Rhöndorfer Ausgabe Online
An Fritz Graf Westerholt
, Arenfels bei Hönningen/RheinStBKAH 08.53
Sehr geehrter Herr Graf!
Ihren Brief vom 4.3.46 nebst Anlagen habe ich erhalten1. Ich würde Sie sehr gerne aufsuchen, aber ich bin für jetzt und die nächste Zeit wegen meiner ungewöhnlich starken Beanspruchung als Vorsitzender der CDU für die Nordrheinprovinz, Mitglied des Zonenbeirats in Hamburg usw. nicht in der Lage, Ihrer freundlichen Aufforderung, nach dort zu kommen, Folge zu leisten. Ich bin nur noch sehr selten in Rhöndorf. Ich möchte aber sofort auf einige Punkte Ihres Briefes und der Anlagen antworten:
1.) Ich kenne genau die Notlage der Landwirtschaft und unserer Ernährung. Auch die maßgebenden Leute des Brit. Kontrollrats sind sich – wie sie mir erklärt haben – darüber klar, daß die Landwirtschaft in Deutschland höchstens 40 Millionen ernähren kann, daß Nahrung, Kleidung usw. im übrigen durch Export und Import beschafft werden müssen.
2.) Stadtrandsiedlungen werden im Jahre 1946 – dem schlimmsten Jahre überhaupt – noch nicht angelegt werden können. Wahrscheinlich auch noch nicht 1947. Ihre Anlage muß aber bei der Planung ins Auge gefaßt werden.
3.) Von Bodenreform habe ich in maßgebenden Kreisen der CDU das eine nur gehört, daß oberster Grundsatz sei, den Ertrag nicht zu mindern und daß ferner die Verhältnisse in der Brit. Zone so lägen, daß eine Bodenreform von nennenswertem Umfang überhaupt nicht in Frage komme. Das ist sowohl in unserem Parteiprogramm als auch in einer programmatischen Rundfunkrede, die ich dieser Tage halten mußte, klar ausgesprochen. Ich verstehe daher nicht, wie Ihr Schwiegersohn zu seinen Ausführungen über diesen Punkt kommt.
4.) Ich habe auch noch nichts davon gehört, daß ein Programmpunkt der CDU sei die Abgabe von Grund und Boden an aus dem Osten vertriebene Deutsche. Es ist mir vollständig neu, und ich verstehe nicht, wie derartiges behauptet werden kann.
5.) Die psychologische Situation weitester Kreise sollte von all denen, die ihren Besitz erhalten haben, richtig eingeschätzt werden. Ich habe gehört, daß unter rheinischen Großgrundbesitzern Bestrebungen im Gange sind, dort, wo das möglich ist, wenn der Ertrag nicht dadurch vermindert wird, freiwillig Grund und Boden – natürlich gegen Entschädigung – herzugeben, und zwar an geeignete Leute. Ich halte das für christlich, sozial und klug. Inwiefern darin ein Zeichen von Schwäche liegen soll, ist mir ganz unverständlich.
6.) Wenn Sie schreiben, gestützt auf den Artikel der Times, daß die Wahlredner eine ganz neue Platte auf ihr Grammophon legen müßten, nämlich, daß der Zwergbesitz zusammenzulegen sei, so halte ich das für einen äußerst gefährlichen Ausspruch. Diejenigen Leute, die sich jetzt als Wahlredner vor einem Volk hingeben, das in schwerster seelischer und materieller Not ist, und diesem Volke christliche Grundsätze darzulegen versuchen, verdienen – auch wenn man nicht mit jedem Wort, das sie sprechen, einverstanden ist – höchste Anerkennung. Bitte stellen Sie sich doch vor, was werden würde, wenn man »nur Wahlredner der SPD und KPD« Platten auf ihre Grammophone legen ließe.
Bitte, nehmen Sie mir ein offenes Wort nicht übel. Ich weiß, daß bei den Männern und Frauen, die sich mit Politik beschäftigen, vielfach oder manchmal Ehrgeiz und Eitelkeit mitsprechen. Aber ich kenne eine große Zahl von Männern und Frauen, die als Deutsche und als Christen es als eine heilige Pflicht ansehen, sich mit Politik zu befassen und zu retten, was noch zu retten ist. Darüber, daß dabei keine Lorbeeren zu ernten sind, sind sich alle klar.
Ich bitte Sie, mir diese Ausführungen zu gestatten, weil ich sowohl aus Ihrem Brief wie aus den Anlagen eine Einstellung und Wertschätzung von Politikern und Politikerinnen zu erkennen glaube, die ich für nicht richtig und für in höchstem Maße gefährlich halte.
Mit den besten Empfehlungen
Ihr sehr ergebener
Diese Anlagen sind in StBKAH nicht erhalten.
Zum nachfolgenden vgl. das Schreiben an Fritz Graf Westerholt vom 25.2.1946 und den seit der ersten Kontaktaufnahme mit Westerholt zu dem hier erörterten Themenkomplex gefassten grundsätzlichen Neheim-Hüstener Beschluss (bei Helmuth Pütz [Bearb.], Konrad Adenauer, S. 125), die entsprechenden Forderungen des CDU-Programms (II. Wirtschaftlicher Wiederaufbau, Punkt 5-7; ebd., S. 134) und Adenauers in der NWDR-Rede vom 6.3.1946 (Vgl. Anmerkung 2 im Schreiben an Friedrich Holzapfel vom 8.2.1946) erteilte Absage an »den Ertrag gefährdende bodenreformerische Experimente. Die Bodenverteilung in der britischen Zone ist auch, abgesehen von einigen der Korrektur bedürfenden Fallen, nicht so, daß hierzu Veranlassung bestünde«; vgl. hierzu Günter J. Trittel, Bodenreform, S. 39.