* geboren 08.01.1901
in
Hörde
† gestorben 30.05.1991
in
Wittnau
Publizist, Herausgeber, Rundfunkjournalist, Dr. h. c., Professor e. h., rk.
1920-1923 | Studium der Theologie in Paderborn |
1924-1934 | Feuilletonredakteur der "Rhein-Mainischen Volkszeitung" |
1935-1943 | Feuilletonredakteur der "Frankfurter Zeitung" |
1946-1984 | Herausgeber der "Frankfurter Hefte" |
1953-1965 | Mitglied im Deutschen Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen |
1956-1966 | Leiter der Kulturabteilung des WDR |
Als linkskatholischer Nonkonformist positionierte sich Walter Dirks bereits in der Weimarer Zeit zwischen allen Stühlen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte er zu den Wortführern eines „Sozialismus aus christlicher Verantwortung“ in der von ihm mitgegründeten CDU. Als einer der bedeutendsten Intellektuellen der „Bonner Republik“ trat er aus der Motivation des christlichen Gewissens in publizistische Opposition zum konservativen Flügel der Unionsparteien, in deren Politik er autoritäre Tendenzen vermutete.
Walter Dirks wuchs in der von Eisen- und Stahlwerken beherrschten Kreisstadt Hörde in Westfalen auf. Sein Großvater und sein kleinbürgerliches Elternhaus beeinflussten ihn durch einen Katholizismus, der Elemente des traditionellen Glaubenslebens mit den modernen Lebenswelten des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts zu verbinden suchte. Politische Grundpositionen wie der christlich motivierte Einsatz für Pazifismus und Sozialismus sollen genau wie besondere Liebe zu Musik und Liturgie bereits in dieser Zeit entwickelt worden sein. Durch Berichte der als Fürsorgerin arbeitenden Mutter wurde er bereits früh auf die von Armut geprägten Lebensverhältnisse der Arbeiter aufmerksam.
Seine Kindheit beschrieb Dirks selbst später als proletarisch, obwohl er nicht aus dem Arbeitermilieu stammte und sein Heranwachsen durch Distanz zu sozialdemokratischen und protestantischen Lebensentwürfen bestimmt war. Zu den für seine politische Ausrichtung langfristig wirksamen Kindheits- und Jugenderinnerungen zählte außerdem sowohl der gewaltsame Tod des älteren Bruders während der französischen Ruhrbesetzung als auch der innerhalb der Arbeiterschaft verbreitete Elendsalkoholismus.
Noch als Schüler wendete sich Dirks deshalb der Friedens- und Abstinenzbewegung zu. Die hieraus hervorgegangene katholische Jugendbewegung des „Quickborn“ prägte ihn nachhaltig. Dort kam er mit reformkatholischen Ideen in Berührung, die bereits die späteren kirchlichen Öffnungsprozesse des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) vorbereiteten. Seine Erfahrungen in der katholischen Jugend halfen Dirks auch, wie er sich selbst erinnerte, sein Stottern zu überwinden. Dies erklärt zum Teil die große Betonung der Debatte und der Kraft des geschriebenen und gesprochenen Wortes in seinem Verständnis von Politik und Gesellschaft.
Nach dem Abitur und später noch einmal berufsbegleitend studierte Dirks Soziologie, Philosophie und katholische Theologie. Zuerst hatte er das Ziel, Priester zu werden. In der Zwischenkriegszeit begann er teilweise aus Überzeugung, teilweise aus Verlegenheit angesichts seines nie beendeten Studiums eine journalistische Laufbahn bei der Zeitschrift Deutsche Republik und bei dem Friedenskämpfer, dem Periodikum des Friedensbundes der Deutschen Katholiken. Nachdem er kurzzeitig bei dem Religionsphilosophen Romano Guardini als Privatsekretär gearbeitet hatte, kam er über dessen Empfehlung zu der vom Bistum Limburg getragenen, dem linken Zentrumsflügel nahestehenden Rhein-Mainischen Volkszeitung. Dort übernahm er trotz seines jungen Alters leitende Funktion im Feuilleton und lernte mit Ernst Michel, Friedrich Dessauer und Joseph Wirth, einem späteren Gegner von Konrad Adenauers Westbindungspolitik, führende Persönlichkeiten des deutschen Linkskatholizismus kennen, die sein Denken nachdrücklich beeinflussen sollten.
Zum Ende der Weimarer Republik positionierte sich Dirks, geprägt durch die Krisenerfahrung dieser Jahre, in der Öffentlichkeit als leidenschaftlicher Gegner des Nationalsozialismus. Er schrieb insbesondere gegen die Kirchenfeindschaft und den eigentümlichen „nationalen Sozialismus“ der selbsternannten Arbeiterpartei Hitlers an, obwohl er zumindest kurzzeitig selbst von dieser Sozialismusvorstellung fasziniert gewesen zu sein scheint.
In der Zeit der nationalsozialistischen Tyrannei galt er als „politisch unzuverlässig“, wurde in Schutzhaft genommen und erhielt Schreibverbot. In innerer Emigration blieb er bei der Frankfurter Zeitung journalistisch tätig, während des Schreibverbots ohne Namenskennzeichnung seiner Artikel. Anders als in den Jahren der Weimarer Republik trat Dirks nun nicht mehr als Gegner des Nationalsozialismus auf.
In der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, deren geistige Ursprünge Dirks in Militär, Adel und Besitzbürgertum verortete, reifte in ihm die Idee einer zur Überwindung des „deutschen Faschismus“ notwendigen „Einheitsfront“ aus Kommunisten, Sozialdemokraten und Christen heran. Noch während des Krieges bereitete er zusammen mit Eugen Kogon und Clemens Münster eine politische Zeitschrift für ein Deutschland nach der Tyrannei vor – die späteren Frankfurter Hefte. Diese zählten zu den meistgelesenen Magazinen der Nachkriegszeit und waren bis zur Fusion mit dem sozialdemokratischen Theoriemagazin Die Neue Gesellschaft im Jahre 1985 ein bedeutendes Forum der intellektuellen Diskussion. Dirks verfolgte in den Frankfurter Heften das Programm einer publizistischen Begleitung des Neuaufbaus und einer moralischen Erneuerung des deutschen Katholizismus. Mit diesem Programm avancierte er zu einem der prominentesten Vertreter der Vorstellung einer „Stunde Null“ des Jahres 1945.
Als Mitgründer der Frankfurter CDU und Mitverfasser der „Frankfurter Leitsätze“ vom September 1945 plädierte er für die Sozialisierung großer Teile der Schlüsselindustrien, eine Forderung, die von politischen Linken bis in die CDU hinein erhoben wurde. Auch plädierte er für eine neue linksgerichtete Unionspartei auf Grundlage christlicher Werte. Deren Programm wollte er unter dem Stichwort eines demokratischen und unorthodoxen „Sozialismus aus christlicher Verantwortung“ an einer stärker sozialethischen denn an pragmatischen Fragen orientierten „Politik aus dem Glauben“ orientieren. Das war eine Idee, die in der sich formierenden CDU schon bald nicht mehr akzeptiert wurde.
Als Ausdruck der Enttäuschung über scheinbar ausgebliebene gesellschaftliche und politische Modernisierungen entstand Dirks sicherlich berühmtester Aufsatz „Der restaurative Charakter der Epoche“, der 1950 in den Frankfurter Heften erschien. Die in ihm vertretene Restaurationsthese richtete sich zum einen gegen Konrad Adenauer und die von ihm geprägte Kanzlerdemokratie, die er an anderer Stelle als „Regime“ attackierte. Zum anderen beklagte er die Fortsetzung der historischen, in der Weimarer Republik und in der gemeinsamen Gegnerschaft zum Nationalsozialismus nicht überwundenen Unwilligkeit der beiden großen linken Arbeiterparteien, weltanschauliche Vorurteile und Differenzen gegenüber der christlich geprägten Arbeiterbewegung zurückzustellen und gemeinsame politische Anstrengungen zu unternehmen. Angesichts des Fortbestehens der alten Konflikte auf Seiten der politischen Linken und der Weigerung einer politischen Kooperation mit der christlichen Arbeiterbewegung schien dieses Konzept ohnehin schnell obsolet zu werden. Auch die von Dirks ursprünglich als dritte sozialistische Partei gedachte CDU wollte von derlei Vereinigungsplänen nichts wissen. Sie hatte sich nämlich im beginnenden Kalten Krieg für das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft und die Zugehörigkeit zum liberalen Westen und damit gegen Dirks‘ Konzept eines „Dritten Weges“ entscheiden. Überdies war diese Konzeption in der Sammlungspartei der Mitte, als die die CDU gedacht war, von Anfang an nicht mehrheitsfähig gewesen.
Angesichts dieser Niederlagen und weil er sich als Intellektueller mit keiner formalen Interessengruppe gemein machen wollte, entschied sich Dirks schon bald gegen eine weitere Mitarbeit in politischen Parteien. Aus der CDU trat er jedoch, trotz innerer Distanz und ebenso kontinuierlicher wie harscher Kritik an dem von ihm als anmaßend empfundenen Alleinvertretungsanspruch einer „christlichen Einheitspartei“, nie aus. Als Instrument politischer Einflussnahme wählte er entgegen dem Engagement in einer Partei die intellektuelle Intervention in Presse und öffentlich-rechtlichen Medien.
Den schnell zum neuen Leitmedium der Bundesrepublik avancierenden Hörfunk prägte er als innenpolitischer Kommentator beim Südwestfunk, als Gründungsleiter der Hauptabteilung Kultur und später als freier Mitarbeiter beim Kölner WDR wesentlich mit. Dieses Engagement, das sich auf die Bereiche des politischen Kommentars und des Kirchen- und Frauenfunks konzentrierte, blieb in vielerlei Hinsicht nicht konfliktfrei. Ausgehend von seiner Restaurationsthese warb er, ohne dabei politischer Aktivist zu sein, in seinen Sendungen unter den Stichworten einer „anderen Republik“ und eines „anderen Katholizismus“ für eine angeblich ausgebliebene gesellschaftliche Pluralisierung und Demokratisierung. Seine Positionen pflegte er auch am personellen Tableau des Bonner Politikbetriebes zu veranschaulichen: Während ihm die Politik Konrad Adenauers, Franz Josef Straußens und Alfred Dreggers fälschlicherweise als demokratisch legitimierter Autoritarismus erschienen, verband er mit Willy Brandt (ganz im Gegenteil zu dem ihm zu nationalistisch klingenden Kurt Schumacher) die Zuversicht gesellschaftlichen Wandels. Dies hielt ihn allerdings nicht davon ab, sich des Öfteren mit führenden Vertretern des christlich-sozialen Flügels der CDU zu verbinden, zu denen er nach wie vor gute Kontakte pflegte.
Das Zweite Vatikanische Konzil, an dem seine Frau Marianne als eine der führenden Vertreterinnen des deutschen Laienkatholizismus teilnahm, begleitete Dirks auf verschiedenen Ebenen mit seinen journalistischen Arbeiten. Er trat für eine Verweltlichung und Politisierung des kirchlich-katholischen Selbstverständnisses ein und für das Vorrecht der kirchlichen Laien gegenüber dem Klerus, in der Welt Politik zu machen. Seine Formulierung vom „anderen Katholizismus“ entwickelte sich dabei zu einer der prägenden Vokabeln der Debatte um die Gestalt und das Selbstverständnis von Kirche und Katholizismus in Deutschland, wurde aber auch im Ausland rezipiert.
Bis ins hohe Alter setzte sich Dirks als streitbarer Intellektueller und publizistischer Außenseiter für seine politischen Ideale ein. Diese hatten sich unterdessen kaum verändert, weshalb seine Rede von einer Synthese aus Christentum und Sozialismus die Zeitgenossen zunehmend befremdete. Für die Vermittlung seiner politischen Visionen wählte er neben selbst initiierten Strukturen wie dem Bensberger Kreis im Laufe der Jahre verschiedene Partner, bei der Bundestagwahl 1972 etwa die katholische Sektion der Wählerinitiative der SPD. Zeitweise neigte er der ökosozialen Bewegung und den Grünen zu. Obwohl Letztere für sein Empfinden zu wenig politisch agierten, verband er mit ihnen große Hoffnungen und ermutige sie zu einem rot-grünen Bündnis. In den 1980er Jahren war er der Friedensbewegung verbunden, die er wider besseres Wissen zur politischen Zusammenarbeit mit der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) aufforderte. Als große Herausforderungen seiner Zeit adressierte Dirks zuletzt die Gefahren atomarer Kriegführung und rasanten Bevölkerungswachstums, wirtschaftlicher Ungerechtigkeit in Europa und der Welt sowie Fragen um den Zusammenhang von kapitalistischem Gewinnstreben und Umweltzerstörung.
Seinen Lebensabend verbrachte Dirks in seinem bereits zu WDR-Zeiten errichteten Altersdomizil in Wittnau bei Freiburg, wo er einerseits publizistisch und andererseits innerhalb seiner Kirchengemeinde aktiv blieb. Als mit vielen Preisen und Ehrungen – den durch die Universität Münster verliehenen Ehrendoktor in katholischer Theologie schätze er am meisten – bedachter Zeitzeuge des zwanzigsten Jahrhunderts und öffentlicher Intellektueller war er sehr gefragt. Und auch als Zeitdiagnostiker wurde er am Vorabend der deutschen Wiedervereinigung vielfach um Einschätzungen gebeten. Zur Bundesrepublik pflegte er bis zuletzt ein ambivalentes Verhältnis. Während er die Gegenwart in einer zu pessimistischen Einschätzung der tatsächlichen Gegebenheiten in dunkelsten Farben malte, beschrieb er die Aussicht auf Besserung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse – ganz im Gegensatz zu anderen Linksintellektuellen seiner Generation – in der Vorstellung christlicher Hoffnung immerhin als aussichtsreich: „Dennoch bleibt abermals und mehr als je nichts anderes übrig“, schrieb er in einer seiner letzten Veröffentlichungen, „als auf die gute Karte zu setzen, oder vielmehr: auf alle guten Karten. Wohl denen, die es im Vertrauen auf einen starken und guten Gott zu tun vermögen.“
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