* geboren 03.04.1881
in
Pieve Tesino/Trient
† gestorben 19.08.1954
in
Sella/Borgo Valsugana
Journalist, Jurist, Politiker, italienischer Ministerpräsident, rk.
1900-1905 | Studium der Rechtswissenschaften und Promotion in Wien |
1905 | Redakteur bei der Zeitung „Il nuovo Trentino" |
1911 | Wahl in das österreichische Parlament |
1914 | Wahl in den Tiroler Landtag |
1919 | Mitbegründer des Partito Populare Italiano (PPI) |
1921 | Abgeordneter des PPI |
1923 | Generalsekretär des PPI |
1926 | Inhaftierung wegen antifaschistischer Aktivität, 3-jährige Haft |
1929 | Bibliothekar der Carnegie-Stiftung im Vatikan |
1942 | Mitbegründer der Democrazia Cristiana (DC) |
1944 | Minister ohne Portefeuille im 1. Kabinett Bonomi |
ab 10.06.1944 | Außenminister des 2. Kabinetts Bonomi und im Kabinett Parri |
13.12.1945 | Ministerpräsident |
1951 | zusätzlich Außenminister |
28.07.1953 | Sturz des Minderheitskabinetts der DC |
11.05.1954 | Wahl zum Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung der EGKS |
Auf der Grundlage ihrer christlich-demokratischen Überzeugung kämpfen Adenauer und de Gasperi gegen den wachsenden Einfluss kommunistischer Kräfte in Europa und erkennen die Notwendigkeit, durch europäische Einigung den Nationalismus zu überwinden.
Persönlich treffen beide im September 1921 in Köln erstmals zusammen. Als Abgeordneter der Partito Popolare Italiano im Palazzo Montecitorio, die von Don Luigi Sturzo - eigentlichen Luigi Boscarelli - gegründet wurde, unternimmt de Gasperi erste Sondierungen zu einer christlich-demokratischen Internationalen mit führenden Vertretern der deutschen Zentrumspartei. Dazu gehört der 44-jährige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer. Obgleich sich Adenauer und de Gasperi weltanschaulich durchaus nahestehen, weil sie beide für die Abwehr des wachsenden Einflusses kommunistischer Kräfte auf die jeweilige nationale Politik kämpfen, ist damals die Zeit für eine transnationale Zusammenarbeit konservativer Parteien in Europa noch nicht reif. Immerhin sollte es 30 Jahre dauern, bis sie sich ein zweites Mal begegnen.
Als Adenauer im Februar 1946 zum Vorsitzenden der neugegründeten Christlich-Demokratischen Union der britischen Besatzungszone gewählt wird, ist Alcide Gasperi gerade acht Wochen Ministerpräsident Italiens. Nachdem dieser im April 1948 einen glänzenden Wahlsieg erringt, gratuliert ihm Adenauer mit den Worten, das "ist ein Beweis der Kraft unserer gemeinsamen Überzeugung". Der Presse gegenüber verkündet er, die Ziele und geistigen Grundlagen der Democrazia Cristiana bieten einen sicheren Schutz gegen die kommunistische Ansteckung. Adenauer weiß um die Bedeutung des Sieges de Gasperis für die Bekämpfung des Kommunismus in Westeuropa. Das werde jedem klar - so ist Adenauer zu vernehmen -, der sich vorstelle, welche Folgen ein Volksfrontsieg in Italien auf die Durchführung des Marshall-Plans haben würde.
Nach seiner Wahl zum Bundeskanzler im September 1949 ist Adenauer bemüht, die international isolierte und unter Besatzungsstatut stehende Bundesrepublik aus ihrer degradierten Stellung zu befreien. Ein wichtiger Schritt dazu ist die Aufnahme in den Europarat, für die sich vor allem de Gasperi hinter den Kulissen stark macht. Noch mehr beeindruckt ist Adenauer davon, daß gerade de Gasperi ihn im Oktober 1950 als erster westlicher Regierungschef zu einem offiziellen Besuch nach Italien einlädt. Das Treffen im Juni 1951, drei Monate nach Unterzeichnung des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl in Paris, führt zwei Staatsmänner zusammen, die bereits lange zuvor über die Journalistin Lina Morino in Kontakt stehen. Sie ist Anfang der fünfziger Jahre Leiterin der Verbindungsstelle zur Auslandspresse der DC und hat Adenauer in verschiedenen Unterhaltungen einen Eindruck davon vermittelt, welche geistigen und politischen Impulse von den Christdemokraten auf die italienische Politik ausgehen. Mit den ersten erfolgreichen Schritten einer Sechser-Gemeinschaft wird immer deutlicher, daß der Wahlsieg de Gasperis 1948, unterstützt vom Klerus und durch Wirtschaftshilfe der Vereinigten Staaten, ebenso ein wichtiger Meilenstein für die Christdemokraten in Europa gewesen ist wie der Sieg Adenauers bei den Bundestagswahlen 1949.
Adenauer ist nicht nur in Italien uneingeschränkt willkommen. Nein, er kann sich auch dafür bedanken, daß die italienische Regierung innerhalb der NATO und im Europarat stets nach Kräften für die Wiederaufnahme Deutschlands in die Gemeinschaft europäischer Nationen eintritt und sich nachdrücklich für die gleichbrechtigte Integration Deutschlands einsetzt. Für den Bundeskanzler bedeutet die Visite ein großer Schritt zur Normalisierung der deutsch-italienischen Beziehungen und zugleich ein Zeichen der Anerkennung in der westlichen Welt. Adenauer ist zudem nicht entgangen, daß de Gasperi sich gegen eine deutschlandfeindliche Politik entschieden hat. Das ist nach dem Bruch der ehemaligen Achsenmächte keineswegs selbstverständlich. Er hat eben nicht den Vorbehalten der Kommunisten und Nenni-Sozialisten nachgegeben, sondern seinen Beitrag dazu geleistet, die imperialistische Politik, die Deutschland und Italien beherrschten, als abgeschlossenes Kapital zu betrachten. Außerdem hat sich de Gasperi zum Ziel gesetzt, das demokratische Italien an die westeuropäischen Staaten heranzuführen und Hilfestellung bei der Überwindung der deutsch-französischen Feindschaft zu leisten.
Adenauer und de Gasperi verbindet aber nicht nur eine große menschliche Nähe; sie befinden sich auch in durchaus parallelen politischen Situationen. Beide werden von extremen Rechten und Linken beim Aufbau ihrer Länder und der Neuorientierung ihrer Außenpolitiken zu einer europäischen Einigung angefeindet. Beide erkennen rechtzeitig die Zerstörungskraft des modernen Nationalismus. Und schließlich sind beide davon überzeugt, daß humane Prinzipien zur Bewältigung der Modernitätskrise von der christlich-sozialen Bewegung besser vertreten werden als von der Sozialistischen Internationalen.
De Gasperi, der sich stark an der Enzyclica Rerum novarum orientiert, ist vielleicht mehr noch als Adenauer der Prototyp eines europäischen Föderalisten. Während der Kanzler zunächst um die Beseitigung des Besatzungsstatuts, die Wiedererlangung der Souveränität und die internationale Gleichberechtigung Deutschlands kämpft und in dem Gebilde der Vereinigten Staaten von Europa mehr das Zukunftsmodell erblickt, zielt de Gasperis Wirken direkt auf einen europäischen Bundesstaat hin. Beide sind sich darüber im klaren, daß der Wiederaufbau des eigenen Landes nur in enger Anlehnung an den Wiederaufbau der westlichen Demokratien gelingen kann. Ihr Verdienst besteht darin, daß sie gemeinsam mit Robert Schuman, Joseph Bech und Paul-Henri Spaak die Gründung der Europäischen Gemeinschaft politisch durchsetzten.
Um so betrüblicher ist die Nachricht vom Tode de Gasperis, die Adenauer auf der Brüsseler Konferenz am 19. August 1954 erreicht; genau zu dem Zeitpunkt, als das Schicksal der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, der Deutschland-Vertrag von 1952 und damit praktisch die Fortsetzung des gesamten europäischen Einigungsprozesses auf dem Spiele steht.