch weitergearbeitet habe, komme für ihn nicht in Frage.
Es erklärte dann weiter Herr Minister Severing namens seiner Partei, daß das Ministerium des Innern, da es sehr wichtige personelle Entscheidungen zu treffen habe, für einen Vertreter der CDU überhaupt nicht in Frage käme, auch nicht für Herrn Arnold, weil in der CDU sich so zahlreiche Angehörige der früheren Rechtsparteien befänden. Herr Görlinger, der Vorsitzende der Sozialdemokratie für die obere Rheinprovinz, unterstrich das noch dahin, daß er sagte, eine wirkliche Demokratisierung und wirkliche Durchführung der Entnazisierung sei nicht gewährleistet, wenn ein Vertreter der CDU Minister des Innern würde. Herr Amelunxen griff dann einen Vorschlag auf, den er in einer früheren Sitzung gebracht hatte, und schlug vor, man solle ein Justiz- und Verfassungsministerium und ein Innenministerium bilden, und man solle aus dem Geschäftsbereich des Ministeriums des Innern herausnehmen die Frage der Verfassung des neuen Landes und die Frage seiner Gliederung und solle diesen Bereich mit dem Justiz-Ministerium verbinden. Für das Innenministerium verblieben dann noch Personalfragen, Kommunalaufsicht, Polizei u. dergl.
Herr Amelunxen schlug dann vor, dieses Justiz- und Verfassungsministerium der SPD zu geben und das verkleinerte Innenministerium der CDU. Die Vertreter der CDU zogen sich dann zu einer kurzen gesonderten Beratung zurück und entschlossen sich, diesen Vorschlag Amelunxen's anzunehmen, sich also zu begnügen mit 3 Ministerien und ferner zu verzichten auf das früher von ihnen verlangte Wohlfahrtsministerium, obgleich auf dem Gebiete der Wohlfahrt in Nordrhein und Westfalen fast ausschließlich konfessionelle Verbände beider Konfessionen arbeiten und sie sich klar waren, daß die Übertragung dieses Ministeriums an einen Kommunisten in Nordrhein-Westfalen von dem größten Teil der Bevölkerung nicht verstanden werden würde. Sie waren aber bereit, den Vorschlag Amelunxen's trotz dieser Bedenken anzunehmen, um eben bei der gegenwärtigen Notlage doch sich nicht zu versagen. Als sie dann zurückkamen in das Beratungszimmer, wo die anderen Parteien und Herr Amelunxen gewesen waren, und der Sprecher der CDU erklärte, seine Partei sei mit dem Vorschlage Amelunxen's einverstanden, erklärte Herr Minister Severing namens der 4 anderen Parteien, sie seien sich darin einig, daß die CDU nicht das Ministerium des Inneren bekommen dürfe. Der Vertreter der CDU fragte dann nach den Gründen, wobei Minister Severing die früher schon von ihm gegebene Erklärung, daß ein Vertreter der CDU das Ministerium des Innern nicht bekommen dürfe, weil jetzt so viele Angehörige der früheren Rechtsparteien in der CDU seien, aufrecht hielt und Herr Görlinger aufrecht hielt, daß eine wirkliche Demokratisierung und Entnazisierung unter einem Angehörigen der CDU als Minister des Innern nicht erfolgen könne.
Die Herren blieben auch hierbei trotz des nachdrücklichen Hinweises, daß Herr Oberbürgermeister Arnold, Düsseldorf, der zuerst sogar von der britischen Militärregierung als Minister des Inneren in Aussicht genommen gewesen war und der jetzt von der CDU vorgeschlagen werde, aus den Gewerkschaften herausgekommen sei. Er ist Mitglied des Siebenerausschusses der Gewerkschaft der Nord-Rheinprovinz und ein Hauptvertreter der christlichen Arbeiterschaft des Westens.
Die KPD wurde von dem Sprecher der CDU gefragt, ob das auch ihre Gründe seien für ihre Stellungnahme dahingehend, daß Angehörige der CDU das Ministerium des Inneren nicht bekommen dürften. Die KPD erklärte, nach ihrer Ansicht müsse ein Mitglied der beiden Arbeiterparteien das Ministerium des Inneren haben. Der Vertreter des Zentrums, Herr Ministerialdirektor Spiecker, wurde dann ausdrücklich auch gefragt, ob er diese Gründe, die Herr Görlinger und Herr Severing angeführt haben, teile, worauf Herr Spiecker erklärte, die SPD sei in seinen Augen zuverlässiger als die CDU. Deswegen sei er dagegen, daß ein Mitglied der CDU das Ministerium des Inneren erhalte.
Dann frug Herr Amelunxen, ob die 4 anderen Parteien bereit seien, ohne CDU ein Kabinett zu bilden, und die Vertreter der CDU verließen dann den Versammlungsraum, da sie ja bei den weiteren Verhandlungen überflüssig waren4.
Zu den nachfolgend erwähnten Vorbereitungen der Regierungsbildung durch Amelunxen, den einzelnen Etappen und Parteiengesprächen (am 25./26.7., 6.8., 8.8. und 14.8.1946) vgl. Walter Först, Geschichte, S. 171-175 und Peter Hüttenberger, Nordrhein-Westfalen, S. 228-231.
Die entscheidende Zusammenkunft, auf die sich diese Aktennotiz bezieht, fand am 17.8.1946 in Düsseldorf statt; hierzu ausführlich Walter Först, Geschichte, S. 175-179; Peter Hüttenberger, Nordrhein-Westfalen., S.231-233 und Detlev Hüwel, Karl Arnold, S. 105-107; vgl. auch die (weitgehend an diese Aktennotiz angelehnten) Darlegungen Adenauers vor dem CDU-Zonenausschuss am 26.9.1946 (Druck: Helmuth Pütz [Bearb.], Konrad Adenauer, S. 192-195).
Zu den aus der Schaffung dieses Amtes resultierenden landespolitischen Kompetenzproblemen im Justizwesen vgl. Joachim Reinhold Wenzlau, Der Wiederaufbau der Justiz in Nordwestdeutschland 1945-1949, Königstein/Taunus, S. 193-285.
Zur Auseinandersetzung wegen Lammers vgl. die Schreiben an Aloys Lammers vom 21.10.1946, an William Asbury vom 5.12.1946 und an Aloys Lammers vom 7.12.1946.
Ohne weitere Beteiligung der CDU bildete Amelunxen nunmehr ein Kabinett aus Vertretern der SPD (August Halbfell, Walter Menzel, Erik Nölting), der KPD (Hugo Paul, Heinz Renner), des Zentrums (Wilhelm Hamacher, Fritz Stricker) und der FDP (Franz Blücher). Die der Union unter anderem zugedachten Ressorts Justiz und Landwirtschaft übernahmen die parteilosen Eduard Kremer und Hermann Heukamp.