Rhöndorfer Ausgabe Online

24. Mai 1946

An Jakob Kaiser

, Berlin-Wilmersdorf

StBKAH 08.56, mit hs. von Adenauer korrigiertem Entwurf vom 14.5.1946 auf Kopfbogen des CDU-Zonenausschusses, ohne Ortsangabe beim Datum, nach Diktatzeichen »A/S« im Zonensekretariat Köln ausgefertigt, Abschriften (mit Begleitschreiben vom 31.5.1946) an Minister Josef Andree, Stuttgart; Minister Dr. Werner Hilpert, Frankfurt/Main; stellvertr. Ministerpräsident Heinrich Köhler, Karlsruhe; Dr. Josef Müller, München


Sehr geehrter Herr Kaiser!

Ihre Briefe vom 1. und 5. Mai 1946 habe ich gelegentlich einer Tagung in Düsseldorf erhalten1. Ich nehme an, daß eine Anzahl von Herren sowohl aus der britischen wie aus der amerikanischen Zone Ihrer Einladung Folge leisten wird. Was von hier aus möglich war zur schnellen Erledigung der Vorbedingungen der Abreise, ist geschehen.

Ich darf dann auf Ihren Brief vom 5. d. Mts. etwas ausführlicher eingehen. Es ist mir nicht verständlich, warum Sie erstaunt waren, in meinem Schreiben eine Wiederholung meiner negativen Stellungnahme gegen Berlin zu finden2. Ich stimmte bei der Aussprache mit Ihnen darin überein, daß im Augenblick nicht der Zeitpunkt gegeben ist, über die Frage der künftigen Reichshauptstadt in der Öffentlichkeit zu diskutieren. Das schließt aber selbstverständlich nicht aus, daß man sich im engen Kreise mit der Frage der zukünftigen Reichshauptstadt weiter beschäftigt. Ich glaube, ich habe Ihnen in unserer Aussprache keinen Zweifel darüber gelassen, daß m. E. dafür unter keinen Umständen Berlin, gleichgültig ob besetzt oder nicht besetzt, in Frage kommt3. Ich weiß mich darin mit ›der weitaus größten Zahl der Rheinländer und mit‹4 den süddeutschen maßgebenden Herren der CDU völlig einig. Ich glaube, es war richtig und in Ihrem Interesse, wenn ich in meinem Schreiben darauf einging. Ich glaube nicht, daß es sonst möglich gewesen wäre, die Bedenken, die gegen eine Beschickung Ihres Parteitages in Süddeutschland mit großer Entschiedenheit ausgesprochen worden sind, zu zerstreuen. Ich darf aber bei dieser Gelegenheit Ihre Aufmerksamkeit richten auf einen Artikel »Berlin? – Berlin!« in Nr.102 der »Neue Zeit« vom 3. Mai 1946. Ich bin der Auffassung, daß ein derartiger Artikel wenig angebracht ist, und zwar sowohl gegenüber dem Inland wie gegenüber dem Ausland, und daß er bestimmt wieder dazu beitragen wird, auch gewisse Ressentiments gegenüber der CDU in Berlin neu zu beleben.

Lassen Sie mich ein Wort noch hinzufügen zu Ihren Bemerkungen über meine Ausführungen in dem Schreiben an die süddeutschen Herren, die sich auf einige Äußerungen von Ihnen und anderen Stellen der CDU Berlin beziehen. Im allgemeinen glaube ich, daß es wohl für jeden von uns unter Umständen durchaus richtig und angebracht ist, seine Überzeugung zu »rechtfertigen«; in einer Rechtfertigung erblicke ich nichts, was dem Ansehen desjenigen, der sich rechtfertigt, abträglich sein könnte. Ich erinnere mich genau aus unserem Gespräch, daß zuerst Herr Geheimrat Katzenberger und dann Sie das Wort von der Synthese des Ostens und des Westens als unrichtig bezeichneten, und ich weiß ebenso genau, daß Sie, und ich glaube auch Herr Geheimrat Katzenberger, erklärt haben, daß man, wenn man Ausführungen der CDU Berlin oder der russischen Zone lese, immer sich vor Augen halten müsse, unter welchen Einflüssen5 man dort stehe. Ich darf Sie daran erinnern, daß Sie noch davon gesprochen haben, daß die Reise in die nicht von Russen besetzten Zonen für Sie außerordentlich aufschlußreich und belehrend gewesen sei.

Ich bitte Sie mir zu glauben, sehr geehrter Herr Kaiser, daß sowohl im Westen wie im Süden gegen Berlin und auch teilweise gegen die Richtung der CDU in Berlin erhebliche Bedenken bestehen. Die durchaus verständliche Begeisterung, mit der Ihre Person hier in weiten Kreisen aufgenommen worden ist, darf darüber nicht hinwegtäuschen. Ich glaube, Sie werden aus unserer langen Besprechung den Eindruck gewonnen haben, daß ich mich sehr bemühe, keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen und Einigkeit unter den verschiedenen Zonenparteien in vollem Maße herzustellen. Ich bitte Sie, auch diesen Brief unter dem Gesichtspunkt betrachten zu wollen. Ich denke, Sie werden damit einverstanden sein, daß ich Abschrift Ihres Briefes an mich vom 5. Mai und Abschrift meiner Antwort den Herren, an die mein damaliges Schreiben gerichtet war, übersende.

So sehr ich die Bedeutung Ihrer Tagung anerkenne, so glaube ich doch nicht in der Lage zu sein, mich hierfür eine Reihe von Tagen äußerst wichtigen Aufgaben entziehen zu dürfen. Im übrigen geht der Umfang Ihrer Einladungen zu der Berliner Tagung weit über das Maß hinaus, was wir gelegentlich unserer letzten Unterredung besprochen hatten6. Damals sprachen Sie davon, daß aus jeder Zone etwa neun Gäste erscheinen sollten; hoffentlich erwachsen keine technischen Schwierigkeiten aus der großen Zahl der nunmehr Eingeladenen.

Ich wünsche einen guten Verlauf und bin mit vielen Grüßen für Sie und in der Hoffnung, daß die Ihrigen sich in Berlin gut eingelebt haben,
Ihr ergebener
(Adenauer)


  1. ^

    Das erste Schreiben konnte nicht nachgewiesen werden, das zweite (Kaisers – durch Otto Lenz überbrachte – Reaktion auf das Adenauer-Schreiben an die Teilnehmer des Stuttgarter CDU/CSU-Treffens vom 8.4.1946) ist im Original und mehreren Abschriften in einem eigens für diesen Vorgang in Rhöndorf angelegten Schnellhefter in StBKAH 08.56 erhalten; Teildruck: Werner Conze, Jakob Kaiser, S. 90f.; hier auch ausführliche Angaben zur Antwort Adenauers.

  2. ^

    Es habe, so Kaiser, Erstaunen hervorgerufen, dass Adenauer erneut »die Frage der künftigen Reichshauptstadt« und damit der Stellung Berlins aufgeworfen habe: »Unseres Erachtens kommt heute nur die eine Haltung in Frage, daß man sich in letzter Kraft für die Gebiete und Städte einsetzt, die nun einmal im Brennpunkt der Sorge und der politischen Auseinandersetzung stehen.«

  3. ^

    Zur Bewertung und Einordnung dieser Aussage vgl. Johann B. Gradl, Adenauer und Berlin, S. 340. Gradl (in Anlehnung an Rudolf Morsey, der »auf Adenauers bekannte Distanz zu Berlin und zu Preußen verweist«; Vom Kommunalpolitiker, S. 14): »Nicht Berlin an sich ist für Adenauer das Problem, sondern Berlin in bestimmten Zusammenhängen, Funktionen und Zeitlagen. Seine ›Distanz‹ bezieht sich auf bestimmte Kräfte und Gruppen, Denkweisen und Einstellungen, Handlungen und Wirkungen, die jedenfalls nach Adenauers Meinung in Berlin ihr Zentrum und von dorther ihre Effektivität hatten.« Hierzu vgl. die eigenen Aussagen Adenauers in den Schreiben an Karl Scharnagl vom 7.2.1946, an die Teilnehmer eines bizonalen CDU/CSU-Treffens vom 8.4.1946, in der Aktennotiz über ein bizonales CDU/CSU-Treffen vom 6.4.1946 sowie in den Schreiben an Heinrich Vockel vom 6.12.1946 und Hans Schmitt vom 22.12.1946.

  4. ^

    ‹ › hs. von Adenauer in den Entwurf eingefügt.

  5. ^

    Mit dieser Unterstreichung beharrt Adenauer auf seiner Version des Kaiser-Katzenberger-Gesprächs vom 8.4.1946 (»…daß sie in Berlin unter ganz anderen Einflüssen arbeiten müßten…«), an der Kaiser Anstoß genommen hatte: »Ich sprach aber von Einsichten, die uns in der Ostzone vielleicht drastischer aufgehen als in den anderen Zonen«; zu dieser »Wortverwechslung« vgl. Werner Conze, Jakob Kaiser, S.91.

  6. ^

    Nähere Hinweise auf die Bemühungen Kaisers, »Freunde und angesehene CDU-Politiker aus West- und Süddeutschland zur Reise nach Berlin zu bewegen.«, bei Werner Conze, Jakob Kaiser, S. 89f., 92 und Johann B. Gradl, Anfang, S. 65.