Rhöndorfer Ausgabe Online

8. Juni 1946 (Rhöndorf)

An Pater Dr. Hubert Becher

, Bad Godesberg

StBKAH 07.01


Sehr geehrter Herr Pater!

Ihren Brief vom 4. d. Mts. habe ich erhalten1. Ich danke Ihnen aufrichtig für Ihre guten Wünsche zum Pfingstfest. Ich bitte Sie, versichert zu sein, daß auch ich Ihnen und Ihren Mitpatres reichsten Segen bei Ihrer so wertvollen Arbeit wünsche.

Die deutsche Presse ist z. Zt. recht unbefriedigend. Das gilt ganz allgemein. Vielleicht ist noch am besten die süddeutsche Presse. Wir haben keine Journalisten mehr. Ich bin Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich auf geeignete Leute aufmerksam machen. Ihre Beanstandungen der »Kölnischen Rundschau« sind durchaus richtig. Sie stehen damit nicht alleine da. Mit der Düsseldorfer CDU-Zeitung ist es aber noch schlimmer. Die wenigen noch vorhandenen Journalisten sind zu ängstlich, aus sich herauszugehen.

Die Angelegenheit betr. die falsche Wiedergabe des Schreibens des Bischofs von Hildesheim ist nicht so schlimm, wie sie aussieht2. Es hat dies eine von mir veranlaßte Untersuchung ergeben. Es war eine sehr nachgeordnete Stelle, die den Fehler, und zwar anscheinend wirklich aus Dummheit, gemacht hat. Ich habe deswegen den Bischof von Hildesheim um Entschuldigung gebeten.

Nicht recht einverstanden bin ich mit Ihren Ausführungen wegen des Zentrums. Die Angriffe sind ganz zweifellos zuerst von der Zentrumsseite ausgegangen, und zwar Angriffe schärfster persönlicher Art. Das geht sogar so weit, daß in einer öffentlichen Versammlung in Hildesheim behauptet worden ist, ich sei seit Jahren von meiner Frau geschieden! – Im übrigen herrscht beim Zentrum ein wildes Durcheinander. Herr Spiecker ist für Entchristlichung, Herr Hamacher für das Gegenteil. Dabei behaupten sie beide, dasselbe zu wollen!

Ich habe im Laufe des Winters mehrere vielstündige Besprechungen mit Herrn Hamacher wegen Herbeiführung einer Einigung gehabt3. Ich hielt eine Einigung für möglich, bis Herr Spiecker auf den Plan trat. Herr Spiecker beabsichtigt nichts anderes, als eine Sprengung der CDU und Gründung einer neuen Partei aus linksgerichteten Teilen der CDU und rechtsgerichteten Teilen der SPD. Er hat sich des Zentrums m. E. nur bemächtigt, weil dessen Führung ihm die Möglichkeit, eine einflußreiche Stellung zu bekommen, bot. Ich bedauere diese Verhältnisse außerordentlich, und ich bedauere sehr, daß gerade gewisse Teile des katholischen Klerus in einer fast fanatisch zu nennenden Weise an dem neuen Zentrum festhalten. Das geht sogar in M.-Gladbach, wie mir absolut glaubhaft versichert ist, so weit, daß in Predigten gegen die CDU gesprochen wird und daß während der Sonntagsmesse in der Kirche in den Bänken Flugblätter des Zentrums verteilt werden!

Für jeden Einsichtigen muß es doch klar sein, daß es entscheidend ist für die Zukunft, ob in dem großen weltanschaulichen Kampf, der sich in Deutschland abspielt, zwischen den Marxisten der verschiedenen Schattierungen auf der einen Seite und den auf dem Boden des Christentums Stehenden auf der anderen Seite, die Letzteren die Oberhand gewinnen. Wenn aber so die Sache liegt, so ist jede Zersplitterung auf der christlichen Seite eine innere Schwächung. Man kann auch nicht sagen, getrennt marschieren und vereint schlagen. Das gibt nur Verwirrung und unnötigen Kräfteverbrauch.

Ich persönlich, und ich glaube das auch für meine ganze Partei verbürgen zu können, stehe auf dem Standpunkt, wenn Herr Hamacher und diejenigen seiner Freunde, die ehrlich sind, zu uns kommen würden, wir sie jederzeit gerne und freudig aufnehmen würden. Aber ob das jemals möglich sein wird, ist mir sehr zweifelhaft.

Seien Sie herzlich gegrüßt von meiner Frau und mir
Ihr
(Adenauer)


  1. ^

    Dieses Schreiben konnte nicht nachgewiesen werden.

  2. ^

    Korrespondenz Adenauers mit Joseph Godehard Machens (1886-1956; Prof. Dr. theol., ab 1934 Bischof von Hildesheim, erhielt kurz vor seinem Tode den persönlichen Titel des Erzbischofs) ist in StBKAH nicht erhalten. Mit dem hier angesprochenen Vorgang dürfte die Verbreitung einer Stellungnahme des Bischofs zugunsten der CDU durch einen vertraulichen Mitteilungsbrief der Union vom März 1946 gemeint sein; vgl. Burkhard van Schewick, Die katholische Kirche, S. 28. – Eine weitere Äußerung Machens' zur Parteienfrage (Warnung vor politischer Spaltung des katholischen Bevölkerungsteils) war am 21.5.1946 von der Tageszeitung ›Die Welt‹ verbreitet worden.

  3. ^

    Zum nachfolgenden vgl. die Aktennotiz über die Besprechung mit Carl Spiecker vom 15.3.1946 und die Aktennotiz über eine Besprechung mit Robert Grosche vom 13.4.1946.