Rhöndorfer Ausgabe Online

11. Juni 1946 (Rhöndorf)

An Karl Gründer

, Oberbauerschaft bei Bünde/Westfalen

StBKAH 08.21


Sehr geehrter Herr Gründer!

Ich bestätige den Empfang Ihres Schreibens vom 1. d. Mts. nebst Anlage »Verlorener Osten?«. Ich hoffe mit Ihnen, daß das letzte Wort in diesen Dingen noch nicht gesprochen ist, und ich stimme mit Ihnen darin überein, daß die deutsche Öffentlichkeit, soweit es irgend angängig ist, Stellung gegen den heutigen Zustand nehmen muß.

Ich habe immer wieder in meinen Reden betont, daß Polen diese Gebiete nur zur Verwaltung übergeben worden sind, daß Polen diese Stellung mißbraucht habe und daß eine Lösung der Flüchtlingsfrage nur dadurch möglich sei, daß diesen Menschen ihre Heimat wiedergegeben werde1. Ich werde auch weiter diesen Standpunkt vertreten.

Mit ausgezeichneter Hochachtung
(Adenauer)


  1. ^

    Vgl. die Schreiben an Johannes Weber vom 26.5.1946, an Studienrat Engels vom 3.6.1946 und an J.W. Poschen vom 26.6.1946. Zum Schicksal der Ostdeutschen ein inhaltlich weitgehend identisches weiteres Schreiben Adenauers vom 11.6.1946 an Wilhelm Heinrichs, »Königsberg, z. Zt. : Holstenbek/Holstein«.
    Die Notlage in den polnisch verwalteten deutschen Ostgebieten, die zu dieser Auffassung Anlass gegeben hatte, wurde von Adenauer in mehreren Reden dieses Zeitraums dargelegt, so z. B. am 12.5.1946 in Düsseldorf: »Wie hat sich nun diese polnische Verwaltung von Gebieten, die seit mehr als 6, 7, 800 Jahren deutsch sind, ausgewirkt? Hören wir, was ein Schweizer, Robert Jung[k], schreibt: ›Hinter der Oder-Neiße-Linie beginnt das Land ohne Sicherheit, das Land ohne Gesetz, das Land der Vogelfreien, das Totenland … Wer die polnische Zone verläßt und in russisch besetztes Gebiet kommt, atmet geradezu auf. Hinter ihm liegen leergeplünderte Städte, Pestdörfer, Konzentrationslager, öde, unbestellte Felder, leichenbesäte Straßen …‹ … Das Land, das so geschildert wird, liegt mitten in Europa … Dieses Land ist für die Ernährung des deutschen Volkes von entscheidender Bedeutung. Dieses Land versteppt, verödet, nichts wächst mehr dort. Hier sind die Menschen zusammengepreßt, und die Alliierten müssen uns mit Nahrungsmitteln versorgen, die auf jenem versteppten Land wachsen könnten … Aber es wird ja doch einmal eine Friedenskonferenz kommen, und dann werden sich hoffentlich die Alliierten dieser Zustände erinnern, daß im Potsdamer Abkommen dieses Land Polen nur zur Verwaltung übergeben worden ist. Wenn der Verwalter eines Gutes derartig mit dem Gut verfährt, wie das Polen getan hat, dann müssen die Auftraggeber diesem ungetreuen Verwalter das Gut wieder entziehen« (StBKAH 02.03). Eine ähnliche Passage findet sich bereits in der am 5.5.1946 in Wuppertal gehaltenen Rede; hier auch nähere Hinweise auf den zitierten Artikel (›Aus einem Totenland‹) des Publizisten Robert Jungk (1913-1994), der von der Zürcher ›Weltwoche‹ (Jg. 13, Nr. 527) erstmals veröffentlicht und Anfang 1946 von der ›Stuttgarter Rundschau‹ und dem ›Hochlandboten‹ nachgedruckt worden war.