Rhöndorfer Ausgabe Online

6. Juli 1946 (Rhöndorf)

An Landrat Johannes Even

, Bergheim/Erft

StBKAH 07.10


Sehr geehrter Herr Even!

Ich erhielt Ihre Briefe vom 2. d. Mts. und 27.6.461 und darf dazu folgendes sagen:

Nur der Kreis Bergheim und ein Teil der Herren von Wuppertal hat bemängelt, daß im Programm, das vom Zonenausschuß einstimmig verabschiedet worden ist, sich nicht die Worte finden: »Gott ist der Herr der Geschichte und der Völker«2. Sonst ist von keiner Stelle irgendwie Bemängelung laut geworden. Ich bitte Sie, auch hieraus zu ersehen, daß das vom Zonenausschuß verabschiedete Programm doch im großen und ganzen Beifall gefunden hat. Daß es Sache des Zonenausschusses für die britische Zone ist, ein Parteiprogramm aufzustellen, und daß er unmöglich vorher oder nachher die Zustimmung einer jeden Landes-Partei dazu einholen kann, liegt wohl klar zu Tage. Ich glaube auch nicht, daß Sie sich dem verschließen können. Wir kämen ja überhaupt sonst nicht zu einer einheitlichen Organisation. Die Richtlinien sind zu einer Zeit verfaßt worden, als noch sehr vieles in der Gärung und im Unklaren gewesen ist. Heute haben sich die Dinge doch schon nach manchen Richtungen hin geklärt, und man muß Parteiprogramme jetzt nicht mehr im Sinne eines ›Aufrufs‹3, wie das damals bei den Richtlinien nötig war, sondern auf Grund von kühlen und nüchternen politischen Überlegungen aufstellen. Ich glaube, daß auch der schärfste Kritiker bei der Durchsicht des Parteiprogramms nicht wird behaupten können, daß das Bekenntnis zum Christentum irgendwie in dem Programm anzuzweifeln ist. Und das ist doch die Hauptsache!

Es ist mir deswegen wirklich nicht verständlich, wenn dort ein Umschwung sich geltend machen soll, namentlich in Klerikerkreisen. Ich höre aus anderen Teilen des Rheinlandes gerade umgekehrt, daß infolge der bekannten Spiecker'schen Veröffentlichung4 sich die Kleriker entschieden vom Zentrum abwenden. Ich hoffe sehr, daß es Ihnen gelingen wird, gerade unter Hinweis auf die Spiecker'schen Ausführungen doch etwaige Meinungsverschiedenheiten schnell beizulegen.

Betonen möchte ich noch, daß keine irgendwie geartete Rücksicht auf norddeutsche Ansichten uns veranlaßt hat, den Satz: »Gott ist der Herr der Geschichte usw.«, der, wie mir berichtet wurde, seinerzeit auf Verlangen der Herren aus Wuppertal und unter Widerstand der Herren aus den übrigen Teilen von Rheinland und Westfalen in die Leitsätze aufgenommen worden ist, nicht mehr im Programm stehen zu lassen.

Es wäre mir lieb, wenn wir uns doch gelegentlich einmal mündlich aussprechen können. Es spricht aus Ihren Schreiben soviel Kritik, die ganz offenbar auf Mißverständnissen beruht, daß ich glaube, eine Aussprache leicht auch Ihnen Aufklärung geben wird.

Was z. B. gerade die von Ihnen angeschnittene Frage »soziale Leistungen« angeht, so hat diese Frage der Zonenausschuß wiederholt behandelt und Entschließungen gefaßt, ganz in Ihrem Sinne. Diese Entschließungen sind auch veröffentlicht worden. Ich habe im Zonenbeirat entsprechende Anträge eingebracht5.

Wir werden in etwa 14 Tagen eine Sitzung des Landesvorstandes der Nord-Rheinprovinz haben. Ich bitte Sie, doch dann das, was Sie auf dem Herzen haben, vorzubringen.

Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebener
(Adenauer)


  1. ^

    Even hatte auf die schwierige Situation der CDU im Kreis Bergheim hingewiesen, in dem sich nach Bekanntwerden des Neheim-Hüstener Programms kooperationsbereite ehemalige Zentrumskreise und Vertreter des Klerus von der Union distanzierten.

    Zur CDU-Zonenausschusstagung in Neheim-Hüsten, bei der Adenauer zum Vorsitzenden der CDU der britischen Zone gewählt wurde, vgl. das Tagungsprotokoll bei Helmuth Pütz (Bearb.), Konrad Adenauer, S. 122-130 sowie vor allem Adenauers eigene Darstellung, besonders der dortigen Programmdiskussion (die am 1.3.1946 zur einstimmigen Verabschiedung des am Adenauer-Entwurf orientierten ersten CDU-Programms führte); vgl. Konrad Adenauer, Erinnerungen 1945-1953, S. 57-62. Druck des Neheim-Hüstener Programms: Dokumente zur Christlichen Demokratie, S. 174-176; Helmuth Pütz (Bearb.), Konrad Adenauer., S.131-135.

  2. ^

    Adenauer hatte sich in Wuppertal am 5.5.1946 mit dem dortigen CDU-Vorstand über die unterschiedlichen Positionen in der Programm- bzw. Präambelfrage ausgetauscht. In einer Aktennotiz vom 7.5.1946  führte er unter anderem aus, »daß mir die Aufführung von religiösen Wahrheiten in einem Parteiprogramm und die öftere Nennung des Namen Gottes oder Christus in einem solchen unangebracht erscheinen.« Gleichwohl konzedierte er, »daß wenn die Vereinigung der CDU der britischen Zone mit derjenigen der amerikanischen Zone erfolge, Änderungen am Programm und der Präambel noch vorgenommen werden würden« (StBKAH 08.54/3); zur ›Wuppertaler Position‹ vgl. Otto Schmidt, Zur Frühgeschichte, S. 50 und Rudolf Uertz, Christentum, S. 80.

  3. ^

    ‹ › hs. von Adenauer korrigiert aus »Entwurfs«.

  4. ^

    Hiermit möglicherweise gemeint: im Juni 1946 verbreitetes Informationsmaterial für die Kreisparteien und Sekretäre der Deutschen Zentrumspartei, das unter anderem eine Erklärung Spieckers zu den CDU-Zentrumsverhandlungen vom 9.4.1946 enthielt; vgl. Hans Georg Wieck, Die Entstehung, S. 144.

  5. ^

    Der CDU-Zonenausschuss hatte sich am 28.2.1946 gegen die von den Alliierten geplante Umgestaltung der Sozialversicherung ausgesprochen und gefordert, »daß alle Reformpläne zurückgestellt werden, bis eine deutsche politische und wirtschaftliche Einheit geschaffen ist und die Arbeitnehmer frei ihren Willen über die Gestaltung der Sozialversicherung bekunden können« (Druck: Helmuth Pütz [Hrsg.], Konrad Adenauer, S. 127). Hieran anknüpfend, richtete Adenauer am 18.5.1946 einen entsprechenden Antrag an den Zonenbeirat (Original in: BT PA 1/145); vgl. Konrad Adenauer, Erinnerungen 1945-1953, S. 67 und Hans Günter Hockerts, Sozialpolitische Entscheidungen, S. 34. Zur Behandlung des Themas im Zonenbeirat vgl. Akten zur Vorgeschichte Bd., 1, S. 678-684.