Rhöndorfer Ausgabe Online
An J. W. Poschen
, Niederrhein/DinslakenStBKAH 07.11
Sehr geehrter Herr Poschen!
Ich bestätige den Empfang Ihres gefl. Briefes vom 1. d. Mts. nebst Anlage1.
Ihren Brief an Herrn Kardinal Frings habe ich sehr aufmerksam gelesen. Ich verkenne in keiner Weise die vielen Mißstände, die vorhanden sind und insbesondere auch die Gleichgültigkeit, mit der manche oder sogar nicht wenige den Leiden der Ostflüchtlinge ‹und der Ausgebombten›2 gegenüberstehen. Aber Sie dürfen nicht übersehen, daß es auch viele gibt, die anders fühlen, denken und handeln, und daß die eigene Not, in der sich diese anscheinend Hartherzigen befinden, ihnen die Augen schließt gegenüber der Not der anderen3.
Bitte, übersehen Sie auch nicht, daß wir in keiner Weise bisher ein gesetzgeberisches Recht haben. Die Steuergesetze z. B. sind erlassen worden, ohne daß – soviel mir bekannt ist – irgendeine deutsche Stelle gefragt worden ist4.
Auch ich stehe auf dem Standpunkt, daß die totalgeschädigten Familien entschädigt werden müssen. Aber ich wiederhole nochmals: wir [haben] keine Gesetzgebungs-Rechte. Wir müssen warten, bis ‹Parlamente›5 gewählt sind, die dahingehende gesetzgeberische Maßnahmen treffen können6.
Mit ausgezeichneter Hochachtung
(Adenauer)
Schreiben mit Vorschlägen »zur Versorgung der totalgeschädigten Familien mit Wohnraum und den nötigsten Einrichtungsgegenständen«, die Poschen, abschriftlich beigefügter Korrespondenz zufolge, zuvor schon Erzbischof Josef Kardinal Frings unterbreitet hatte.
‹ › hs. von Adenauer eingefügt.
Vgl. die Schreiben an Studienrat Engels vom 3.6.1946 und an Karl Gründer vom 11.6.1946.
Vgl. das Schreiben an Viktor Agartz vom 12.6.1946.
‹ › hs. von Adenauer eingefügt.
So Adenauer im Frühsommer 1946 verschiedentlich in öffentlichen Äußerungen und bei Parteiveranstaltungen; vgl. seine ebenfalls am 26.6.1946 gehaltene Rede vor dem CDU-Zonenausschuss (Teildruck: Helmuth Pütz [Bearb.], Konrad Adenauer, S. 148).