Holger Löttel
Bekannt ist Konrad Adenauer, Kölner Oberbürgermeister von 1917 bis 1933 und Bundeskanzler von 1949 bis 1963, vor allem als Kommunal- und Bundespolitiker. Zwischen 1946 und 1949 spielte er aber auch in der nordrhein-westfälischen Landespolitik eine bedeutende Rolle. Während dieser Jahre wurde in Düsseldorf bereits um Fragen gerungen, welche später die Innen-, Wirtschafts- und Parteipolitik der jungen Bundesrepublik prägen sollten.
Die Gründung des Landes Nordrhein-Westfalens wurde Konrad Adenauer angekündigt. Am 28. April 1946 erhielt er in Rhöndorf Besuch von einem ihm bekannten Vertreter der britischen Kontrollkommission, Oberstleutnant Noel G. Annan, der ihn in die Überlegungen einweihte, die preußische Provinz Westfalen mit dem nördlichen Teil der Rheinprovinz zusammenzuschließen. Auf die Frage, ob man aus diesem Territorium besser ein Land oder zwei Länder bilden solle, antwortete Adenauer im Sinne der „erste[n] Alternative“. Als er gemeinsam mit anderen deutschen Politikern am 15. Juli nach Berlin zitiert wurde, um die Entscheidung der Militärregierung zur Kenntnis zu nehmen, dürfte er – im Gegensatz zur späteren Darstellung in den „Erinnerungen“ – kaum „völlig überrasch[t]“ gewesen sein.
Anders als gemeinhin angenommen, war die Proklamation Nordrhein-Westfalens am 23. August 1946 kein Alleingang der britischen Besatzungsmacht, sondern zumindest mit solchen deutschen Politikern abgestimmt, die sich hierfür empfänglich zeigten. So hatte Adenauer schon als Kölner Oberbürgermeister verschiedentlich für einen westdeutschen Bundesstaat außerhalb Preußens geworben, um die krisengeschüttelte Republik zu stabilisieren. Aus seiner Sicht lagen die außen- und innenpolitischen Vorzüge dieses Plans weiterhin auf der Hand: Ein industrieller Flächenstaat an Rhein und Ruhr konnte, indem er grenzübergreifende Wirtschaftskooperation mit den Nachbarländern betrieb, einen wirksamen Beitrag für dauerhaften Frieden in Europa leisten. Starke Bundesländer passten auch zu Adenauers föderalistischen Grundprinzipien, zumal die Einhegung der Arbeiterhochburgen an der Ruhr durch das ländlich geprägte Umland Positionsgewinne für die Konservativen versprach. Noch im April 1948, inzwischen war die CDU tatsächlich stärkste Kraft im Land, dachte er über eine Eingliederung der Bezirke Koblenz-Trier und Montabaur nach. Hierzu ist es bekanntlich nicht gekommen, und so blieb Adenauer in Rhöndorf am südlichsten Zipfel Nordrhein-Westfalens beheimatet.
Für Adenauer bot Nordrhein-Westfalen ab 1946 also eine naheliegende politische Bühne. In die Landesregierung zog es ihn freilich nicht. Nach dem Intermezzo als wiederberufener Oberbürgermeister von Köln (Mai bis Oktober 1945) hatte er ausschließlich Parteiämter übernommen – den Vorsitz der CDU in der britischen Zone (22. Januar bzw. 1. März 1946) und ihres rheinischen Landesverbands (5. Februar 1946). Als einer der führenden Christdemokraten wurde Adenauer daraufhin in den Ernannten Landtag berufen, der sich am 2. Oktober 1946 im Düsseldorfer Opernhaus konstituierte. Unmittelbar vor der ersten Plenarsitzung tagte auch die CDU-Gesamtfraktion, bestehend aus 36 Vertretern Nordrheins und 30 Westfalens, und wählte ihn zu ihrem ersten Vorsitzenden. Ablauf und genaues Ergebnis der Wahl sind wegen einer Überlieferungslücke im Bestand der frühen Fraktionsprotokolle nicht rekonstruierbar.
Von seinem persönlich-politischen Temperament her war Adenauer sicherlich eher ein Mann der Exekutive. Der langjährige Präsident des Preußischen Staatsrats, der dort in Personalunion die Zentrumsfraktion geführt hatte, besaß er aber durchaus auch parlamentarische Erfahrung. Mit der Übernahme des Fraktionsvorsitzes hatte er sich jedenfalls als eine maßgebliche Figur der nordrhein-westfälischen Landespolitik etabliert. Obwohl er ab September 1948 durch die Verfassungsberatungen des Parlamentarischen Rats in Bonn stark gebunden war und an keiner einzigen Fraktionssitzung mehr teilnahm, legte er das Amt erst am 2. September 1949 nieder, kurz vor dem Antritt der Kanzlerschaft. Sein Landtagsmandat, errungen bei der ersten freien Wahl am 20. April 1947 für den Wahlkreis 22 (Siegkreis Süd), behielt er sogar bis zum Ende der ersten Legislaturperiode im Juni 1950.
Letztlich war Düsseldorf nur einer der politischen Schauplätze, auf denen sich Adenauer in der Nachkriegszeit tummelte. Er legte hier auch nicht die engmaschige Aufsicht und penible Autorität an den Tag, die ihn ansonsten auszeichneten. Geschuldet war das nicht zuletzt der zersplitterten Binnenstruktur der Fraktion. Regelmäßig erreichten den Vorsitzenden Beschwerden über die Bildung von Informations- und Entscheidungsmonopolen kleinerer Kreise. Weder der Koordinierungsausschuss noch das mangelhaft ausgestattete Fraktionsbüro konnten hier Abhilfe schaffen. Innerfraktionelle Zirkel arbeiteten auch weiterhin einzelne Aufgaben und Eingaben ab, ohne sich mit der Gesamtfraktion rückzukoppeln. Dennoch – oder gerade deshalb – bewältigten die Abgeordneten der Fraktion in der ersten Wahlperiode ein hohes Sachpensum.
Adenauer pflegte bei alldem zwar einen eher lockeren Führungsstil, ließ sich aber laufend informieren und griff bisweilen – vor allem in personalpolitischen Angelegenheiten – beherzt ein. Auf eine Systematisierung der Fraktionsabläufe hat er wohl bewusst verzichtet. Stattdessen erteilte er je nach Bedarf Aufträge und delegierte Befugnisse. Damit wahrte er eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber der Gesamtfraktion, die recht heterogen zusammengesetzt war und sowohl wirtschaftsnahe Abgeordnete als auch Vertreter des Arbeitnehmerflügels umfasste. Seine eigenen politischen Interessen verlor er darüber freilich nie aus dem Blick.
Der nordrhein-westfälische Landtag war ein Arbeitsparlament. In seiner ersten Wahlperiode verabschiedete er 92 Gesetze, von denen nur sechs keine Genehmigung der britischen Besatzungsmacht erhielten. Sie galten überwiegend dem Wiederaufbau des zerstörten Landes und seiner Arbeitsmarktbelebung, der Bekämpfung der Wohnungsnot und der Flüchtlingsunterbringung. Diese praktische Gesetzgebungsarbeit wurde allerdings überschattet von den weltanschaulich geführten Debatten um die Sozialisierung der Großindustrie, die Bodenreform und den schulpolitischen Teil der Landesverfassung. Auf diesen Feldern suchte und fand Adenauer die Gelegenheit zur Schärfung des christdemokratisch-konservativen Profils nicht nur gegenüber den anderen Parteien im Landtag, sondern auch gegenüber der Landesregierung, deren Personal und politische Programmatik ihm gleichermaßen missfielen.
Dem ersten Mehrparteienkabinett unter Führung des parteilosen Ministerpräsidenten Rudolf Amelunxen war die CDU im August 1946 noch demonstrativ ferngeblieben. Im Anschluss an die Kommunalwahlen im Oktober hatten die Briten die Zusammensetzung des Ernannten Landtags angepasst und die Zahl der CDU-Mandate auf 92 erhöht, womit sie nicht zuletzt der Kritik Adenauers an der parteipolitisch unausgewogenen Zusammensetzung des Parlaments Tribut zollten. Nun, da die Christdemokraten zur stärksten Fraktion angewachsen waren (gefolgt von der SPD mit 66 Mandaten), mussten sie sich aber auch zwingend an der Landesregierung beteiligen.
Stellvertretender Ministerpräsident wurde mit dem Düsseldorfer Oberbürgermeister Karl Arnold ein prominenter Vertreter des christlich-sozialen Flügels. Adenauer und Arnold begegneten sich durchaus mit Respekt und vermieden zunächst den offenen Konflikt. Dies allerdings änderte sich nach der ersten Landtagswahl am 20. April 1947, in der die CDU mit 37,5 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen den ersten Platz erzielte (die Fraktion belief sich – wie bisher – auf 92 Mandate, gefolgt von der SPD mit 64). Gegen den erbitterten Widerstand des Fraktionsvorsitzenden bildete Arnold eine Koalition aus CDU, SPD, Zentrum und KPD (also ohne die FDP). Die sozialdemokratischen Minister Walter Menzel (Inneres) und Erik Nölting (Wirtschaft) ordnete Adenauer ohnehin in das Lager der parteipolitischen Widersacher ein. Aber auch die CDU-Vertreter im Kabinett Arnold fielen größtenteils in Ungnade: Landwirtschaftsminister Heinrich Lübke, der sich im Streit um die Bodenreform einen Ruf als „roter Lübke“ erwarb, erntete mit seinem Entwurf eines Siedlungsgesetzes harsche Kritik. Bei der Berufung der Kultusministerin Christine Teusch hatte sich die CDU-Fraktion sogar ausdrücklich über den Willen ihres Vorsitzenden hinweggesetzt. Als Verbündeter Adenauers galt einzig Finanzminister Heinrich Weitz.
Auf offener politischer Bühne manifestierte sich die Frontstellung gegen die Landesregierung vor allem im Ringen um die Sozialisierung der Schwerindustrie und – dahinter stehend – die künftige Wirtschaftsordnung als solcher. Mit dem Ahlener Programm vom 3. Februar 1947, das eine Entflechtung der Großkonzerne, die Vergesellschaftung der Bergwerke und Mitbestimmung der Arbeitnehmer proklamierte, hatte Adenauer den linken Flügel der CDU in der britischen Zone eingebunden. Zugleich war eine plausible Antwort auf die populären Sozialisierungsideen gefunden, mit denen Teile der Landtagsfraktion durchaus sympathisierten.
Vor diesem Hintergrund ließ Adenauer die CDU-Fraktion gebündelte Anträge zur Neuordnung der Großwirtschaft an Rhein und Ruhr vorlegen, die sich am gemeinwirtschaftlichen Prinzip (nicht am Sozialisierungsgedanken) orientierten. Damit entsprachen sie jenem Credo, das er selbst in einer Grundsatzrede an der Kölner Universität im März 1946 wie folgt formuliert hatte: „Die Wirtschaft soll dem Menschen dienen, nicht der Mensch der Wirtschaft.“
Gekonnt hatte Adenauer damit die divergierenden Standpunkte zwischen liberalen und sozialistischen Positionen innerhalb der Fraktion zusammengeführt. Tatsächlich lehnte die CDU – gemeinsam mit der FDP – die weiterreichenden Sozialisierungsanträge von SPD und KPD am 5. März 1947 ab. Dass die Landesregierung entsprechende Pläne weiterverfolgte, vermochte er zwar nicht zu verhindern. Das im August 1948 vorgelegte Sozialisierungsgesetz wurde von der Militärregierung jedoch abgewiesen. Zu dieser Zeit lenkte Adenauer die CDU in der britischen Zone schon auf den marktwirtschaftlichen Kurs des Frankfurter Wirtschaftsdirektors Ludwig Erhard, der sich schließlich in den Düsseldorfer Leitsätzen vom 15. Juli 1949 niederschlagen sollte.
Machtpolitisch betrachtet, drehten sich die jahrelangen Auseinandersetzungen zwischen Adenauer und Arnold in erster Linie um die Koalitionsfrage. Adenauer war ein geschworener Gegner der Allparteienkabinette und Großen Koalitionen. Zu seiner Genugtuung schieden im Frühjahr 1948 immerhin die beiden KPD-Minister aus der Landesregierung aus. Eine Trennung von CDU und SPD konnte Adenauer bis zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland aber nicht durchsetzen. Ganz im Gegenteil: Sein favorisiertes Modell, ein Bündnis mit der FDP, wurde im Herbst 1949 weder in Düsseldorf noch in einer anderen Landeshauptstadt praktiziert.
Dabei hatte er die Liberalen, nachdem Fusionsgespräche zwischen CDU und FDP Ende 1946 gescheitert waren, schon frühzeitig als natürlichen Koalitionspartner identifiziert. Als Fraktionsvorsitzender bemühte sich Adenauer um ein gutes Verhältnis zu Franz Blücher, dem Vorsitzenden der FDP in der britischen Zone und Finanzminister unter Amelunxen. Dass Blücher nach der Regierungsbildung 1947 aus dem Kabinett ausschied, war ein empfindlicher Rückschlag für Adenauer. Zwar setzte er die Koalition mit FDP und DP auf Bundesebene im Herbst 1949 mit viel Geschick durch. Zum Zeitpunkt der Landtagswahl 1950 war Adenauer als Bundeskanzler aber politisch noch zu schwach, um Arnold zu einer Koalition mit der FDP zu zwingen. Stattdessen schmiedete der Ministerpräsident eine „Kleinstkoalition“ mit dem Zentrum, die sich als erstaunlich stabil erweisen sollte. So schied die SPD zwar aus der Regierung aus, die FDP kam aber auch nicht hinein. Erst 1954, nach dem triumphalen Erfolg Adenauers bei der zweiten Bundestagswahl, musste Arnold die Bildung einer Regierung mit den Liberalen wohl oder übel akzeptieren.
Adenauers Genugtuung über die Durchsetzung des Bonner Koalitionsmodells in Düsseldorf währte freilich nicht lange. Ausgerechnet in der FDP brach sich nämlich der Unmut über die erdrückende Dominanz der Christdemokraten Bahn. Nach neunjähriger Amtszeit wurde Arnold im Februar 1956 durch ein konstruktives Misstrauensvotum von SPD, FDP und Zentrum gestürzt. Die daraufhin gebildete sozialliberale Koalition unter Fritz Steinhoff war für Adenauer im höchsten Maße alarmierend, zumal kurz darauf auch die seit längerem kriselnde Koalition mit der FDP im Bund zerbrach. Seine diesbezüglichen Sorgen erwiesen sich allerdings als unbegründet. Im Windschatten ihres Triumphes bei der dritten Bundestagswahl erzielte die CDU 1958 auch in Nordrhein-Westfalen eine absolute Mehrheit; mit Franz Meyers, der ab 1962 wieder mit der FDP regierte, stellte sie den Ministerpräsidenten für zwei volle Legislaturperioden.
Im Verlauf der 1960er Jahre zeichnete sich an Rhein und Ruhr jedoch ein politischer Epochenwechsel ab. Die Krise der Kohlenwirtschaft, also das vermehrte Zechensterben und die soziale Misere im Revier, wurde in erster Linie den regierenden Christdemokraten in Bonn und Düsseldorf angelastet. Bei der Landtagswahl im Juli 1966 errang die SPD einen Erdrutschsieg. Obwohl Meyers zunächst noch einmal die Bestätigung als Regierungschef erhielt, war sein Niedergang nicht mehr aufzuhalten. Schließlich trennte sich die FDP Anfang Dezember von der CDU und verhalf dem Sozialdemokrat Heinz Kühn an die Macht. Dieses sozialliberale Bündnis nahm den „Machtwechsel“ (Arnulf Baring) im Bund um knapp drei Jahre vorweg und sollte den Ruf Nordrhein-Westfalens als Herzkammer der SPD begründen.
Anfang Oktober 1966, inmitten der politischen Hängepartie zwischen Meyers und Kühn, hielt der Düsseldorfer Landtag einen Festakt zum Anlass seines zwanzigjährigen Bestehens ab. Adenauer, der in Cadenabbia verweilte, nahm nicht teil, sandte aber ein Grußwort: „Der Bevölkerung des Landes Nordrhein-Westfalens, das nach seiner Größe, der Zahl der Bewohner, seiner Wirtschaftskraft und seiner politischen Bedeutung einen so herausragenden Platz in der Bundesrepublik einnimmt, gelten meine besten Wünsche für die Überwindung der Schwierigkeiten und für eine glückliche Zukunft.“
Adenauers politischer Wiederaufstieg begann im Rheinland, wo er den Aufbau der CDU mit prägte. Als Präsident des Parlamentarischen Rats arbeitete er an der Ausarbeitung des Grundgesetzes mit.
Konrad Adenauers Biographie wurde durch seine rheinisch-preußische Prägung bestimmt. Sein Verhältnis zum preußischen Staat war ambivalent. Erst in der historischen Rückschau nach 1945 fiel Adenauers Urteil über Preußen durchweg kritisch aus.
Als Präsident des Parlamentarischen Rats und als erster Bundeskanzler nimmt Adenauer maßgeblichen Einfluss auf die Gründung der Bundesrepublik Deutschland.