Christian-Matthias Dolff
Die Geburtstage Konrad Adenauers wurden seit Beginn der Bundesrepublik feierlich begangen. Schon 1951 dauerte die Gratulationscour einen vollen Tag. Presse, Rundfunk und Wochenschau berichteten jedes Jahr von den Feierlichkeiten im Palais Schaumburg und ließen Adenauer zumeist im positiven Licht dastehen.
Vorrangiger Zweck einer Geburtstagsfeier im Allgemeinen ist der Hinweis auf das Älterwerden. Doch welche Rolle spielte das Alter für Adenauer in politischer Hinsicht? Obgleich der damalige Zeitgeist den Erfahrungsschatz des Alters der Unerfahrenheit der Jugend vorzog, gelang es ihm, gerade 30jährig im Jahre 1906 zum Beigeordneten der Stadt Köln gewählt zu werden. Mit 41 Jahren wurde Adenauer nicht nur zum jüngsten Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt ernannt, sondern war zu diesem Zeitpunkt auch der jüngste Kölner Oberbürgermeister seit mehr als 100 Jahren.
30 Jahre später wirkte sich Adenauers Alter nun ungünstiger auf seine politischen Aktivitäten aus. In Briefen an enge Weggefährten klagt er in der unmittelbaren Nachkriegszeit häufig über die enormen körperlichen Belastungen, die das Amt des Vorsitzenden der CDU-Rheinland mit Blick auf die unzähligen Reisen für ihn bedeute. Allein zwischen Anfang 1946 und Ende 1947 absolvierte der 70jährige mehr als 100 Aufenthalte in über 40 Städten, hielt Reden, nahm an Konferenzen teil oder leitete Versammlungen.
Dennoch wollte Adenauer das politische Feld niemanden sonst überlassen. Ein Grund hierfür war seine Skepsis gegenüber der unmittelbaren Nachkriegsjugend, die er 1946 als „verwildert und verkommen” ob der jahrelangen nationalsozialistischen Propaganda bezeichnete. Diesem inneren Pflichtgefühl entsprechend, nahm Adenauer die politische Verantwortung im hohen Alter wahr, obgleich er sie als „sehr aufreibend, körperlich anstrengend und sehr undankbar” beschrieb. Dass das Alter für Adenauer auch nach Außen hin eine Rolle in der politischen Entwicklung spielte, ist mit der sogenannten Rhöndorfer Konferenz vom 21. August 1949 belegbar. Zwar kann nicht mehr gesichert festgehalten werden, ob der Vorschlag, Adenauer als Kanzlerkandidaten aufstellen zu lassen, von ihm selbst oder einem seiner Gäste, allerdings war der 73jährige auf dieses Ereignis vorbereitet. Um potentiellen Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, ließ Adenauer verlautbaren, er habe mit seinem Arzt, gesprochen und ein Attest erhalten, welches aus medizinischer Sicht nichts gegen die Ausübung des Amtes für „ein – zwei Jährchen“ hatte.
Adenauers Alter, hier das erste Mal als möglicher Kritikpunkt, wurde schon im Vorfeld von ihm als solcher erkannt und so gut es ging entkräftet.
Schon zu Beginn seiner Kanzlerschaft war Adenauer im Vergleich zur Gesamtbevölkerung außergewöhnlich alt. Ende 1951 waren nur 2,8 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung wie Adenauer 75 Jahre oder älter. Umso verwunderlicher scheint das alljährliche Zelebrieren des Geburtstages als vollkommene Versinnbildlichung des Älterwerdens zu sein. Doch Adenauer, nach Jahrzehnten der Kommunalpolitik medial erfahren, wusste, wie er diesen Nachteil umkehren konnte.
Mit einem kurzen Eintrag im Terminkalender „74. Geburtstag des Herrn Bundeskanzlers“ begannen 1950 die noch bescheidenen Feierlichkeiten. Lediglich Franz Blücher als Vizekanzler und Wilhelm Niklas als Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten führten eine kleine Gratulationscour an, die drei „Bauernmädchen“ der französischen, britischen und amerikanischen Zone bestand. Gefolgt von einer Abordnung der Städte Köln und Bonn, der CDU/CSU-Fraktion und der Mitarbeiter des Kanzleramts, endete der offizielle Teil der Gratulanten bereits am Nachmittag. Die Presselandschaft nahm kaum Notiz von dem Ereignis. Selbst die Honnefer Volkszeitung, quasi das Heimatblatt des Kanzlers, beließ es nur bei einer kurzen Meldung auf der ersten Seite.
Besonders zu den Jubiläen 1951 und 1956 schwappte eine Flut an medialer Berichterstattung aus dem Kanzleramt über die Bundesrepublik hinweg. Mehrere hundert Zeitungsartikel wurden aus Anlass der Geburtstage veröffentlicht. Von der Mittelbayerischen Zeitung aus Regensburg über die Kieler Nachrichten bis zur Frankfurter Allgemeine Zeitung, der Süddeutschen Zeitung oder dem Berliner Telegraf war der Kanzlergeburtstag in nahezu jeder deutschen Tages- oder Wochenzeitung Thema. Vom tiefsten Süden bis zur Nordseeküste nahmen die Leser, ob gewollt oder nicht, am Geburtstagsgeschehen in Bonn teil.
In der Geburtstagsberichtserstattung wurde ein Kaleidoskop der bundesdeutschen Nachkriegsfragen in Politik und Gesellschaft wiedergegeben. Spezifische Huldigungen rund um die Person Adenauers wurden verbunden mit Darstellungen der bisherigen – meist erfolgreich dargestellten – Entwicklung der Bundesrepublik. Hierzu gehörte unter anderem der Stand der europäischen Einigung, die schon 1951 teils als Aufhänger für die Berichterstattung zum Geburtstag zählte. Dementsprechend titelte der Industriekurier: „Adenauer ein europäischer Deutscher”. Weil der Kanzler bis 1955 keine souveräne Politik betreibe konnte, war diese stete Präsentation der außenpolitischen Ziele in der Presse so bedeutend. Adenauer wusste die Berichterstattung in der Frühphase der Bundesrepublik für sich zu nutzen, um seine außenpolitische Konzeption einer breiten (Welt-) Öffentlichkeit darzulegen. Die affirmativen Artikel zu den Geburtstagen konnten hier eine Brücke schlagen.
Einen Nutzen zog der Kanzler auch aus den mannigfaltigen Personenbeschreibungen, die ihm anlässlich eines jeden Geburtstages zuteilwurden. Das Gros der Medienstimmen war sich einig: Adenauers körperlicher Zustand galt als Ausnahmeerscheinung. Zum 75. Geburtstag schrieben die Nürnberger Nachrichten: “Dieser zähe, alte Mann ist weder gebrechlich noch zeichnen ihn sonderlich des Alters Beschwerden. Er ist noch verteufelt rüstig.” Gar von “erstaunlicher Vitalität” konnten die Leser der Nordwestdeutschen Rundschau von ihrem Kanzler in Bonn lesen und selbst Huldigungen vom politischen Gegner waren an diesem Tag in der Presse zu vernehmen. Der sozialistische Politiker und Journalist Peter Maslowski verwies positiv auf das Alter des Kanzlers und würdigte ihn in den “Bremer Nachrichten” im Januar 1956 mit den Worten: „Jenseits aller Freundschaft und Gegnerschaft muss eine solche Vitalität und Kampfeslust dieses Achtzigjährigen jedem Achtung abgewinnen.”
Besonders anlässlich des 80. Geburtstag stellte sich die Altersfrage in einem hohen Maß erneut. Adenauer hatte in den Monaten zuvor mehrere Wochen krank in Rhöndorf verbracht. Dies führte zur Debatte um die Nachfolgeregelung im Kanzleramt, der Adenauer unbedingt entgegentreten wollte, was ihm im Wort wie auch im Bild gelang. Illustrierte Zeitschriften wie “Die Bunte” zeigten einen vitalen und vor Kraft strotzenden Kanzler. Unter dem Titel “Der ‘Alte von Rhöndorf’ frisch wie ein Junger, härter denn je. Der Kanzler achtzig Jahre alt’” wurden dem Leser sogleich Szenen aus dem Leben Adenauers präsentiert. Lachend zwischen seinen beiden jüngsten Töchtern, im Bundestag oder mit einem Waisenkind auf dem Arm. Adenauer wurde hier nicht als “kalter Kanzler”, sondern als humorvoller und empathischer Familienmensch porträtiert.
Neben der Presseberichterstattung wurden die Kanzlergeburtstage im damals stark populäreren Medium Rundfunk übertragen. Bereits 1951 sendete der NWDR eine fast achtminütige „Plauderei zum 75. Geburtstag”, in der Adenauer über sein Leben, seine Jugend und seine Familie berichtete. Der Kanzler nutzte das Format, um seine Persönlichkeit gezielt volksnah herauszuarbeiten. Er sprach von seinem „kleinen Gärtchen”, in dem er als Junge spielte oder von manchem Streich, den der als Pennäler mit anderen Mitschülern getrieben seinem Lehrer gespielt hatte. Neben diesem Interview strahlte der NWDR am Geburtstag selbst einen 25 Minuten langen Bericht in der Hörfunkreihe Echo des Tages aus. Der Zuhörer wurde hierbei schon zu den morgendlichen Geburtstagsfeierlichkeiten in das Palais Schaumburg mitgenommen und nahm an der Veranstaltung aus der Zentrale der Macht direkt teil. Der Bericht kann als charakteristisch für die Rundfunkberichterstattung der kommenden Adenauer-Geburtstage gelten. Immer wieder kam der Journalist in seinem Bericht auch auf die gute Stimmung zwischen Kanzler und Kabinett zu sprechen. Das Rundfunkmedium bot darüber hinaus die Möglichkeit, die Stimmung der Feierlichkeiten besser aufzunehmen und erfahrbar zu machen als es die Presse konnte. Traditionell begann der Festakt nach der Ankunft Adenauers vor dem Bundeskanzleramt mit dem Abschreiten einer Ehrenformation des Bundesgrenzschutzes, ab 1956 der neu aufgestellten Bundeswehr.
Ab 1956 spielte auch der Musikzug des Bundesheeres einige Armeemärsche, die häufig mit in die Übertragung aufgenommen und hierdurch bei den Zuhörern ein Gefühl des „Wir sind wieder wer” vermittelten – symbolisierten sie doch geradezu die wiedererlangte Souveränität der Bundesrepublik. Zugleich sollte hierdurch auch die Meinung innerhalb der Bevölkerung zur Truppe und zur Wiederbewaffnungsfrage positiv gestimmt werden. „Soldaten werden populär durch eine gute Marschmusik, daran ist nichts zu ändern, das ist nun mal so”, lautete die Kanzlermeinung, die er Anfang der 1950er Jahre vor einem Kreis ausgewählter Journalisten vortrug.
Hierneben standen vor allem die Geschenkeübergaben im Vordergrund der Rundfunkberichte. Teils konnten die Zuhörer den Gratulationen der verschiedenen Gäste direkt lauschen und manches Mal wurden sogar die Reaktionen Adenauers vernommen. Beispielsweise bei der Übergabe der Geschenke von Landwirtschaftsminister Niklas im Jahre 1951. Eine ganze Jagdstrecke mit mehr als ein dutzend Tieren aus „allen Teilen der Bundesrepublik” wurde im Garten des Palais Schaumburgs aufgereiht. Als Niklas zu den „Berliner Karnickeln” kam, konnten die Zuhörer Adenauer, anders als aus den Bundestagsdebatten bekannt, lachen hören.
Noch größeren Eindruck machten die Wochenschauberichte, die sich in den 1950er Jahren größter Beliebtheit erfreuten. Knapp 90 Prozent aller Kinos in der Bundesrepublik und in Westberlin zeigten mindestens eine der gängigen Wochenschauen. Bei der Rekordzahl von 817,5 Millionen verkauften Kinotickets im Jahr 1956 sahen im Schnitt über 14 Millionen Menschen pro Woche die Wochenschau im Kino.
Beispielhaft hierfür ist der Beitrag des Deutschlandspiegel [Minute 4:50] aus dem Jahr 1958 anlässlich des 82. Kanzlergeburtstags. Der Zuschauer erhascht private und familiäre Einblicke, kann dem Kanzler im heimischen Rhöndorf beim Frühstück mit seinem Sohn Paul über die Schulter schauen oder ist Gast beim Empfang durch die Familie im Palais Schaumburg. Hierneben steht aber auch der Fokus auf die Außenpolitik im Vordergrund. Botschafter aus den verschiedensten Teilen der Welt werden während der Gratulationscour gefilmt und zeugen somit indirekt von dem – durch Adenauer maßgeblich wiedererlangten – Status Westdeutschlands in der Völkerfamilie.
Noch mehr als durch die Presse und den Rundfunk fühlte sich der Zuschauer dazugehörig, tauchte ein in die Gratulationscour und wurde direkter Zeuge vermeintlich privater Familienmomente. Wenn der Kanzler eines der 24 Enkelkinder auf den Arm nahm, sie liebevoll tätschelte oder Gedichte aufgesagt bekam, entstanden ausdrucksstarke Bilder [Minute 8:05], die den sonst kühl wirkenden Adenauer weicher zeichneten. Die Grenzen zwischen unnahbarem Staatsmann und liebevollem Patriarchen verwischten zusehends. Dies verdeutlicht auch ein Kommentar zum 85. Geburtstag, in dem der Begriff der “Kanzlerfamilie”, ob gewollt oder nicht, diese Doppeldeutigkeit verdeutlicht: “Kinder und Enkelkinder fanden sich vollständig zur Gratulation ein und man hatte den Eindruck, dass sich die ganze Kanzlerfamilie bei ihrem großen Großvater ganz zu Hause und recht wohl fühlte.”
Neben der intensiven medialen Rezeption der Adenauer-Geburtstage wichen die Feierlichkeiten auch in einem weiteren Punkt von späteren Prinzipien und Vorstellungen innerhalb der Bundesrepublik ab. Adenauer erhielt sowohl von Privatpersonen als auch von den geladenen Gästen Geschenke. Gelten Geschenke an den Bundeskanzler heute als Staatsgeschenke, die nach dem Ende der Amtszeit im Besitz der Bundesrepublik Deutschland verbleiben, gab es diese Regelung zu Adenauers Zeiten noch nicht.
Der per se private Anlass des Geburtstages kollidierte in diesem Zusammenhang mit der Ausübung des offiziellen Amtes als Bundeskanzler. Präsente wurden dem Privatmann Adenauer genauso übereicht, wie sie gleichzeitig ganz gezielt dem Kanzler zugeeignet wurden. Unbeachtet dieser Unterscheidung blieben die Geschenke im Besitz Adenauers.
Dabei reichte die Spannweite der Geschenke „vom wertvollen Stich bis zur Dauerwurst” (Honnefer Volkszeitung vom 5.1.1956). Der Landwirtschaftsminister überreichte in der Regel Tische voller Nahrungsmittel, auf denen sich Würste, Eier, Milch und manche Schokolade stapelten, sodass hiervon vor allem die stetig wachsende Enkelschar profitierte. Teils wurden dem Kanzler aber auch – beinahe nach feudaler Manier – ganze Jagdstrecken zu Füßen gelegt, die im Anschluss den Bonner Krankenhäusern zugutekamen. Immer wieder wurden auch Geschenke überreicht, die damals wie heute herausstachen und eher dem Gusto eines Herrschers zu entspringen schienen. Ein Beispiel hierfür ist ein Brieföffner , der Adenauer 1960 zu seinem 84. Geburtstag überreicht worden war. Die grüne Klinge aus echter Jade wird durch ein Endstück aus 900er Gold geziert. In der Mitte befinden sich die Initialen „KA”, besetzt aus Brillanten, um die herum ein Kreis aus 17 Rubinen angeordnet ist. Das pompöse Geschenk wurde bei einem Hamburger Goldschmied in Auftrag gegeben. Doch nicht etwa der persische Schah, der indische Ministerpräsident oder einer der anderen Honoratioren aus dem nahen oder fernen Osten hatten die Preziose in anfertigen lassen. Ganz im Gegenteil: Vizekanzler und Wirtschaftsminister Ludwig Erhard überreichte dem Bundeskanzler den Brieföffner als Gabe des Kabinetts. Ebenso üppig-panegyrisch wie das eigentliche Geschenk gestaltete sich die feierliche Übereignung, die die Zuhörer des WDRs an den Radioapparaten mitverfolgen konnten:
„Ein Brieföffner, in dem in der Mitte, selbstverständlich in Brillanten Konrad Adenauer steht und die siebzehn Rubine, die sich darum ranken, das sind wir. Wir wünschen Ihnen jedenfalls, dass die Nachrichten, die sich Ihnen mit diesem Brieföffner erschließen immer gute und für Sie erfreuliche Nachrichten sein werden.“
Dieses ohnehin in Teilen höfisch wirkende Zeremoniell der Feierlichkeiten, fand in der Geschenkeübergabe seine Klimax und lässt partiell an eine zum damaligen Zeitpunkt bereits überkommenen Untertanentreue erinnern, die ihre Grundlagen noch im 19. Jahrhundert hatte. Der Souverän wird hier in einer Eindeutigkeit zu ehrendes Subjekt wie wohl selten danach in der Bundesrepublik.
Adenauer wusste dieses einträchtige und öffentliche Moment zwischen Kanzler und Kabinett stets medienwirksam zu nutzen. 1960 dankt er seien Ministern „herzlich” für das „sehr schöne Geschenk”, schafft damit für die Zuhörer an den Radioapparaten einen positiven Blick auf eine geeinte Regierung, verweist im nächsten aber zugleich auf die instabile globalpolitische Situation, um die Notwendigkeit seiner eigenen Position zu unterstreichen.
„Sie deuteten soeben an, im Horizont schon das Jahr 61. Nunja, das wird ein vergnügtes Jahr, so Gott will, werden. Davon bin ich auch überzeugt, aber ich denke wir werden es schon gut überstehen.”
Neben den Feierlichkeiten 1956 stach vor allem das Jahr 1961 in seiner Opulenz heraus. Ganze zwei Tage dauerte die Gratulationscour im Palais Schaumburg, die jeweils morgens begann und bis in die Abendstunden andauerte. Unterbrochen wurden beide Tage jeweils von einem „Frühstück” gegen 13 Uhr mit anschließender Pause für den 85 Jahre alten Kanzler im Kreise seiner Familie. Im Minutentakt nahm Adenauer die verschiedenen Gratulationen entgegen. Honoratioren aus nah und fern kamen durch Schnee und Eis nach Bonn, um sich beim Bundeskanzler einzufinden. Bundestagsabgeordnete, Minister und Ministerpräsidenten, Vertreter verschiedener Institutionen, Vereinigungen und Verbände fanden sich hier ebenso ein wie das diplomatische Corps. Über 400 Persönlichkeiten aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens nahmen an den Feierlichkeiten teil.
Geschenke und vor allem Glückwunschschreiben trafen auch an Adenauers Wohnsitz in Rhöndorf zu tausenden ein. Dort und in seinem Dienstsitz erhielt er an die 300 Rosen, 6 Orchideen, 55 Chrysanthemen, 12 Kisten, zwei Kartons und 90 Einzelflaschen Wein, 80 Bücher und 28 Kunstgegenstände, darunter zwei antike Krüge aus dem 18. Jahrhundert vom Deutschen Beamtenbund, die älteste Deutschlandkarte von der Bundesärztekammer, ein Ölbild “Madonna vom Berge Karmel” von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände oder eine spätmittelalterliche Chronik seiner Kölner Heimatstadt von der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Das Bundeskabinett schenkte zusammen mit dem Bundestag vier steinerne Putten, die noch heute im Garten des Rhöndorfer Wohnhauses stehen. Wie schon ein Jahr zuvor nutzte Adenauer den Dank an das Kabinett, um düstere Wolken am politischen Himmel aufzuzeigen, die – wie ihm bewusst war – per Rundfunk über den Äther gingen:
„Sie haben Recht, meine Herren, es steht vor uns ein sehr schweres Jahr mit großen Aufgaben und wir werden alle miteinander viel Geduld und viel Nervenkraft brauchen, um allen Schwierigkeiten Herr zu werden.“
Adenauer nutzte die Situation auch immer wieder, um auf kommende Krisenherde aufmerksam zu machen. In Verbindung mit den Inszenierungen der Geburtstagsfeierlichkeiten, konnte hierdurch das Prestige Adenauers, der Regierung und der Bundesrepublik als solches im In- und Ausland gestärkt werden. In letzter Instanz kam dies auch einem jeden Bürger zugute. Wenige Jahre nach dem Kriegsende konnte das mediale Großereignis einen Teil zum Ansehen innerhalb der Völkerfamilie beitragen. Verweise auf Glückwunschtelegramme ausländischer Staats- und Regierungschefs, die in Presse und Rundfunk verbreitet wurden, verstärkten diesen Effekt zusehends.
Neben Glückwünschen aus Israel (David Ben Gurion), Frankreich (Charles de Gaulle) und Japan (Yoshida Shigeru), erreichten den Kanzler auch tausende Glückwunschschreiben von Bürgern der Bundesrepublik.
Jährlich erreichten das Rhöndorfer Wohnhaus und das Palais Schaumburg mehrere tausend Glückwunschschreiben, hiervon auch zumeist eine vierstellige Anzahl von Kinderschreiben. Allen wurde durch das Protokoll des Bundeskanzleramtes in den darauffolgenden Wochen gedankt. Einigen hundert dankte Adenauer durch einen Brief, in der Abstufung gefolgt durch eine vorgedruckte Dankeskarte mit eigenhändiger Unterschrift. Ausländische Schreiben wurden durch das Protokoll des Auswärtigen Amtes beantwortet. Das Gros der Gratulanten erhielt jedoch eine vorgedruckte Dankeskarte mit faksimilierter Unterschrift.
Zwar feierte Adenauer noch zwei weitere Geburtstage im Amt des Bundeskanzlers, doch stellte der 5. Januar 1961 deutlich den Höhe- und Wendepunkt der Feierlichkeiten dar. Die nächsten Kanzlerjahre sollten durch innenpolitische Krisen geprägt sein, die zum erzwungenen Rücktritt im Herbst 1963 führten. Doch auch in der Nachkanzlerzeit wurde der Geburtstag feierlich und medienwirksam begangen. Herausstechend war nochmals der 90. Geburtstag, an dem der greise Altkanzler in den ersten Januartagen von einer Veranstaltung zur nächsten fuhr. Die CDU begann am 4. Januar mit einem Empfang in der Bonner Beethovenhalle, gefolgt am Geburtstag selbst von der Gratulationscour im Bundeshaus, einer Zusammenkunft mit ehemaligen und damals aktuellen Kabinettsmitgliedern im Palais Schaumburg, einem Abendessen gegeben von Bundespräsident Lübke, einem großen Zapfenstreich vor der Bonner Universität und wenige Tage später einer weiteren Feier in seinem Heimatort Rhöndorf.
Konrad Adenauers Geburtstage waren ein fester Bestandteil im politischen Kalender der frühen Bundesrepublik. Ein Gros der politischen Eliten defilierte an jedem 5. Januar im Palais Schaumburg zur Gratulationscour. Die Medien waren dem immer älter werdenden Kanzler zumeist gewogen und verwiesen zu diesem Anlass auf die Tatkraft, die Jugendlichkeit und Vitalität Adenauers. Daneben standen vor allem außenpolitische Erfolge im Vordergrund, aber auch familiäre Einblicke wurden gegeben, wodurch der oft unnahbar wirkende Adenauer populärer wirkte.
Geschenke von nah und fern liefen in Bonn und Rhöndorf auf und sind in Teilen auch heute noch im Wohnhaus Konrad Adenauers zu finden Unzählige Glückwunschschreiben von Bürgern verdeutlichen, dass der Tag nicht nur hinter hohen Mauern im Bundeskanzleramt begangen wurde, sondern in der Gesellschaft präsent war.
Doch waren die Kanzlergeburtstage in dieser Ausgestaltung fest mit der Person Konrad Adenauers verbunden und unterstreichen seinen patriarchalen, in Teilen noch an das 19. Jahrhundert erinnernden Nimbus. Dass die Ära Adenauer schlagartig zu Ende war, kann auch hieran festgemacht werden. Ein Jahr nach seinem Rücktritt verwies das Protokoll des Auswärtigen Amtes auf die neuen Richtlinien.
„An dem diesjährigen Geburtstag des Herrn Bundeskanzlers Erhard findet keine Gratulationscour, sondern nur ein Empfang im kleinen Rahmen statt.
Der Herr Bundeskanzler bittet ausdrücklich, von persönlichen Geschenken abzusehen”