Rhöndorfer Ausgabe Online
Aktennotiz über ein Gespräch mit ausländischen Pressevertretern
StBKAH 07.01, eigenhändig, dazu ms. Niederschrift mit kleineren Korrekturen
Druck: Konrad Adenauer, Erinnerungen 1945-1953, S. 341; Konrad Adenauer. Dokumente aus vier Epochen, S. 86f.; Konrad Adenauer. Seine Zeit – sein Werk, S. 237f.; Paul Wilhelm Wenger, Schuman und Adenauer, in: Konrad Adenauer und seine Zeit Bd. I, S. 401f.; Jürgen Weber, Entscheidungsjahr 1948, S. 33; Wolfgang Benz, Günter Plum und Werner Röder, Einheit der Nation. Diskussionen und Konzeptionen zur Deutschlandpolitik der großen Parteien seit 1945, Stuttgart-Bad Cannstatt 1978, S. 123f.
Am 5.10.45 waren ein Vertreter des News Chronicle und der As[sociated] Press (Miss Barb[ara] Page, empfohlen durch Herrn Stern-Rubarth2) bei mir. Ich habe ihnen in sehr unterstrichener Weise meine Befürchtungen wegen der Absicht der Alliierten, der deutschen Bevölkerung keine Kohle zum Kochen zu geben, zur Kenntnis gebracht. Ich habe auf die sehr verwerflichen Folgen, Tod ungezählter Tausender, Schwächung der übrigen durch Krankheiten, Epidemien, hingewiesen3. Ich habe ihnen weiter gesagt, de Gaulle habe in diesen Tagen eine Rede in Saarbrücken gehalten4 und laut Londoner Sender in ihr gesagt, Franzosen und Deutsche müßten einen Strich unter die Vergangenheit machen, zusammenarbeiten und eingedenk sein, daß sie Europäer seien. Die Journalisten sagten, sie seien bei dieser Rede zugegen gewesen, de Gaulle habe sogar gesagt, Franzosen und Deutsche müßten eingedenk seien, daß sie Westeuropäer seien. Ich erwiderte, ich wollte, daß einmal ein englischer Staatsmann von uns als Westeuropäern gesprochen hätte. Der Vertreter des News Chronicle fragte nach meiner Ansicht über den Rhein-Ruhrstaat. Ich habe auf diese Frage folgendes geantwortet: Nach den Vorgängen der letzten hundert Jahre verstünde ich den Ruf Frankreichs und Belgiens nach Sicherheit. Es sei aber falsch, einen Rhein-Ruhrstaat aus dem nichtrussisch besetzten Gebiete Deutschlands herauszutrennen und von Deutschland loszulösen. Der von Rußland besetzte Teil sei für eine nicht zu schätzende Zeit für Deutschland verloren – beide Journalisten stimmten dem zu –. Wenn man einen Rhein-Ruhrstaat losgelöst von den andern Teilen Deutschlands bilde, erhebe sich sofort die Frage, was denn aus den Teilen Deutschlands nördlich und südlich dieses Rhein-Ruhrstaates staatsrechtlich werden solle. Rußland würde getreu seinen imperialistischen Tendenzen sofort erklären, der von ihm besetzte Teil, das ist die Hälfte des alten Deutschland, sei das alte deutsche Reich. Die drei zerschnittenen Teile der nichtrussisch besetzten Zonen wurden schon automatisch nach Wiedervereinigung mit diesem russisch besetzten alten Reich streben. Man kehre ihr Gesicht geradezu nach dem Osten nicht nach dem Westen. Es sei notwendig, die drei Teile des nichtrussisch besetzten Gebietes, die bei Schaffung eines Rhein-Ruhrstaates entstünden, in einem staatsrechtlichen Verhältnis miteinander zu belassen. Es könne das eventuell bundesstaatlich sein. Vor allem aber sei es meiner Ansicht nach nötig, die Wirtschaft dieses Teiles, insbesondere die Wirtschaft des Rhein-Ruhrstaates, mit derjenigen Frankreichs und Belgiens zu verflechten, damit dadurch gemeinsame wirtschaftliche Interessen entstünden. Gemeinsame wirtschaftliche Interessen seien m. E. die sicherste und beste Grundlage für Annäherung der Völker und Sicherung des Friedens. Auf die Frage des Vertreters des News Chronicle, ob denn Köln in diesem Falle französisch besetzt werden müsse, habe ich geantwortet, das sei zur Verwirklichung des obigen Gedankens nicht notwendig. Die Forderungen Frankreichs und Belgiens nach Sicherheit könnten auf die obige Weise und durch internationale Controlle erfüllt werden. Wenn es aber nicht anders gehe, müsse auch das um des höheren Zweckes willen schließlich in Kauf genommen werden. Es sei dies eine Frage von zweiter Bedeutung.
gez. Adenauer
Vor der unmittelbar anschließenden Darstellung seiner Entlassung begründet Adenauer seine Beweggründe für diesen Pressekontakt wie folgt: »Die Reaktion auf meine Forderung nach besserer Versorgung der Bevölkerung u. a. mit Hausbrand war ziemlich eisig, und ich konnte kaum auf eine Billigung meines Anliegens hoffen. Ich versuchte deshalb, über die Presse unseren Forderungen größeren Nachdruck zu geben« (Erinnerungen 1945-1953, S. 34). Zu diesem in der Literatur seither häufig erwähnten, intensiv ausgewerteten Interview vgl. unter anderem Rudolf Morsey, Die Rheinlande, S. 209; ders., Vom Kommunalpolitiker, S. 36; Toni Diederich, Adenauer als Oberbürgermeister, S. 526.
Stern-Rubarth wird beschrieben als »Förderer der europäischen Einigung und der deutsch-französischen Verständigung«, so – mit ausführlichen Angaben zur Person (auch zur Beratertätigkeit für britische Stellen im Zweiten Weltkrieg) –: Biographisches Handbuch Bd. 1, S. 733f. Zu den Beziehungen Stern-Rubarths zu Adenauer vgl. seine Erinnerungen: …Aus zuverlässiger Quelle verlautet … Ein Leben für Presse und Politik, Stuttgart 1964, S. 205-207, 288, 311f.
Vgl. das Schreiben an George N. Shuster vom 1.9.1945 und das Schreiben an J. Alan Prior vom 1.9.1945.
Rede des französischen Ministerpräsidenten (1945/46) General Charles de Gaulle am 3.10.1945 in Saarbrücken; vgl. AdG Jg. 15 (1945), S. 458f. Zum Hintergrund dieser Rede (Reise de Gaulles durch die französische Besatzungszone) vgl. Charles de Gaulle, Memoiren 1942-46. Die Einheit – das Heil, Düsseldorf 1961, S. 494-496.