Konrad Adenauer und Charles des Gaulle unterzeichnen am 22. Januar 1963 den...

Charles de Gaulle

* geboren 22.11.1890 in Lille
† gestorben 09.11.1970 in Colombey-les-Deux-Églises


Brigadegeneral, Präsident des französischen Ministerrats, französischer Staatspräsident

Teilen und drucken

Übersicht

1912Nach Absolvierung der Offiziersschule Laufbahn als Berufsoffizier in der französischen Armee
1914-1918Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg; in der Verdun-Schlacht 1916 gerät de Gaulle in deutsche Kriegsgefangenschaft
1919-1937Verschiedene Verwendungen vorrangig als Stabsoffizier, im Jahr 1927 zwischenzeitliche Tätigkeit als Bataillonskommandeur im besetzten Trier
1939Übernahme des Kommandos einer Panzerdivision
19. Mai 1940Ernennung zum Brigadegeneral
6. Juni 1940De Gaulle wird Unterstaatssekretär im Verteidigungsministerium
18. Juni 1940Radioansprache an die Franzosen von London aus mit dem Aufruf zur Fortsetzung des Widerstandes
25. August 1944Einzug de Gaulles in Paris
September 1944-Januar 1946De Gaulle amtiert an der Spitze der Provisorischen Regierung, ab November 1945 als von der Nationalversammlung gewählter Präsident des Ministerrats
20. Januar 1946Rücktritt vom Amt des Präsidenten des Ministerrats
1947Gründung des Rassemblement du peuple Français (RPF)
1954Erscheinen des ersten Bandes von de Gaulles Kriegsmemoiren
1.Juni 1958Vor dem Hintergrund der innenpolitischen Krise infolge des Algerien-Kriegs wird de Gaulle zum Präsidenten des Ministerrats berufen
14. September 1958Erstes Zusammentreffen mit Bundeskanzler Konrad Adenauer in Colombey-les-Deux-Églises
21. Dezember 1958Wahl zum französischen Staatspräsidenten
18. März 1962Mit dem Abkommen von Evian wird der Algerien-Krieg beendet
2.-8. Juli 1962Staatsbesuch Adenauers in Frankreich; gemeinsames Gebet in der Kathedrale von Reims
22. August 1962Das erste von mehreren Attentatsversuchen der Organisation de l’armée secrète (OAS) auf de Gaulle scheitert
4.-9. September 1962Staatsbesuch de Gaulles in der Bundesrepublik Deutschland; Ansprache an die deutsche Jugend in Ludwigsburg
14. Januar 1963De Gaulle lehnt den Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ab
22. Januar 1963Unterzeichnung des Élysée-Vertrags durch de Gaulle und Adenauer
19. Dezember 1965Wiederwahl de Gaulles zum französischen Staatspräsidenten; in einer Volkswahl setzt er sich im zweiten Wahlgang gegen François Mitterrand durch
Mai 1968Studentenunruhen in Paris; de Gaulle verkündet Neuwahlen zur Nationalversammlung
27. April 1969Rücktritt de Gaulles vom Amt des Staatspräsidenten
1970Veröffentlichung des Memoirenbandes "Die Wiedergeburt 1958-1962"

In zwei existenziellen Krisensituationen Frankreichs übernahm Charles de Gaulle die politische Führung: Nach der militärischen Niederlage gegen das nationalsozialistische Deutschland organisierte er ab 1940 den Widerstand gegen das Besatzungsregime. Nach der Befreiung Frankreichs amtierte er von 1944 bis 1946 als Präsident des Ministerrats der Provisorischen Regierung der Französischen Republik. Als sich der Algerienkrieg zuspitzte und die Gefahr eines Bürgerkrieges im Mutterland wuchs, trat de Gaulle 1958 abermals an die Spitze seines Landes. Die bis heute gültige Verfassung der Fünften Republik trägt seine Handschrift. Gemeinsam mit Konrad Adenauer wurde de Gaulle zur Symbolfigur der deutsch-französischen Aussöhnung. Höhepunkte dieser Entwicklung waren die gegenseitigen Staatsbesuche des Jahres 1962 sowie die Unterzeichnung des Élysée-Vertrags im Januar 1963.

Herkunft und militärische Laufbahn

Charles de Gaulle wurde am 22. November 1890 in Lille geboren und wuchs in einem konservativ-katholischen Elternhaus auf, das der Dritten Republik skeptisch gegenüberstand. Früh reifte in ihm der Entschluss für eine militärische Laufbahn. Von 1909 bis 1912 absolvierte er an der Militärakademie Saint-Cyr die Offiziersausbildung. Kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 wurde er schwer verwundet. Nach der Rückkehr an die Front zu Beginn der Verdun-Schlacht im März 1916 geriet er in deutsche Kriegsgefangenschaft, wo er bis zum Ende der Kampfhandlungen verblieb.

In der Zwischenkriegszeit stieg de Gaulle an der Seite des Weltkriegshelden Marschall Philippe Pétain, zu dessen Stab er zeitweise gehörte, in der militärischen Hierarchie weiter auf. Er lehrte unter anderem an der Akademie Saint-Cyr, war Ende der 1920er Jahre als Bataillonskommandeur im besetzten Trier stationiert und trat als Autor militärtheoretischer und politischer Schriften hervor.

Zweiter Weltkrieg

Charles de Gaulle in Strasbourg, 7. April 1945

Nach dem deutschen Angriff auf Frankreich im Mai 1940 führte der zum Brigadegeneral beförderte de Gaulle zunächst eine Panzerdivision, bevor er zum Unterstaatssekretär im Verteidigungsministerium ernannt wurde. Als sich die militärische Niederlage abzeichnete, lehnte er einen Waffenstillstand ab und floh nach London. In der Folgezeit wurde er zum Gegenspieler seines einstigen Förderers Pétain, der im nichtbesetzten Teil Frankreichs das Kollaborationsregime des État français etablierte.

In seiner berühmten Radioansprache vom 18. Juni 1940 rief de Gaulle die Franzosen zum Widerstand auf. Er wurde zur Führungsfigur des „Freien Frankreich“. Den militärischen Kampf führte er weitgehend aus den französischen Kolonien in Afrika heraus, auf diplomatischer Ebene pochte er gegenüber US-Präsident Franklin D. Roosevelt und dem britischen Premierminister Winston Churchill auf Anerkennung und Gleichberechtigung bei den Kriegsanstrengungen gegen das nationalsozialistische Deutschland. Nach der alliierten Invasion in der Normandie zog de Gaulle am 25. August 1944 ruhmvoll in das befreite Paris ein. Er trat an die Spitze einer Provisorischen Regierung und setzte im Folgenden außenpolitisch die Anerkennung Frankreichs als Siegermacht mit einer eigenen Besatzungszone auf deutschem Boden und die Aufnahme Frankreichs in den Sicherheitsrat der neu gegründeten Vereinten Nationen durch. Mit der Sowjetunion schloss er im Dezember 1944 einen Bündnisvertrag. Zwar wählte die Nationalversammlung de Gaulle im November 1945 zum Präsidenten des Ministerrats, doch trat er nach Auseinandersetzungen um die Ausgestaltung der neuen Verfassung bereits im Januar 1946 von seinem Amt zurück. Er gründete die Partei Rassemblement du peuple français (RPF), die nach anfänglichen Wahlerfolgen jedoch bald an Zustimmung verlor. 1953 zog sich de Gaulle ins Privatleben zurück und widmete sich dem Verfassen seiner Kriegsmemoiren.

"Zeit der Widersprüche"

De Gaulles Haltung gegenüber Deutschland zwischen 1946 und 1958 ist als eine „Zeit der Widersprüche“ (Knut Linsel) bezeichnet worden. Einerseits wollte er den östlichen Nachbarn aus der Erfahrung der beiden Weltkriege heraus machtpolitisch schwächen und ein Wiedererstarken verhindern, andererseits waren ihm auch Gedanken zu einem Austausch und einer Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Franzosen nicht fremd, wie er sie etwa 1950 bei einer Rede in Straßburg äußerte. Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 betrachtete er gleichwohl mit Argwohn und sprach von der Gefahr eines Wiederentstehens des „Reichs“. Auch die Gründung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) lehnte er ab. Diese Haltung lag freilich nicht nur an der geplanten Beteiligung Westdeutschlands, sondern an der generellen Position des Generals, wonach Streitkräfte eine zutiefst nationale Angelegenheit und in integrierter Form nicht zum erfolgreichen Kämpfen in der Lage seien. Entsprechend begrüßte de Gaulle das Scheitern des EVG-Projekts am 30. August 1954 bei der entscheidenden Abstimmung in der französischen Nationalversammlung. Die Politik der Westintegration Konrad Adenauers mit dem Deutschland-Vertrag und dem EVG-Vertrag erlitt durch die französische Ablehnung einen empfindlichen, wenn auch nur temporären Rückschlag. De Gaulles ablehnende Haltung wurde auch in der Bundesrepublik registriert. Noch in seinen sonst von Wohlwollen und Freundschaft gekennzeichneten Memoiren hob Adenauer dessen Rolle als „entschiedener Gegner der EVG“ hervor. Dass Adenauer den General zu jener Zeit durchaus kritisch sah, zeigt auch ein Zitat vom 6. August 1957 aus den vertraulichen „Teegesprächen“ mit Journalisten. Als er nach seiner persönlichen Einschätzung zu zeitgenössischen Staatsmännern gefragt wurde, hob Adenauer als positives Beispiel Churchill hervor, bevor er dann auf de Gaulle zu sprechen kam: „Aber nehmen Sie z. B. de Gaulle. Er hat sein Land gerettet und hat danach vollkommen versagt, als er nach der Rettung seines Landes Regierungschef war.“   

Innenpolitische Krise

Als sich vor dem Hintergrund der Intensivierung des Algerienkriegs die innenpolitische Krise in Frankreich immer mehr zuspitzte – bis hin zur Gefahr eines Bürgerkrieges im Mai 1958 – und de Gaulle schließlich am 1. Juni 1958 den Posten des Präsidenten des Ministerrats übernahm, stieß diese Entwicklung im politischen Bonn zunächst überwiegend auf Skepsis. Während Sozialdemokraten vor allem die Konsequenzen für die französische Innenpolitik im Blick hatten und teils gar die Errichtung einer Diktatur westlich des Rheins befürchteten, sorgten sich Unionspolitiker primär um den künftigen Kurs der französischen Außen- und Europapolitik. In der Sitzung des CDU-Bundesvorstands am 11. Juli 1958 zeigte sich Adenauer überzeugt, dass angesichts der akuten Bürgerkriegsgefahr eine Machtübernahme des Generals „wegen des außerordentlich großen Ansehens, das der Name de Gaulle in Frankreich und in der französischen Armee hat“, die einzige Option sei. Zugleich sorgte sich auch der Bundeskanzler um die politische und wirtschaftliche Stabilität des Nachbarlandes. Er betonte zudem, dass nach seinen Informationen de Gaulle „ein entscheidender Gegner des sowjetischen Kommunismus geworden ist“. Damit spielte er darauf an, dass der General als Kopf der inneren und äußeren Résistance und anschließend als Chef der Provisorischen Regierung auch mit Kommunisten zusammengearbeitet und zudem im November 1944 einen Kooperationsvertrag mit der Sowjetunion geschlossen hatte.

Öffentlich und hinter den Kulissen äußerte Adenauer wiederholt die Hoffnung, de Gaulle werde bei der Stabilisierung Frankreichs erfolgreich sein, da nur mit einem zuverlässigen Frankreich die Freiheit Westeuropas gesichert und die Zusammenarbeit im Rahmen der EWG fortsetzen werden könnten. Eine anhaltende Skepsis des Bundeskanzlers ist gleichwohl überliefert. Nach längeren Vorbereitungen kam es am 14. September 1958 schließlich zur ersten persönlichen Begegnung zwischen den beiden Staatsmännern. Mit de Gaulles privatem Anwesen in Colombey-les-Deux-Églises in der Champagne wurde für diesen Anlass bewusst ein kleiner, informeller Rahmen gewählt und auf diplomatische Delegationen verzichtet. Das Treffen der beiden Staatsmänner ist in der historischen Forschung später als das „Wunder von Colombey“ bezeichnet worden. Der Besuch habe ihn „sehr befriedigt“ schrieb Adenauer rückblickend in seinen Erinnerungen, und weiter: „Ich war glücklich, einen ganz anderen Menschen vorgefunden zu haben, als ich befürchtet hatte. Ich war sicher, dass de Gaulle und ich eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit haben würden.“

Grundlage für die deutsch-französische Zusammenarbeit

In der Tat legten Adenauer und de Gaulle in Colombey die Grundlage für die weitere deutsch-französische Zusammenarbeit. In einem gemeinsamen Kommuniqué hielten sie fest, „daß die frühere Gegnerschaft ein für allemal überwunden sein muß und daß Franzosen und Deutsche dazu berufen sind, in gutem Einvernehmen zu leben und Seite an Seite zu arbeiten“. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass die deutsch-französischen Beziehungen und auch das persönliche Verhältnis zwischen Adenauer und de Gaulle in den folgenden Jahren nicht immer konfliktfrei waren. Die erste Enttäuschung erlebte Adenauer bereits kurz nach dem Treffen in Colombey, als er Kenntnis von den Plänen de Gaulles zur Bildung einer Organisation westlicher Staaten erhielt, die von einem „Dreierdirektorium“ bestehend aus den USA, Großbritannien und Frankreich geführt werden sollte. Diese Pläne, die dem Streben der Bundesrepublik nach Gleichberechtigung und Mitsprache diametral zuwiderliefen, hatte der General pikanterweise zeitlich parallel zu den Gesprächen in Colombey entworfen, den nun entrüsteten Kanzler über seine Absichten aber im Dunkeln gelassen.

Mit Charme und Beschwichtigungen gelang es de Gaulle, Adenauer wieder zu beruhigen, zumal die Direktoriumspläne erstmal nicht weiterverfolgt wurden. Bei einer weiteren persönlichen Begegnung am 26. November 1958 in Bad Kreuznach konnte die politische und persönliche Annäherung zwischen beiden Staatsmännern gefestigt werden. In seinem Lagebericht vor den Mitgliedern des CDU-Bundesvorstands wies Adenauer am folgenden Tag auf den besonderen „Ton der Offenheit und der Herzlichkeit“ bei diesem Treffen hin und betonte zudem dessen historische Dimension am früheren Sitz des Großen Hauptquartiers im Ersten Weltkrieg: „In dem Raum, wo wir zusammen zu Mittag speisten […], haben im Ersten Weltkrieg der damalige Nuntius Pacelli, der damals den Vorschlag einer Friedensvermittlung des Papstes überbrachte, und Kaiser Wilhelm II. gesessen. Kaiser Wilhelm hat aber diesen Vorschlag abgelehnt. Einige Jahrzehnte später sitzen nun der französische Ministerpräsident und der deutsche Bundeskanzler an der gleichen Stelle.“    

"Atlantiker" und "Gaullisten"

Skepsis herrschte in der Bundesregierung weiterhin in Hinblick auf de Gaulles Haltung zur Sowjetunion. Der gemeinsame Kampf in der Anti-Hitler-Koalition und der bilaterale Vertrag vom Dezember 1944 waren historische Erinnerungen, die den Blick des Generals auf Osteuropa mit beeinflussten und sich fundamental von der deutschen Erfahrung unterschied. Doch in der Ende 1958 beginnenden Zweiten Berlinkrise, als die Sowjetunion ultimativ den Rückzug der Westalliierten aus West-Berlin und dessen Neutralisierung als „Freie Stadt“ forderte, konnte Adenauer sich auf seinen Partner jenseits des Rheins verlassen, der gegenüber Moskau jegliches Entgegenkommen ablehnte, während sich die amerikanische und die britische Regierung zunächst gesprächsbereit zeigten.

Die Frage, auf wen man sich aus westdeutscher Perspektive eher verlassen könne, auf Paris oder Washington, hing mit der seit Ende der 1950er Jahre so genannten „Atlantiker-Gaullisten-Kontroverse“ innerhalb der Unionspartien zusammen, die sich bis in die zweite Hälfte der 1960er Jahre hinziehen sollte. Zwar war beiden Seiten im Grunde klar, dass die Garantie der Sicherheit der Bundesrepublik und West-Berlins wesentlich von den USA abhing, doch ob man sich auf Washington im Konfliktfall wirklich verlassen könne, daran kamen in Bonn zunehmend Zweifel auf, was sich mit dem Amtsantritt des jungen Präsidenten John F. Kennedy noch verstärkte. Auf der anderen Seite machte de Gaulle, der im Dezember 1958 zum ersten Präsidenten der Fünften Republik gewählt worden war, als „lebende Legende“ und frühere Führungspersönlichkeit im Krieg gegen das nationalsozialistische Deutschland keinen Hehl aus seinem Werben um ein enges, privilegiertes Verhältnis zur Bundesrepublik. Zugleich schickte Frankreich sich an, mit der Entwicklung der „Force de frappe“ in den Kreis der Atommächte aufzusteigen. Adenauer entwickelte sich mit der Zeit immer stärker in die „gaullistische“ Richtung, zumal sich die inhaltliche Auseinandersetzung zunehmend mit dem parteiinternen „Kampf ums Kanzleramt“ seit der Präsidentschaftskrise 1959 vermischte. Sein Rivale und potentieller Nachfolger Ludwig Erhard und der nach der Bundestagswahl 1961 in das Amt des Außenministers gewechselte Gerhard Schröder zählten zu den größten Befürwortern einer engen Bindung an die USA und beurteilten de Gaulles Agieren kritisch.

Differenzen in der Europapolitik

Anlass für Irritationen bot der General durchaus von Zeit zu Zeit. Dabei ging es zum Beispiel um Vorschläge zur Intensivierung der europäischen politischen Zusammenarbeit – natürlich unter der Führung Frankreichs – und um von eine ihm geforderte Reform der NATO. Dabei zeichneten sich zunehmend die Grundprobleme ab, die das Verhältnis zum gaullistischen Frankreich in den 1960er Jahren belasten sollten: Die Ablehnung der europäischen Integration auf supranationaler Ebene mit der Schaffung oder Stärkung europäischer Gemeinschaftsinstitutionen, die Ablehnung eines Beitritts Großbritanniens zur EWG, der aus de Gaulle Sicht Frankreichs Führungsrolle gefährdet hätte, sowie de Gaulles Antiamerikanismus und die damit verbundene Dauerkritik an den Strukturen der NATO.     

Beim Zusammentreffen von Adenauer und de Gaulle Ende Juli 1960 in Rambouillet unterbreitete der Gastgeber – der seine frühere prinzipielle Ablehnung nun etwas revidiert hatte für den Fall, dass Frankreich eine Führungsrolle zukam – dem Kanzler Vorschläge für eine engere europäische politische und militärische Zusammenarbeit sowie auch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich. Dabei stand eine Konföderation beider Staaten und sogar die – von de Gaulle allerdings wohl nicht ernst gemeinte – Idee einer deutsch-französischen Nukleargemeinschaft im Raum. Es blieb bei einigen technischen militärischen Abkommen über eine Zusammenarbeit im Bereich des militärischen Nachschubs. Darüber hinaus wurden regelmäßige Konsultationen der beiden Führungsstäbe vereinbart. Die ambitionierten Pläne de Gaulles zur Vertiefung der politischen und militärischen Zusammenarbeit auf europäischer Ebene, die von dem französischen Diplomaten Christian Fouchet erarbeitet wurden und entsprechend als Fouchet-Plan I und II bekannt wurden, scheiterten nach länglichen Diskussionen im Jahr 1962 am Widerstand der kleineren EWG-Staaten, nicht zuletzt der Niederlande, die die amerikanische Hegemonie der französischen vorzogen.

Staatsbesuche

Konrad Adenauer und Charles de Gaulle auf dem Bonner Marktplatz, 5. September 1962.

Auch Adenauer trat dem General bei dessen Reformvorstellungen in Teilen durchaus offen entgegen, denn er hielt die bereits geschaffenen Strukturen der EWG für unverzichtbar. Im Februar 1962 traf Adenauer mit de Gaulle in Baden-Baden zusammen. Vor dem Hintergrund der europapolitischen Differenzen trat – zwar gleichsam aus der Not geboren, aber von beiden Politikern aus Überzeugung und mit Herzblut verfolgt – der Gedanke der deutsch-französischen Aussöhnung und einer engeren bilateralen Zusammenarbeit nun wieder in den Vordergrund. Auf diese Weise wurde das Jahr 1962 zu einem Schlüsseljahr für die neue Kooperation zwischen Bonn und Paris. Vom 2. bis 8. Juli 1962 besuchte zunächst der Bundeskanzler Frankreich, doch dieses Mal nicht um das vertraute Gespräch in der Abgeschiedenheit von Colombey-les-Deux-Églises, sondern um die deutsch-französische Aussöhnung öffentlich zu demonstrieren. Den Höhepunkt des Besuchs stellte ein gemeinsamer Gottesdienstbesuch der beiden Katholiken in der Kathedrale von Reims dar, die im Ersten Weltkrieg von deutschen Truppen schwer beschädigt worden war. Das Bild der beiden betenden Staatsmänner weckte Assoziationen mit dem christlichen Abendland und mit Karl dem Großen, den manche als den gemeinsamen „Urvater“ Deutschlands und Frankreichs betrachten.

Der Gegenbesuch des französischen Staatspräsidenten in der Bundesrepublik fand vom 4. bis 9. September 1962 statt und glich in den Worten von Hans-Peter Schwarz einem „Triumphzug“. Bereits bei seiner kurzen Aussprache auf dem Bonner Marktplatz erntete de Gaulle Begeisterungsstürme. Vor allem im Gedächtnis blieb jedoch seine Ansprache in Ludwigsburg am 9. September 1962, in der er sich direkt an die deutsche Jugend wandte und sie als „Kinder eines großen Volkes“ bezeichnete, das zwar „im Laufe der Geschichte große Fehler begangen hat“, aber zugleich große Errungenschaften in Kunst, Kultur, Philosophie und Technik hervorgebracht habe. Und er forderte die jungen Menschen in beiden Ländern dazu auf, „alle Kreise bei ihnen und uns dazu zu bewegen, einander immer näher zu kommen, sich besser kennen zu lernen und engere Bande zu schließen“.

Konrad Adenauer bei seinem Besuch in Frankreich 1962.

UFA-Wochenschau 311/1962, 10.07.1962, Quelle: Bundesarchiv, Bestand Film: F 001711

Élysée-Vertrag

Parallel zu de Gaulles Besuch liefen im Herbst 1962 bereits Gespräche auf diplomatischer Ebene, um der Annäherung zwischen beiden Ländern auch eine offizielle schriftliche Form zu geben. Zunächst war eine einfache Erklärung beider Länder auf Regierungsebene (Memorandum) vorgesehen, doch bei Adenauers Besuch in Paris im Januar 1963 wurde am 22. Januar 1963 schließlich ein völkerrechtlicher Vertrag geschlossen. Adenauer, der zu diesem Zeitpunkt bereits ein „Kanzler auf Abruf“ war, wollte anscheinend die enge Bindung an Frankreich über seine Amtszeit hinaus sichern. Zudem hatte das Auswärtige Amt aus rechtlichen Gründen die Form des Vertrages empfohlen. Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die deutsch-französische Zusammenarbeit, besser bekannt als Elysée-Vertrag, sah regelmäßige Konsultationen zwischen beiden Regierungen sowie eine engere Zusammenarbeit in der Außen- und Verteidigungspolitik sowie in den Bereichen Bildung und Jugend vor. Letztere erwies sich als besonders fruchtbar, denn in der Konsequenz wurde bereits im Juli 1963 das Deutsch-Französische Jugendwerk gegründet.

Auf politischer Ebene kam es im Nachgang der Unterzeichnung jedoch zu Ernüchterung, was seine Ursache in der bundesdeutschen Innenpolitik hatte, woran de Gaulle aber nicht ganz unschuldig war. Nur wenige Tage vor der Unterzeichnung des Élysée-Vertrages verkündete der Präsident nämlich bei einer Pressekonferenz das Veto Frankreichs gegen den Beitritt Großbritanniens zur EWG, womit die Erweiterungspläne zunächst gestoppt waren. Diese Entwicklung bestätigte in Bonn die Atlantiker unter den Unionspolitikern in ihrer Skepsis gegenüber de Gaulle. Der in Paris vereinbarte völkerrechtliche Vertrag musste durch den Deutschen Bundestag gebilligt werden. Eine Ablehnung kam zwar aus diplomatischen Gründen nicht in Betracht, doch stellten die Abgeordneten dem Vertrag schließlich eine Präambel voran, in der das enge Verhältnis der Bundesrepublik zu den USA und die Bedeutung der NATO betont wurden. De Gaulle war darüber entrüstet. Für ihn verlor das Vereinbarte damit seinen Wert. Er sprach von einer missratenen Hochzeitsnacht und von der Vergänglichkeit von Verträgen, die jener von Rosen und jungen Frauen vergleichbar sei. In der Folge brachte der Elysée-Vertrag zeitgenössisch einen „Triumph des Atlantizismus“ (Tim Geiger). Gleichwohl markiert er im Rückblick eine Zäsur im deutsch-französischen Verhältnis und wurde zum wichtigsten Symbol der Aussöhnung, verkörpert durch seine beide Protagonisten Adenauer und de Gaulle.

Auch nach Adenauers Rücktritt vom Amt des Bundeskanzlers im Oktober 1963 blieben er und der General in engem Austausch. Beide einte nicht zuletzt die kritische Haltung gegenüber Adenauers Nachfolger Ludwig Erhard und dessen atlantischer Ausrichtung. Insgeheim betrachtete jedoch auch Adenauer de Gaulles außenpolitisches Wirken in seinen letzten Lebensjahren mit wachsender Skepsis, wie wir heute aus dem Tagebuch seines Sohnes Monsignore Paul Adenauer wissen. De Gaulle, der als großer Redner die „Meisterschaft effektiver Theatralik“ (Hans-Peter Schwarz) beherrschte wie kaum ein Zeitgenosse, regierte Frankreich noch bis 1969, ehe er – politisch seit den 68er-Unruhen geschwächt – nach einem verlorenen Referendum seinen Rücktritt erklärte. Er verstarb am 9. November 1970 in seinem Haus in Colombey-les-Deux-Églises – jenem Ort, an dem er und Adenauer sich erstmals begegnet waren und die Aussöhnung ihrer beiden Völker bekräftigt hatten.  

Konrad Adenauer und Charles de Gaulle unterzeichnen den Elysée-Vertrag.

Neue Deutsche Wochenschau 679/1963, 01.02.1963, Quelle: Bundesarchiv, Bestand Film: F 001711


Weitere Artikel zum Thema:


Die Aussöhnung mit Frankreich gehört zu den wesentlichen Zielen von Adenauers Politik, die 1963 mit dem Elysée-Vertrag gekrönt wird.

Am 22. Januar 1963 unterzeichneten Charles de Gaulle und Konrad Adenauer in Paris den Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit.

Jacques Bariéty, in: Die Rolle der persönlichen Beziehungen zwischen Bundeskanzler Adenauer und General de Gaulle für die deutsch-französische Politik zwischen 1958 und 1963, in: Hans-Peter Schwarz (Hg.), Adenauer und Frankreich. Die deutsch-französischen Beziehungen 1958 bis 1969, 2. Auflage, Bonn 1990, S. 12-27 (Rhöndorfer Gespräche Bd. 7). 

Corine Defrance/Ulrich Pfeil, WBG Deutsch-Französische Geschichte, Bd. X: 1945 bis 1963, Darmstadt 2011.

Tim Geiger, Atlantiker gegen Gaullisten. Außenpolitischer Konflikt und innenpolitischer Machtkampf in der CDU/CSU 1958-1969, München 2008 (Studien zur Internationalen Geschichte Bd. 20).

Klaus Hildebrand, „Atlantiker“ versus „Gaullisten“. Zur Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland während der sechziger Jahre, in: Ders., Der Flug des Ikarus. Studien zur deutschen Geschichte und internationalen Politik, München 2011, S. 155-163. 

Ulrich Lappenküper, Die deutsch-französischen Beziehungen 1949-1963. Von der Erbfeindschaft zur Entente élémentaire, 2 Bde., München 2001 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte Bd. 49).

Knut Linsel, Charles de Gaulle und Deutschland 1914-1969, Sigmaringen 1998 (Beihefte der Francia Bd. 44).

Reiner Marcowitz, Option für Paris? Unionsparteien, SPD und Charles de Gaulle 1958 bis 1969, München 1996 (Studien zur Zeitgeschichte Bd. 49).

Eric Roussel, De Gaulle. T. 2: 1946-1970, Paris 2006.

Hans-Peter Schwarz, Adenauer, Bd. 2: Der Staatsmann 1952-1967, Stuttgart 1991.

Maurice Vaïsse, La grandeur. Politique étrangère du général de Gaulle 1959-1969, Paris 1998.

Johannes Willms, Der General. Charles de Gaulle und sein Jahrhundert. Biographie, München 2019.

Jacques Bariéty, in: Die Rolle der persönlichen Beziehungen zwischen Bundeskanzler Adenauer und General de Gaulle für die deutsch-französische Politik zwischen 1958 und 1963, in: Hans-Peter Schwarz (Hg.), Adenauer und Frankreich. Die deutsch-französischen Beziehungen 1958 bis 1969, 2. Auflage, Bonn 1990, S. 12-27 (Rhöndorfer Gespräche Bd. 7). 

Corine Defrance/Ulrich Pfeil, WBG Deutsch-Französische Geschichte, Bd. X: 1945 bis 1963, Darmstadt 2011.

Tim Geiger, Atlantiker gegen Gaullisten. Außenpolitischer Konflikt und innenpolitischer Machtkampf in der CDU/CSU 1958-1969, München 2008 (Studien zur Internationalen Geschichte Bd. 20).

Klaus Hildebrand, „Atlantiker“ versus „Gaullisten“. Zur Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland während der sechziger Jahre, in: Ders., Der Flug des Ikarus. Studien zur deutschen Geschichte und internationalen Politik, München 2011, S. 155-163. 

Ulrich Lappenküper, Die deutsch-französischen Beziehungen 1949-1963. Von der Erbfeindschaft zur Entente élémentaire, 2 Bde., München 2001 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte Bd. 49).

Knut Linsel, Charles de Gaulle und Deutschland 1914-1969, Sigmaringen 1998 (Beihefte der Francia Bd. 44).

Reiner Marcowitz, Option für Paris? Unionsparteien, SPD und Charles de Gaulle 1958 bis 1969, München 1996 (Studien zur Zeitgeschichte Bd. 49).

Eric Roussel, De Gaulle. T. 2: 1946-1970, Paris 2006.

Hans-Peter Schwarz, Adenauer, Bd. 2: Der Staatsmann 1952-1967, Stuttgart 1991.

Maurice Vaïsse, La grandeur. Politique étrangère du général de Gaulle 1959-1969, Paris 1998.

Johannes Willms, Der General. Charles de Gaulle und sein Jahrhundert. Biographie, München 2019.

Konrad Adenauer, Erinnerungen, Bd. III: 1955-1959, Bd. IV: 1959-1963, Stuttgart 1967-1968.

Hanns Jürgen Küsters (Hg.), Konrad Adenauer – Der Vater, die Macht und das Erbe. Das Tagebuch des Monsignore Paul Adenauer 1961-1966, Paderborn 2017.

Philip Rosin