Hanns Jürgen Küsters
Sie umfassen vier Bände über die Jahre 1945 bis 1963 und entstanden in den Jahren nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Bundeskanzlers 1963. Drei Bände waren bei seinem Tod 1967 fertig gestellt, ein weiterer Band war in Vorbereitung. Unbearbeitet blieb der geplante Band über die Zeit bis Ende des Zweiten Weltkriegs. Mit seinen Memoiren wollte Adenauer Erfahrungen weitergeben in der Hoffnung, es würden daraus Lehren für die künftige Politik gezogen.
Seine offizielle Ankündigung, er werde Memoiren schreiben, erfolgte erst im Sommer 1963, ein halbes Jahr vor dem vereinbarten Rückzug aus dem Amt des Bundeskanzlers. Erste Verhandlungen mit Verlagen begannen. Das vierbändige Gesamtwerk entstand in fünfeinhalb Jahren von Frühjahr 1963 bis Herbst 1968.
Adenauer wollte seine Darstellung vornehmlich auf die sachlichen Vorgänge beschränken, damit sie einer späteren Überprüfung standhalten. Zahlreiche Dokumente, die seine Tätigkeit belegen, würden die Darstellung untermauern. Erst das letzte Kapitel sollte – persönlich gefärbt – Rückblick und Ausblick enthalten.
Drei Motive bewegten ihn. Das wahrscheinlich wichtigste Motiv war die Absicht, die Darstellung der Ereignisse, die in seinen Augen in der Öffentlichkeit eine falsche Deutung erfahren hatten, nachträglich zu korrigieren und die wahren Gründe für Entscheidungen und Entwicklungen zu benennen. Zugleich sollte falschen Behauptungen entgegengewirkt werden, beispielsweise der weitverbreiteten Meinung, er sei ein Kanzler der einsamen Beschlüsse gewesen. Ein zweites Motiv war Adenauers Bestreben, Grundprinzipien seiner Politik zu erklären und langfristige Ziele wie die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, die deutsch-französische Aussöhnung und den Abbau der Ost-West-Spannungen darzulegen. Er wollte den Kenntnisstand zum jeweiligen Zeitpunkt seiner Entscheidung rekonstruieren, sie wieder mit den gleichen Augen sehen, wie er sie damals gesehen hatte, und nicht aus der Retrospektive. Nur dann könnte er verständlich machen, warum er so und nicht anders gehandelt hatte. Ein drittes Motiv war das Empfinden einer Pflicht, Erfahrungen weiterzugeben. Adenauer wollte Entscheidungshilfen anbieten in der Erwartung, Nachfolger würden sich dieser bedienen und Lehren aus seinen Erfahrungen ziehen. Anders als Bismarck verstand er sein Werk aber nicht in erster Linie als Rückschau, reflektierende Betrachtung seiner Entscheidungen und deren nachträgliche Legitimation. Entscheidend war für Adenauer, dass der Blick in die Vergangenheit der Gestaltung der Zukunft zu dienen habe. Ihn interessierten aktuelle politische Probleme und künftige Entwicklungen mehr als die Reflexion über Vergangenes.
Nie hat Adenauer aus der politischen Aktualität heraus Aufzeichnungen für spätere Memoiren angefertigt oder für diesen Zweck wichtige Dokumente gesammelt. Erst im April 1964 begann er, sich näher mit dem Projekt zu befassen. Zum einen beschäftigten ihn viel zu sehr tagespolitische Geschehnisse, so dass er die Memoirenarbeit immer wieder beiseite schob. Zum anderen fiel dem 88-Jährigen das Schreiben längerer Passagen außerordentlich schwer. Das vierbändige Gesamtwerk entstand in fünfeinhalb Jahren von Frühjahr 1963 bis Herbst 1968.
Die Konzeption der Bände und die Entstehung der Manuskripte liefen weitgehend parallel. Die ursprüngliche Konzeption sah angesichts der Fülle des darzustellenden Stoffes zwei Bände vor: einen Band über die Jahre bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 und einen Band über die Zeit vom Kriegsende 1945 bis zum Kanzlerrücktritt 1963. Doch bereits die Darstellung der Ereignisse in den ersten Nachkriegsjahren machte einen Band allein aus. Er erschien am 12. Oktober 1965. Besonders beeindruckte die Überschrift des ersten Kapitels "Tief gebeugt, aber nicht gebrochen". Auch für den zweiten Band war schon eine Kapitelüberschrift notiert: "Geduld ist die stärkste Waffe des Besiegten". Adenauer entschied sich aber, allen Bänden die Widmung "Meinem Vaterland" zu geben, und stellte damit das Patriotische heraus.
Die Reaktionen der Öffentlichkeit auf den Band machten Adenauer erst richtig bewusst, dass seine Erinnerungen ein Instrument darstellten, mit dem er politische Wirkung erzielen konnte. Das spornte ihn an. Schon im Sommer 1965 hatte sich gezeigt, dass die Konzentration auf die wichtigsten Vorgänge der Jahre 1953 bis 1955 einen weiteren Band füllen würde. Die Ereignisse bis 1963 boten Stoff für wenigstens noch einen weiteren Band. Nach einem Jahr wurde das Manuskript des zweiten Bandes, das ebenfalls umfangreiche Aktenauszüge enthielt, im Juni/Juli 1966 abgeschlossen. Der Band kam wieder pünktlich zur Frankfurter Buchmesse auf den Markt.
Das Manuskript des dritten Bandes, der die Jahre 1955 bis 1963 behandeln sollte, entstand im wesentlichen zwischen Juli 1966 und März 1967. Die Materialien dazu waren hauptsächlich in der zweiten Jahreshälfte 1966 ausgewertet und zusammengestellt worden. Adenauer wollte das Manuskript während seines Frühjahrsbesuchs 1967 in Cadenabbia noch einmal einer kritischen Durchsicht unterziehen, bevor es zum Druck freigegeben würde. Das betraf vor allem das letzte Kapitel über die kritischste Phase seiner Kanzlerschaft: die innenpolitische Krise wegen seines Rückzugs von der Kandidatur zur Wahl des Bundespräsidenten 1959. In den ersten Wochen des Jahres 1967 sah er sich einzelne Manuskriptteile an. Mehr beschäftigte ihn aber der im Februar bevorstehende Besuch in Madrid; es sollte seine letzte Auslandsreise sein. Der Band war inzwischen auf fünfzehn Kapitel angewachsen, doch fehlte noch die Autorisierung. Als Adenauer am 19. April 1967 verstarb, waren die Erinnerungen unvollendet geblieben.
Bald nach dem Tode setzte die Fertigstellung des dritten Bandes für den Druck ein. Er wurde im Herbst 1967 veröffentlicht. Die kommenden Monate bis April 1968 waren bestimmt von Überlegungen, die Erinnerungen für die Zeit bis 1963 zu komplettieren. Denn ausgerechnet der Neuanfang im deutsch-französischen Verhältnis war unbehandelt geblieben. Der zusätzliche Hinweis des Verlages im Vorwort des dritten Bandes, es lägen noch Manuskripte von Adenauer für den vierten Band vor, entsprach auch keineswegs den Gegebenheiten. In Wirklichkeit existierten für das letzte Drittel der Regierungszeit allenfalls Stichworte und einzelne, allerdings politisch hochbrisante Schriftstücke zur Europapolitik der Jahre 1960 bis 1963 und zu seinem Verhältnis zu de Gaulle. DVA drängte, die Erinnerungen zu einem doch in sich abgerundeten Werk zu machen. Der Band, von Anneliese Poppinga zusammengestellt, kam im Herbst 1968 auf den Markt.
Unbearbeitet blieben der geplante Band über die Zeit bis Ende des Zweiten Weltkriegs 1945, zu dem nur wenige Unterlagen vorlagen, und der Dokumentenband. Als Supplement und Abrundung des Gesamtwerkes gedacht, war dessen Bearbeitung stets stiefmütterlich während der anderen laufenden Arbeiten behandelt worden. Letztlich blieb es der Forschung überlassen, diese und viele andere Lücken der Adenauer-Biographie dokumentarisch aufzubereiten.
H. J. Küsters: Die "Erinnerungen" Konrad Adenauers, in: F. Bosbach/M. Brechtken: Politische Memoiren in deutscher und britischer Perspektive (2005), S. 133-157.
H. P. Mensing: Die Adenauer-Memoiren: Entstehung, Zielsetzung, Quellenwert, in: Historisches Jahrbuch 114 (1994), S. 396-411.
Zahlreiche Weggefährten und Vertraute - wie seine Mitarbeiterin Anneliese Poppinga - schrieben die Erinnerung an Konrad Adenauer fort.