* geboren 23.02.1912
in
Duisburg
† gestorben 01.01.1997
in
Oelde
Erzieherin, Bundesministerin
1931 | Abitur |
1933 | nicht zum Studium zugelassen |
1945 | Mitgründerin der CDU in Duisburg |
1946-1948 | Stadträtin |
1949-1972 | MdB (1964-1968 stellvertretende Fraktionsvorsitzende) |
1958-1971 | Vorsitzende der Frauenvereinigung (Frauen-Union) |
1967-1969 | stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU |
1968-1969 | Bundesministerin für Familie und Jugend |
Die Frau soll „nicht den Mann imitieren“, vielmehr ist sie „mit ihren spezifischen Fähigkeiten, ihrer Weltoffenheit und ihrem Ganzheitsdenken in der Politik gefordert“. Von dieser Grundüberzeugung hat sich die langjährige Bundestagsabgeordnete und kurzzeitige Bundesministerin für Familie und Jugend, Aenne Brauksiepe, leiten lassen.
Aenne Brauksiepe kam am 23. Februar 1912 als zweite Tochter des Reichsbahnbeamten Heinrich Engels und seiner Frau Käthe in Duisburg zur Welt. Ihre Kindheit und Jugend war geprägt vom als außerordentlich glücklich empfundenen Zusammenleben in der Großfamilie, zu der neben Eltern und Schwester noch die Großeltern, eine Urgroßmutter sowie 22 Tanten und Onkel gehörten. Die Mutter engagierte sich in der katholischen Frauenbewegung und in der Zentrumspartei. Während der großen Arbeitslosigkeit im Zuge der Weltwirtschaftskrise ab 1929 bemühte sie sich, in den Arbeitervierteln der Stadt die größte Not zu lindern und wurde bei diesen „Engelgängen“ häufig von ihren Töchtern begleitet.
Für Aenne Brauksiepe war das ehrenamtliche Engagement innerhalb des katholischen Milieus daher von Kindheit an eine Selbstverständlichkeit. Sie betätigte sich in der katholischen Jugendbewegung und wurde Vorsitzende des Liebfrauenbundes in Duisburg, einer Vereinigung von Schülerinnen der von den „Schwestern unserer lieben Frau“ geleiteten Schulen. 1931 legte sie am katholischen Oberlyzeum das Abitur ab und arbeitete zunächst als Erzieherin in einem Heim für blinde und behinderte Kinder. Da sie aufgrund der politischen Haltung der Familie im „Dritten Reich“ nicht zum Studium zugelassen wurde, verließ sie Deutschland und besuchte ein College in Glasgow. Nach der 1937 erfolgten Heirat mit dem Journalisten Werner Brauksiepe lebte sie sechs Jahre in den Niederlanden und unterrichtete erneut körperbehinderte Kinder. 1943 kehrte sie nach Duisburg zurück, wo auch ihr einziges Kind, ein Sohn, zur Welt kam.
Trotz der Sorge um ihren an der Front vermissten Mann, der erst 1946 heimkehren sollte, stürzte sich Aenne Brauksiepe unmittelbar nach Kriegsende in die karitative und politische Arbeit. So gründete sie mit der Frau von Oberbürgermeister Heinrich Weitz im schwer zerstörten Duisburg einen überparteilichen Frauenausschuss zur Unterstützung von Flüchtlingen, Obdachlosen und anderen Bedürftigen. Sie befürwortete die Bildung einer überkonfessionellen christlichen Volkspartei und gehörte zum Gründerkreis der CDU in ihrer Heimatstadt.
Nach den ersten Kommunalwahlen am 13. Oktober 1946 zog sie als einzige Frau in die Stadtverordnetenversammlung ein. Eine solche „Rathaustätigkeit“ sei, wie sie rückblickend schrieb, „die beste Vorschule für spätere politische Einsätze“. Man lerne „zu formulieren, in Fachausschüssen weiter zu denken, die Gegenseite zu akzeptieren als bemüht […] und hinterher den Mehrheitsbeschluss mit Spaß hinzunehmen“. Auch in der kirchlichen Jugend- und Frauenarbeit wurde sie wieder aktiv, engagierte sich als zweite Vorsitzende für den Katholischen Deutschen Frauenbund (KDFB) und knüpfte – wie schon in der Weimarer Zeit – erneut internationale Kontakte.
Der KDFB war es auch, der sich für sie als Kandidatin für die Wahl zum ersten Deutschen Bundestag stark macht. Nach einigem Zureden willigte Aenne Brauksiepe ein, im Wahlkreis Köln II zu kandidieren. Sie gewann das Mandat mit deutlichem Vorsprung und verteidigte es bei den folgenden Wahlen immer wieder erfolgreich. Ständig pendelt sie nun zwischen Bonn, dem münsterländischen Oelde, wo die Familie seit Mitte der 1950er Jahre aufgrund einer beruflichen Veränderung ihres Mannes wohnte, und ihrem Kölner Wahlkreis. Bisweilen wurde sie daher als „personifizierter Bundestrich“ zwischen Rheinland und Westfalen bezeichnet. Im Parlament befasste Aenne Brauksiepe sich mit „frauenrelevanten“ Themen wie dem Mutterschutzgesetz, der Einführung eines Kindergeldes ab dem dritten Kind und der Witwenrente, beschränkte sich aber keineswegs auf diese Bereiche.
Ebenso engagiert focht sie für eine Aussöhnung mit den früheren Kriegsgegnern, die Abwehr des Kommunismus und die europäische Integration. So bestritt sie 18 größere Versammlungen zur Popularisierung des Schuman-Planes und verteidigte diesen resolut gegen Kritiker. Bundesweite Bekanntheit erlangte Aenne Brauksiepe durch eine fulminante Rede in der großen Wehrdebatte des Deutschen Bundestages am 7. Februar 1952. Sie war sich darüber im Klaren, dass nur dann ein breiter gesellschaftlicher Konsens über die Notwendigkeit eines bundesdeutschen Wehrbeitrags hergestellt werden konnte, wenn es gelang, die Zustimmung der durch den Krieg vielfach leidgeprüften und darum oftmals zögernden Frauen zu gewinnen. Eindringlich wandte sie sich gegen den angesichts der kommunistischen Bedrohung in ihren Augen illusionären und gefährlichen Neutralismus, wie ihn die Zentrumspolitikerin Helene Wessel in derselben Debatte vertrat. „Ausweichen in die Neutralität“ sei schlicht „nicht möglich“. Ein deutscher Wehrbeitrag wäre angesichts der Weltlage „ein der Sicherung des Friedens dienendes Verteidigungsinstrument“ und das Ja der Frauen hierzu daher ein Beitrag zur Friedenssicherung und zur Wahrung der eigenen Freiheit. Die Rede wurde von ihrer Partei als Broschüre unter dem Titel „Eine Frau spricht gegen die Angst“ verbreitet.
In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre wurde Aenne Brauksiepe mehr und mehr zur entscheidenden Figur innerhalb der Frauengruppe der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages. Beobachter bescheinigten ihr, aufgrund ihrer Führungspositionen in wichtigen, der CDU nahestehenden katholischen Frauenverbänden verfüge sie innerparteilich über eine „furchterregende frommfrauliche Hausmacht“. Am 15. Dezember 1964 wurde sie als Nachfolgerin der unerwartet verstorbenen Luise Rehling zur stellvertretenden Vorsitzenden ihrer Fraktion gewählt.
Zu Konrad Adenauer hatte Aenne Brauksiepe ein recht gutes Verhältnis. Sie hielt die politischen Weichenstellungen, die er für die junge Bundesrepublik vornahm, für richtig und unterstützte sie nach Kräften: Westbindung, Festigung des transatlantischen Bündnisses, europäische Integration. Außerdem habe sie, wie sie berichtete, einen Rat, den der „Alte“ ihr einmal gegeben habe, in ihrem politischen Leben stets beherzigt: In der Politik müsse man, um Erfolg zu haben, sich eine Sache vornehmen, dafür die richtigen Mitstreiter finden und sie dann konsequent zu Ende bringen.
Diese Maxime könnte auch eine Rolle gespielt haben, als gegen Ende der langwierigen Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl 1961 durchsickerte, dass dem neuen Bundeskabinett wieder keine Frau angehören sollte – sehr zur Empörung der weiblichen CDU/CSU-Abgeordneten. Was folgte, ist in den Anekdotenschatz zur Geschichte der Bonner Republik eingegangen: Aenne Brauksiepe trommelte einige Damen aus der Fraktion zusammen und veranstaltete mit ihnen eine Art Sit-In im Bundeskanzleramt, entschlossen, das Feld erst wieder zu räumen, wenn auf der neuen Kabinettsliste auch eine Frau Platz gefunden hätte. Nachdem er seine Parteifreundinnen lange hatte warten lassen, stimmte Adenauer schließlich ihrem Anliegen und der Schaffung eines – bisher nicht existenten – Gesundheitsministeriums zu, dessen Leitung der CDU-Politikerin Elisabeth Schwarzhaupt übertragen wurde.
Immer wieder ermutigte Brauksiepe Frauen, von überkommenen Rollenbildern Abschied zu nehmen und in Staat und Gesellschaft mitgestaltend tätig zu werden: „Wir Frauen sind eine Macht, dass wir es nicht wissen, schränkt unsere Macht ein.“ Ziel war ein partnerschaftliches Verhältnis der Geschlechter, denn „die Last der Geschichte ist Männern und Frauen gleichermaßen auferlegt“. Wiederholt mahnte sie in Sitzungen des Bundesvorstands der CDU die Berücksichtigung der Bedürfnisse und Anliegen von Frauen an.
Schon früh erkannte sie die tiefgreifenden Veränderungen hinsichtlich der weiblichen Rolle in Familie und Volkswirtschaft. Zu den „Grundsatzfragen künftiger Familienpolitik“ zählte sie die Herausforderung, die Familie als Grundwert der Verfassung zu erhalten, zugleich aber die persönliche und berufliche Entwicklung von Frauen und Jugendlichen zu fördern. Im Frühjahr 1968 mahnte Aenne Brauksiepe gegenüber Bundeskanzler Kiesinger die Umsetzung der Ergebnisse der Frauen- und Sozialenquete an, deren Bericht 1966 vorgelegt worden war. Es müsse den Frauen ein flexibler Berufsweg und die Vereinbarung von Berufstätigkeit und Kindererziehung ermöglicht werden. Die vorgeschlagenen Maßnahmen muten höchst aktuell an: Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung, Förderung von Weiterbildungsmaßnahmen, Ausbau von Kindergärten und Ganztagsschulen.
Allerdings betonte sie stets die Differenziertheit und dennoch Gleichrangigkeit weiblicher Lebensläufe. Alleinstehende berufstätige Frauen, alleinerziehende Mütter, verheiratete Frauen mit Beruf und Kindern verdienten ebenso gesellschaftliche Anerkennung und Förderung wie „Nur-Hausfrauen“. Konsequent forderte sie von Staat und Wirtschaft, Frauen nach der Kindererziehung die Rückkehr in das Berufsleben durch Weiterbildung, Umschulung usw. zu ermöglichen. Es sei ein großer Fehler, seitens der CDU, die Interessen berufstätiger Frauen zu vernachlässigen, denen die SPD große Aufmerksamkeit widme.
1958 übernahm Aenne Brauksiepe von Helene Weber den Vorsitz der Bundesvereinigung der Frauen der CDU, die damals von einer konfessionellen Doppelspitze geführt wurde. Nach einer entsprechenden Satzungsänderung wurde sie 1969 alleinige Vorsitzende. Während ihrer Amtszeit wurden die Organisation gestrafft, Fachausschüsse gebildet sowie vermehrt Seminare zur politischen Bildung, Studientagungen, Delegiertenkonferenzen und zentrale Kongresse durchgeführt. 1964 fand unter dem Titel „Frau und Arbeitswelt – morgen“ der erste Frauenkongress der CDU statt, an dessen Ende Aenne Brauksiepe hervorhob, man habe der eigenen Partei die Kluft zwischen dem antiquierten, in der Gesellschaft gleichwohl immer noch vorherrschenden Frauenbild und der gesellschaftlichen Realität bewusst machen können. 1969 folgte ein weiterer großer Frauenkongress mit dem Thema „Die Frau im Spannungsfeld unserer Zeit“, der sich vor allem mit dem Spannungsfeld von familiären und außerfamiliären Aufgaben auseinandersetzte. Auch im Bundesvorstand ihrer Partei, dem sie seit 1956 angehörte, sowie im Präsidium, in das sie 1966 aufrückte, kämpfte sie für ihre Positionen.
Aenne Brauksiepe galt Ende der 1960er Jahre schon lange Zeit als „ministrabel“. Als der amtierende Bundesminister für Familie und Jugend, Bruno Heck, der zugleich Generalsekretär der CDU war, ein Jahr vor Ende der Legislaturperiode auf sein Amt verzichtet, um den Wahlkampf für seine Partei vorzubereiten, wurde sie im Oktober 1968 seine Nachfolgerin. Sie war damit nach Elisabeth Schwarzhaupt (CDU) und Käthe Strobel (SPD) die dritte Bundesministerin in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. In ihre kurze Amtszeit fielen Initiativen für einen Ausbau des Familienlastenausgleichs, die Einführung eines „Bundesaltenplans“, die Schulfreiheit an Samstagen, damit vor allem die Väter mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen konnten, sowie die rechtliche Gleichstellung unehelicher Kinder. Verabschiedet wurde das „Erste Gesetz über individuelle Förderung und Ausbildung“, das in Fortschreibung des „Honnefer Modells“ die Ausbildungs- und Studienförderung junger Menschen regelte.
In diesem Zusammenhang wurde sie auch unmittelbar mit der protestierenden akademischen Jugend konfrontiert, als eine Gruppe Studenten ungehindert in ihr Ministerium eindringen konnte und vor dem Ministerbüro ein „Sit-In“ veranstaltete, um dagegen zu protestieren, dass ein „repressionsfreies Studium“ nicht möglich sei. Die Reaktion von Aenne Brauksiepe verblüffte Protestierer wie Mitarbeiter: Sie ließ sich ein Sitzkissen bringen, nahm ebenfalls auf dem Boden Platz und diskutierte zwei Stunden mit den jungen Leuten, denen sie eine Fortsetzung des Gesprächs in Aussicht stellte, „wenn alle sich sachkundig gemacht haben“.
Gelegentlich äußerte Aenne Brauksiepe die Überzeugung, man müsse als Frau in der Politik „auftreten wie eine Lady und kämpfen wie ein Schlachtross“. Diese Kampfeslust bekam unter anderem der Schriftsteller Heinrich Böll zu spüren, der im Juli 1969 in einem „Offenen Brief an eine deutsche Frau“ in reichlich herablassendem Ton den Versuch unternahm, wie er es formulierte, die Wählerinnen der Union „aus der unwürdigen Situation zu befreien, ‚Stimmvieh´ für die CDU/CSU zu sein“. Sie sollten nicht aus falsch verstandener Treue und Gewohnheit ihre Wahlentscheidung treffen und „ihre Sympathien erotischer Art streng von der Politik trennen“. Aenne Brauksiepe antwortete ihm unter der Überschrift „Ansichten eines Clowns“ mit schneidender Schärfe: Böll wisse nichts von Frauen und nichts von Politik, besitze aber – einem Clown angemessen – „einen unerhörten Mut zur Lächerlichkeit“. Hinter der Wahlentscheidung von Frauen stecke „eine sehr bewusste politische Entscheidung“, diese wüssten „besser als die Träumer vom Schlage eines Herrn Böll, worauf es ankommt“.
Aenne Brauksiepe die sich nach dem Ausscheiden aus dem Ministeramt 1969 sukzessive aus ihren zahlreichen Ämtern und Funktionen zurückzog, wurde mit zahlreichen staatlichen und kirchlichen Auszeichnungen geehrt. Im Rahmen einer Feier zu ihrem 75. Geburtstag würdigte Bundeskanzler Helmut Kohl ihre Verdienste und stellte fest: „Die Frauenpolitik der Bundesrepublik wäre ohne sie nicht möglich gewesen.“
Am Neujahrstag des Jahres 1997 starb Aenne Brauksiepe in Oelde. Sie war, wie ihre frühere Mitstreiterin Hanna-Renate Laurien schrieb, eine der Frauen, „die sich zu Wort melden und nicht in einer Tanzstundenhaltung warten, bis man sie auffordert“ und habe „durch ihr Reden und Tun, durch ihr Verhalten und ihre Konzeptionen entscheidend zum Wandel des Frauenbildes in Deutschland beigetragen“.
Kaff, Brigitte: Aenne Brauksiepe (1912–1997). In: Jürgen Aretz/Rudolf Morsey/Anton Rauscher (Hg.): Zeitgeschichte in Lebensbildern. Aus dem deutschen Katholizismus des 19. Und 20. Jahrhunderts. Bd. 9. Münster 1999, S. 277–289.
Laurien, Hanna-Renate: Aenne Brauksiepe – immer einen Schritt voraus. In: Monika Weichert-von Hassel (Hg.): Der zerrissene Schleier. Frauen in unserer Zeit. Bonn 1987, S. 209ff.
Lenz, Marlene (Hg.): Aenne Brauksiepe zum 75. Geburtstag. Selbstdruck 1987.
Schroeder, Christa: Von einer mitreißenden Überzeugung: Aenne Brauksiepe. In: Renate Hellwig (Hg.), Die Christdemokratinnen – Unterwegs zur Partnerschaft Stuttgart/Herford 1984, S. 184–193.