Horst Möller
Kaum ein Ereignis hat in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik Deutschland die Öffentlichkeit so erregt wie die „Spiegel-Affäre“ im Herbst 1962. Viele Beobachter sehen in ihr die größte politische Krise der frühen Bundesrepublik. Und obwohl die Forschung die Vorgänge mit Hilfe der inzwischen zugänglichen Quellen weitestgehend geklärt hat, dominieren selbst in wissenschaftlichen Veröffentlichungen Falschdarstellungen.
Worum handelte es sich und wie erklärt sich die damalige Aufregung? Im Kern ging es um die gegensätzliche Beurteilung des Vorgangs: Während die einen die Sicherheit der Bundesrepublik durch Landesverrat gefährdet sahen, fürchteten die anderen die Gefährdung der Pressefreiheit und damit eines demokratischen Grundprinzips.
Im Mittelpunkt der öffentlichen Kritik stand der damalige Bundesverteidigungsminister und CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß. Er wurde verdächtigt, die Verhaftung von Spiegel-Redakteuren veranlasst und darüber später den Bundestag belogen zu haben. Als Motiv nahm man Rache an, hatte doch der Spiegel und besonders sein Herausgeber Rudolf Augstein seit Jahren Strauß nicht nur kritisiert, sondern diffamiert. Der einer Sympathie für Strauß unverdächtige zeitweilige Spiegel-Redakteur, Augstein-Biograf und SPD-Mitglied seit 1950, Peter Merseburger, sprach von einem „Kreuzzug gegen Strauß“. Die Spiegel-Titelgeschichte „Endkampf“ vom April 1961 bezeichnete Merseburger als „wohl schärfste Polemik gegen einen deutschen Politiker […] die in der Bundesrepublik bislang veröffentlicht wurde.“
Ein Rache-Motiv schien vielen Kritikern von Strauß, der nicht zuletzt durch die Attacken im Spiegel umstritten war, deshalb plausibel.
Allerdings blendet diese Behauptung vier entscheidende Faktoren der sog. Spiegel-Affäre aus, nämlich den Anlass, die Chronologie, die Rechtslage und den innen- und außenpolitischen Kontext. Erst die Rekonstruktion dieser ineinandergreifenden Faktoren ermöglicht eine angemessene Beurteilung der Affäre insgesamt und der Rolle von Strauß selbst.
Am 8. Oktober 1962 veröffentlichte der Spiegel nach dem NATO-Manöver „Fallex 62“ den Artikel „Bedingt abwehrbereit“. Die Spiegel-Redakteure Conrad Ahlers und Hans Mette setzten sich kritisch mit zentralen Fragen der bundesdeutschen Verteidigungspolitik auseinander. Sie gelangten zu dem nicht unbegründeten Befund, die Vorsorge der Bundesrepublik für den Kriegsfall sei ungenügend. Der Artikel basierte auf zahlreichen Details, die aus Dokumenten stammten, die vom Verteidigungsministerium und im Verteidigungsausschuss des Bundestags als „Streng geheim“ klassifiziert waren. Es stellte sich also die doppelte Frage: Woher hatte der Spiegel die Informationen und gefährdete ihre Veröffentlichung die militärische Sicherheit der Bundesrepublik?
Während der Monate zuvor waren schon mehrere Artikel zur Verteidigungspolitik erschienen. Sie waren zwar nicht vergleichbar gut informiert, lösten aber eine Debatte aus. Strauß beteiligte sich daran nicht. Doch hatte der Würzburger Staats- und Völkerrechtler, Oberst der Reserve Friedrich August von der Heydte, bereits den Spiegel-Artikel vom 13. Juni 1962 „Stärker als 1939“ heftig kritisiert: Von der Heydte beurteilte die Mischung aus halbwahren, erlogenen und wahren Interna aus der Bundeswehr als potenziell landesverräterisch. Am 6. September erwirkte er gegen den Spiegel eine einstweilige Verfügung, am 1. Oktober 1962 erstattete er Anzeige, weil die Zeitschrift ausländischen Agenten den Zugang zu geheimen militärischen Informationen ermögliche.
Die Bundesanwaltschaft, die schon die vorherigen Veröffentlichungen überprüft hatte, dehnte daraufhin am 8. Oktober ihre Ermittlungen auf den Artikel „Bedingt abwehrbereit“ aus. Am 9. Oktober forderte sie vom Amt für Sicherheit der Bundeswehr, das zum Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums gehörte, ein Gutachten an. Das noch vorläufige Gutachten wurde im Referat für Strafrechtsangelegenheiten erstellt und ging am 10. Oktober an den zuständigen Ersten Staatsanwalt der Bundesanwaltschaft Siegfried Buback. Der Verfasser des Gutachtens, Oberregierungsrat Heinrich Wunder, gelangte zu dem Schluss, der Artikel „Bedingt abwehrbereit“ enthalte zahlreiche militärische Informationen, die der Geheimhaltung unterlagen. Über den Vorgang wurde am 15. Oktober Staatssekretär Volkmar Hopf unterrichtet. Verteidigungsminister Strauß, der seit dem 18. September in Südfrankreich im Urlaub war, wurde nach seiner Rückkehr am 16. Oktober von Hopf informiert.
Strauß beauftragte Staatssekretär Hopf, der weder CDU- bzw. CSU –Mitglied war noch der Union politisch nahestand, mit dem weiteren Verfahren, soweit es das Verteidigungsministerium betraf. Mit der folgenden definitiven Begutachtung durch Wunder hatte Strauß nichts zu tun. Für das Verteidigungsministerium nahm Hopf am 22. Oktober an einer Besprechung der Bundesanwaltschaft mit zwei Bundesanwälten, zwei Generälen, dem Gutachter sowie Vertretern des Bundeskriminalamts teil. Am selben Tag informierte die Bundesanwaltschaft das Bundesministerium der Justiz. Außerdem wurden der Militärische Abschirmdienst, das Bundeskriminalamt und die Sicherungsgruppe Bonn beteiligt.
Unverzüglich beantragte die Bundesanwaltschaft nach Information des zuständigen Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof den Erlass von Haftbefehlen gegen Spiegel-Redakteure und den Herausgeber Augstein sowie die Durchsuchung von Redaktionsräumen wegen dringenden Verdachts auf Landesverrat. Die Haftbefehle gegen Augstein und den stellvertretenden Chefredakteur Conrad Ahlers ergingen am 23. Oktober. Strauß‘ Rolle beschränkte sich bis dahin auf die Unterrichtung von Bundeskanzler Adenauer. Am Abend des 22. Oktober informierte er den Bundeskanzler über die bevorstehenden Haftbefehle. Dem Verteidigungsministerium ging es in erster Linie darum, Informanten im eigenen Haus zu finden. Der Generalbundesanwalt verdächtigte – zu Recht – vor allem Oberst i.G. Alfred Martin.
Was dokumentieren der zeitliche Ablauf sowie das juristische Verfahren? Erstens: Strauß war an keiner dieser Entscheidungen beteiligt, so oft auch das Gegenteil behauptet wird. Zweitens: In einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik ist selbstverständlich kein Minister befugt, Haftbefehle auszustellen, er kann sie nicht einmal beantragen. Im Falle des Verdachts auf strafbare Handlung entscheidet die zuständige Staatsanwaltschaft, ob hinreichender Tatverdacht besteht, und beantragt in diesem Fall beim zuständigen Ermittlungsrichter den Erlass eines Haftbefehls. Der Ablauf dokumentiert nicht nur ein korrektes Verfahren, sondern auch die Kompliziertheit rechtsstaatlicher Prozesse sowie die große Zahl beteiligter Instanzen und Personen.
In den folgenden Tagen, als die Ermittlungen nicht allein auf Spiegel-Redakteure, sondern auch auf Offiziere, Beamte und Mitarbeiter der Bundeswehr ausgedehnt sowie die Wohnungen von Augstein und Ahlers durchsucht wurden, kam es zu einer Panne, weil zunächst nicht Augstein, sondern ein fälschlich Verdächtigter verhaftet wurde. Ahlers befand sich mit seiner Frau im Urlaub in Spanien und hatte sich dort am 26. Oktober mit dem ihm bekannten Militärattaché an der Deutschen Botschaft, Oberst Hans Oster, zum Essen getroffen. Beide wussten zu diesem Zeitpunkt nichts von dem Haftbefehl. Als bei der Durchsuchung von Ahlers‘ Wohnung bekannt wurde, dass er und seine Frau am folgenden Tag nach Marokko weitereisen wollten, war das Verteidigungsministerium höchst alarmiert, weil mit Marokko kein Auslieferungsabkommen existierte.
Der Bundesgerichtshof ordnete am 26. Oktober die Verhaftung von Ahlers an. Doch war nicht klar, ob die spanischen Behörden einen Interpol-Haftbefehl vollstrecken würden, wenn sie den Verdacht gegen Ahlers als politisches Delikt einstuften. Deshalb kündigte Staatssekretär Hopf an, das Verteidigungsministerium werde im Rahmen der Amtshilfe mit seinen eigenen Mitteln versuchen, den vorliegenden Haftbefehl gegen Ahlers vollstrecken zu lassen.
Daraufhin telefonierte Verteidigungsminister Strauß in der Nacht vom 26. zum 27. mit Oberst Oster und wies ihn unter Hinweis auf ein Gespräch mit Bundeskanzler Adenauer und den vorliegenden, am folgenden Morgen in Madrid eintreffenden Interpol-Haftbefehl an, die spanischen Behörden um Amtshilfe zu ersuchen. Sie verhafteten daraufhin Ahlers und – fälschlich – auch dessen Frau. Warum Strauß persönlich telefonierte, ist unklar. Tatsächlich kannte er Oberst Oster, der nach Strauß’ Aussage eine Weisung nur von ihm persönlich entgegennehmen wollte, da er seine Stimme, nicht aber die des Staatssekretärs kannte.
So sachlich vertretbar die Intervention von Strauß auch war, bedeutete sie – was juristisch jedoch nicht völlig klar ist – vermutlich eine Kompetenzüberschreitung: Der Verteidigungsminister ist gegenüber einem als Militärattaché abgeordneten Offizier nur in militärischen Dingen weisungsbefugt, ansonsten aber der Außenminister – der aber befand sich gerade in den USA. Über diese Frage gab es später ein Ermittlungsverfahren, das jedoch ohne Schuldvorwurf eingestellt worden ist.
Von hier führt die Linie direkt zur Bundestagssitzung, die als einfache Fragestunde angesetzt worden war, jedoch geschäftsordnungswidrig vom 7. bis zum 9. November zu einer dreitägigen hitzigen Debatte umfunktioniert wurde. Allein dieser, von der Bundesregierung hingenommene Formfehler zeigt, dass sie angemessen reagierte: Dies lag zum einen am Streit innerhalb der Regierungsfraktionen, bei der ein Teil der FDP frontal auf Strauß losging, zum anderen daran, dass Strauß, Adenauer und Innenminister Hermann Höcherl (CDU) ungeschickt und vor allem defensiv taktierten. Höcherl musste, ohne sich darauf vorbereiten zu können, Justizminister Wolfgang Stammberger (FDP) vertreten, der aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht erschienen war. Hinzu kam, dass Stammberger zu Beginn nicht in das Verfahren einbezogen war, obwohl er gegenüber der Bundesanwaltschaft weisungsberechtigt war. In der entscheidenden Phase der Ausstellung der Haftbefehle wurde er allerdings am 22. Oktober informiert. Die Behauptung, Strauß oder sein Staatssekretär Hopf hätten den (nicht verwandten) Staatssekretär des Justizministers, Walter Strauß, aufgefordert, seinen Minister nicht gleich anfangs zu informieren, konnte nicht belegt werden.
Die Frage, ob Strauß den Bundestag belogen habe, entzündete sich erstens an einer Aussage, die er gar nicht dort gemacht hatte, und zweitens an seiner Weisung gegenüber Oster. So wurde behauptet, Strauß habe erklärt, mit der ganzen Sache nichts zu tun gehabt zu haben. Strauß verwies zunächst darauf, dass es bei dieser vom Abgeordneten Heinrich Ritzel (SPD) nicht korrekt wiedergegebenen Aussage gar nicht um eine Rede im Bundestag gegangen sei, sondern um die Antwort in einem Interview auf eine präzise Frage.
Strauß‘ Antwort lautete zutreffend: „Ich habe die Frage eines Journalisten, ob ich mit der Ingangsetzung des Verfahrens und mit der Durchführung oder mit der Entscheidung über die Einleitung bundesanwaltschaftlicher Maßnahmen irgendetwas zu tun habe, verneint, weil ich vom 9. Oktober, als das Ministerium zum ersten Mal davon erfahren habe, bis zum 15. Oktober überhaupt nicht anwesend war […] Am 16. Oktober bin ich von dem Gutachtenersuchen informiert worden.“ Strauß hatte also den Bundestag nicht belogen.
Und auch die Behauptung, er habe das Telefonat mit Oberst Oster verschwiegen, trifft nicht zu, wie allein schon die Wortwahl des Abgeordneten Ritzel zeigt, der Strauß fragte: „Wie erklären Sie den Widerspruch Ihrer vorgestrigen (!) Aussage, Sie hätten mit der Angelegenheit nichts zu tun gegenüber Ihrer heutigen Mitteilung, dass Sie mit dem Herrn Oster telefoniert haben und dass ihm vom Verteidigungsministerium aus entsprechende Weisungen – wohl durch Sie selbst – gegeben worden seien, auf die Verhaftung hinzuwirken?“ Tatsächlich lag hier kein Widerspruch vor. Allerdings hatte Strauß anfangs allgemein von der Weisung des Verteidigungsministeriums gegenüber Oster gesprochen und hatte erst auf Nachfragen sein persönliches Gespräch geschildert, es also keineswegs verschwiegen. All das lässt sich in den Protokollen und sonstigen Unterlagen minutiös nachweisen.
Wesentlich für die Beurteilung der zum Teil hysterisch geführten Debatte sind einige innenpolitische Faktoren. So kriselte es in der Koalition von Union und FDP schon seit Beginn der Regierungsbildung 1961, als die FDP die Bedingung gestellt hatte, den 85-jährigen Konrad Adenauer nur noch für zwei Jahre zum Bundeskanzler zu wählen. Ein Teil der FDP, insbesondere der Ehrenvorsitzende Reinhold Maier, war ein ausgesprochener Gegner der Verteidigungspolitik von Strauß und Adenauer, er lehnte die Westintegration der Bundesrepublik und den Aufbau der Bundeswehr ab. Schon 1958 hatte Maier Verteidigungsminister Strauß als „Reichskriegsminister“ bezeichnet und im FDP-Bundesvorstand während der Spiegel-Krise schon Tage vor der Bundestagsdebatte unverhohlen erklärt, die Gelegenheit sei günstig, Strauß loszuwerden, weil die Bevölkerung sage, Strauß sei schuld. Hinzu kam das freundschaftliche Verhältnis des Abgeordneten Wolfgang Döring zu Augstein, der ebenfalls FDP-Mitglied war.
Hier lag im Übrigen ein juristisch gravierender Vorwurf für den Landesverrat: Im Panzerschrank Augsteins wurden tatsächlich streng geheime militärische Unterlagen gefunden, darunter ein Protokoll des Verteidigungs-Ausschusses sowie nummerierte Ablichtungen über ein weiteres Dokument dieses Gremiums, von dem nur sieben Exemplare existierten. Die Nummer war unkenntlich gemacht. Als Döring in Verdacht geriet, Augstein die Unterlagen gegeben zu haben, dementierte er und stellte Strafantrag. Die Herkunft der geheimen Dokumente konnte nicht geklärt werden. Hinzu kam, dass der Spiegel vor der Hausdurchsuchung durch Oberst Adolf Wicht vom Bundesnachrichtendienst (BND) gewarnt worden war und weitere fragliche Unterlagen beiseite schaffen konnte. Der BND war aus der sogenannten „Organisation Gehlen“ hervorgegangen, die die USA 1946 zur Auslandsspionage in der Sowjetunion unter Leitung des ehemaligen Generalmajors der Wehrmacht, Reinhard Gehlen, gegründet hatten. Seit 1956 unterstand der BND dem Bundeskanzleramt. Hier handelte es sich um einen skandalösen Vorgang eigener Art, weil eine Bundesbehörde die Recherchen einer anderen, also der Bundesanwaltschaft, behinderte.
Wie später Bundeswehr-General Gerd Schmückle urteilte, hätten die alten „Nazi-Generäle“ in der „Organisation Gehlen“ gegen die Verteidigungspolitik von Strauß intrigiert. Das betraf unter anderem die Kombination konventioneller und atomarer Streitkräfte sowie die von Strauß verfolgten Konzepte einer demokratisch orientierten Parlamentsarmee und eines ‚Bürgers in Uniform‘. Schließlich mussten Strauß und Adenauer, die gemeinsam Zielscheibe waren, bei Verdacht auf Landesverrat alles tun, um aufzuklären und künftig derartige Aktionen verhindern. Der Verdacht gegen den Spiegel, der von der Bundesanwaltschaft ausging, war jedenfalls hinreichend begründet – ob er zur Verurteilung reichte, war indes nicht Sache der Politik, sondern der Gerichte.
Doch handelte es sich hier nicht allein um die Amtspflichten eines Regierungschefs und eines Verteidigungsministers, die einen solch schweren Verdacht nicht einfach ignorieren konnten. Vielmehr gab es drei gravierende außenpolitische Gründe, die Sicherheit der Bundesrepublik zu gewährleisten. Die Veröffentlichung von geheimen Informationen durch den Spiegel betraf nicht nur die Bundeswehr, sondern ebenso die NATO – die Bundesrepublik musste durch effiziente und schnelle Aufklärung alles tun, um die Solidarität der Bündnispartner und deren Vertrauen zu erhalten. Nach dem Mauerbau der SED-Diktatur in Berlin am 13. August 1961 hatte sich die seit 1958 durch die aggressive sowjetische Politik schwelende Berlin-Krise weiter verschärft. Und am gewichtigsten: Die Kuba-Krise vom 22. bis 28. Oktober 1962, in der die Sowjetunion Raketen auf Kuba stationiert hatte, drohte die Welt an den Abgrund eines Dritten Weltkriegs zu bringen. All diese Faktoren erklären nicht nur die Nervosität der politisch Verantwortlichen, sondern auch die sachliche Notwendigkeit ihres Handelns.
Nach der Bundestagsdebatte forderte die FDP von ihrem Koalitionspartner CDU/CSU unter anderem unter Hinweis auf die angebliche Lüge von Strauß in der Bundestagssitzung und die (ihm persönlich ohne Beweise zur Last gelegte) verspätete Einbeziehung Stammbergers ultimativ den Rücktritt des Verteidigungsministers beziehungsweise seine Entlassung durch den Bundeskanzler. Als dies nicht geschah, traten die der FDP angehörenden Bundesminister am 19. November zurück. Sogar bei der CDU war der Rückhalt für Strauß begrenzt, entscheidend wurde schließlich die Frage, ob Bundeskanzler Adenauer im Amt bleiben könne, wenn man Strauß halte. Der frühere Generalbundesanwalt und nunmehrige CDU-Bundesabgeordnete Max Güde brachte es auf den Punkt: Zwar seien Strauß keine strafrechtlichen Verfehlungen vorzuwerfen, doch bei der Frage „Bundesminister oder Bundeskanzler“ liege die Priorität nun mal beim Regierungschef.
Franz Josef Strauß, der sich von Teilen der CDU und dem Bundeskanzler im Stich gelassen fühlte, trat am 28. November grollend zurück und listete in einem Brief an Adenauer alle Einzelheiten des Vorgangs auf, soweit er informiert beziehungsweise beteiligt gewesen war. Strauß verwies zutreffend darauf, dass er Adenauer seit dem 18. Oktober ständig berichtet habe und dieser sein Einverständnis erklärt habe. Strauß‘ zeitweilig angedeutete Absicht, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, realisierte er nicht. Weitere Kränkungen blieben Strauß trotzdem nicht erspart. So führten CDU-Unterhändler gemeinsam mit dem CSU-Abgeordneten Freiherr von und zu Guttenberg – einem innerparteilichen Strauß-Gegner – Sondierungsgespräche mit der SPD, ohne ihn, den CSU-Vorsitzenden, zu informieren. Doch blieb Strauß schließlich loyal und gefährdete die Kanzlerschaft Adenauers nicht. Zur FDP blieb das Verhältnis von Strauß dauerhaft zerrüttet. Nach schwierigen Koalitionsverhandlungen, bei denen erstmals eine Große Koalition von Union und SPD erwogen wurde, bildete die Union erneut eine Koalition mit der FDP, Adenauer blieb – wie 1961 vorgesehen – bis 1963 Bundeskanzler.
Die juristischen Verfahren gegen den Spiegel führten zwar zu keiner Verurteilung, jedoch zu einem Freispruch mangels Beweisen, weil den Beschuldigten nicht nachgewiesen werden konnte, dass sie vorsätzlich gehandelt hätten. Allerdings ging der Bundesgerichtshof davon aus, dass der Spiegel möglicherweise „geheimhaltungsbedürftige Tatsachen“ veröffentlicht hatte. Die längste Haftdauer während der Ermittlungen traf mit 103 Tagen Rudolf Augstein. Die späteren Ermittlungsverfahren gegen die beiden in den einstweiligen Ruhestand versetzten beziehungsweise beurlaubten Staatssekretäre Volkmar Hopf und Walter Strauß sowie gegen Franz Josef Strauß wurden nach mehrjähriger Ermittlung und zahlreichen juristischen Gutachten 1965 eingestellt: Zwar wurde Franz Josef Strauß ein Verfahrensfehler bescheinigt, ihm jedoch zugestanden, unter Zeitdruck und in politisch bedrohlicher Lage einen sogenannten Verbotsirrtum begangen zu haben. Unter den Gutachtern befanden sich allerdings auch solche, die keinen Verfahrensfehler erkannten, weil sie in der Weisung von Strauß an Oberst Oster auch einen militärischen Bezug sahen: Es habe sich um die Aufklärung des Geheimnisverrats im Verteidigungsministerium gehandelt, woraus seine Weisungsbefugnis resultiere.
Obwohl Strauß und die Staatsekretäre durch diese Verfahren rehabilitiert wurden, hatte sich das Negativimage aufgrund einer monatelangen Kampagne gegen den ehemaligen Verteidigungsminister verfestigt – die gegenteiligen Fakten und der genaue Ablauf der Affäre interessierte in der Öffentlichkeit und sogar in der Geschichtswissenschaft wenig. Dafür spielte es auch eine Rolle, dass ein großer Teil der Medien sowie zahlreiche Unterschriftenaktionen von Intellektuellen, Journalisten und Professoren, unter denen etliche CDU-nah waren, Aktionen gegen die Bedrohung der Pressefreiheit organisiert hatten. Aufschlussreich ist, wie sehr Perzeption und tatsächlicher Wortlaut der Strauß-Reden auseinanderklafften. Die sog. Spiegel-Affäre ging als siegreicher Kampf für die vermeintlich 1962 bedrohte Pressefreiheit ins bundesrepublikanische Geschichtsbild ein.