Parlamentarischer Rat 1948/49

Adenauer wurde am 1. September 1948 zum Präsidenten des Parlamentarischen Rats gewählt. Dessen Aufgabe war es, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland auszuarbeiten. Nach Abschluss der Arbeiten genehmigten die alliierten Militärgouverneure der drei Westmächte den Text. Am 23. Mai 1949 verkündete Adenauer das Grundgesetz, das daraufhin in Kraft trat.

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Wahl zum Präsidenten

Bei der Wahl zum Präsidium des Parlamentarischen Rats am 1. September 1948 wurde Adenauer durch Akklamation einstimmig zum Präsidenten gewählt, bei Enthaltung der beiden KPD-Vertreter. Er war mit 72 Jahren der zweitälteste der 65 Delegierten und das bekannteste Mitglied der Weimarer Politikergeneration. Angesichts seiner früheren Tätigkeit als Oberbürgermeister von Köln und und als Präsident des Preußischen Staatsrats besaß Adenauer Erfahrung in der Leitung parlamentarischer Gremien. Seiner Wahl stimmte auch die SPD-Fraktion zu, deren Vorsitzender, Carlo Schmid, dafür den Vorsitz im Hauptausschuss erhielt. Die Sozialdemokraten glaubten, Adenauer auf dem "Ehrenplatz" des Präsidenten kaltgestellt zu haben - was Schmid später als "entscheidenden Fehler" bezeichnete. Demgegenüber wollten die CDU- und CSU-Delegierten ihrem Senior mit dem Amt des Präsidenten einen "ehrenvollen Abschied" aus dem politischen Leben verschaffen, ihn aber gleichzeitig auch von der Detailarbeit am Grundgesetz fernhalten.

Doppelte Freiheit

grün, weißer Ausweis
Ausweis als Mitglied des Parlamentarischer Rats, 1. September 1948.

Adenauer unterstrich in seiner Eröffnungsrede die doppelte Freiheit des Rats: gegenüber den Besatzungsmächten ("im Rahmen der ihm gestellten Aufgabe") wie gegenüber den Länderchefs. Sie wurden von diesem Tage an aus ihrer bisherigen privilegierten Stellung als "Treuhänder des deutschen Volkes" (so der bayerische Ministerpräsident Hans Ehard 1947) allmählich hinausgedrängt. Um sie von der Mitarbeit in Bonn möglichst fernzuhalten, erreichte Adenauer, dass in der Geschäftsordnung des Parlamentarischen Rats das Verhältnis zu den Ländern nicht geregelt wurde. Er wiederum hatte beratende Stimme in allen Ausschüssen und den Vorsitz im Ältestenrat wie in der Leitung der Delegationen, die mit den Militärgouverneuren verhandelten, später auch in den interfraktionellen Fünfer- und Siebenerausschüssen.

Einflussmöglichkeiten

Wichtiger als die repräsentative Seite seines neuen Amts waren für Adenauer die darin liegenden politischen Möglichkeiten, die er ausschöpfte. So oblag ihm der "Geschäftsverkehr" des Rats mit deutschen oder anderen Dienststellen. Dadurch gewann er Zugang zu den Machthabern, den Militärgouverneuren, sowie ihren Verbindungsoffizieren vor Ort. Die nur von Fall zu Fall zu den Beratungen zugezogenen Vertreter der Länder wurden durch ein ständiges "Büro" in Bonn über den Fortgang der Verhandlungen unterrichtet. Mehrfach trafen sich auch Mitglieder des Parlamentarischen Rats mit einigen Regierungschefs der Bundesländer. Er nutzte seine Verbindung zu den Alliierten - die sein Persönlicher Referent und wichtigster Mitarbeiter, Herbert Blankenhorn, auf der "Arbeitsebene" pflegte -, um seine Konzeption über die Rolle Westdeutschlands in einer europäischen Föderation zu entwickeln.

Krise

Die schwerste Krise des Rats entstand nach der Übergabe eines Memorandums der Westmächte am 2. März 1949. Darin forderten sie, unter Verweis auf die Vorgabe der "Frankfurter Dokumente", eine stärker föderalistische Gewichtsverteilung, als sie der Verfassungsentwurf enthielt, den der Hauptausschuss in dritter Lesung verabschiedet hatte. Da wochenlang keine Verständigung gelang, bestand die Gefahr, dass das Grundgesetz am Veto der Siegermächte scheitern würde; denn die SPD war entschlossen, an dem ausgehandelten Kompromiss festzuhalten. Hingegen wollte die Unionsfraktion das Zustandekommen des Grundgesetzes wegen noch so wichtiger Einzelfragen nicht aufs Spiel setzen. Sie hielt angesichts des anhaltenden Kalten Kriegs ein Fortdauern der "bisherigen staatsrechtlichen Zerstückelung Deutschlands" nicht mehr länger für vertretbar.

Am 31. März 1949 scheiterte der erneute Versuch einer Verständigung über die Einziehung und Verwaltung der dem Bund und den Ländern gemeinsam zustehenden Steuern. Die SPD-Fraktion schätzte das Risiko, dass die Machthaber das Grundgesetz ablehnen würden, als gering ein, ging zur "nationalen Opposition" über und verurteilte die Kompromissbereitschaft der CDU/CSU als "unverständliche Kapitulation" vor den Besatzungsmächten. Demgegenüber suchte Adenauer, um keine "Bankrotterklärung der deutschen Demokratie" abgeben zu müssen, eine "Machtprobe" mit den Alliierten zu vermeiden. Er blieb zu Konzessionen bereit, zumal sie den föderalistischen Vorstellungen insbesondere der CSU entgegenkamen. So begrüßte er die Beschlüsse der Washingtoner Konferenz der drei Außenminister vom 8. April 1949, die größere Vollmachten für den künftigen westdeutschen Bundesstaat vorsahen. Die Ankündigung der SPD vom 12. April 1949, mit einem "verkürzten" Verfassungsentwurf entscheidende Änderungen an dem seit acht Monaten beratenen Grundgesetz vorzunehmen, hielt Adenauer für "unfaßbar": Es sei "nicht zu verantworten, die ausgestreckte Hand der Alliierten" auszuschlagen; das Grundgesetz sei nicht mit den "Zehn Geboten" zu vergleichen und Änderungen in naher Zukunft seien "durchaus wahrscheinlich".

Unbeschadet des Nein der SPD begannen in Bonn neue Verhandlungen, da am 25. April 1949 das letzte - entscheidende - Treffen mit den Militärgouverneuren stattfinden sollte. Da kam am 22. April 1949 die überraschende Nachricht, dass die Westmächte eingelenkt hätten, und zwar bereits am 8. April, auf der Konferenz ihrer Außenminister. Sie hatten es jedoch den Militärgouverneuren überlassen, den Parlamentarischen Rat davon zu informieren. Daraufhin bestätigten sich alle Fraktionen, mit Ausnahme der Kommunisten, dass sie sich in ihren Entscheidungen "ausschließlich durch deutsche, von fremden Einflüssen unabhängige Erwägungen bestimmen ließen". Die SPD zog ihren "verkürzten" Grundgesetzentwurf zurück. So konnte in den beiden folgenden Tagen das Verfassungswerk auf der Basis wechselseitiger Kompromisse vollendet werden.

Historische Stunde

Konrad Adnenauer sitzt am Tisch, hinter ihm sitzen noch mehr Personen
Der erste Vorsitzende der CDU in der britischen Besatzungszone, Konrad Adenauer (M), bei einer...

In einer dramatisch verlaufenen Sitzung am 25. April 1949 mit den Militärgouverneuren in Frankfurt gelang es, auch deren Zustimmung zu erreichen. Adenauer sprach von einer "historischen Stunde". Die in Washington vereinbarte Konzessionsbereitschaft der Westalliierten hatten deren Militärgouverneure dem Bonner Rat nicht mitgeteilt, wohl aber General Robertson am 14. April 1949 in Frankfurt einigen SPD-Politikern. Dadurch waren die Unionsvertreter und vor allem Adenauer in eine prekäre Situation geraten. Am 26. April 1949 fiel es ihm vor den Führungsgremien der CDU und CSU in Königswinter nicht leicht, die eigenen "Opfer" für den Verfassungskompromiss zu verteidigen. Anschließend schwieg er drei Monate lang, bis sich die SPD in einem Aufruf zur ersten Bundestagswahl wegen ihrer Haltung am 20. April 1949 gegenüber den Westmächten als Retter Deutschlands bezeichnete. Daraufhin widerlegte der Unionspolitiker bei der Eröffnung des Bundestagswahlkampfs am 21. Juli 1949 in Heidelberg die Legende vom "Nein von Hannover". Er enthüllte, dass Schmid und Walter Menzel über die Konzessionsbereitschaft der Alliierten von britischer Seite vorab informiert gewesen seien und nahm dadurch der SPD das Argument, am 20. April 1949 Deutschland gerettet zu haben.

Beitrag Adenauers zum Grundgesetz

Der entscheidende Beitrag Adenauers bei der Schaffung des Grundgesetzes lag nicht in der Mitwirkung an dessen Ausformung, sondern in seiner Übersicht und erfolgreichen Vermittlungsfähigkeit. Insofern trifft das spätere Urteil von Heuss zu: "Von Adenauer stammt kein Komma" (24. April 1959). Hingegen schaltete sich der Ratspräsident sehr wohl bei einzelnen zentralen Fragen ein, so bei der Wahl des künftigen Bundessitzes, bei der Bestimmung der Zweiten Kammer und beim Wahlrecht. Er hat die Wahl Bonns zum vorläufigen Sitz der Bundesregierung auf unterschiedliche Weise entscheidend beeinflusst, nicht aber den Tagungsort des Parlamentarischen Rats, den die Ministerpräsidenten bestimmt hatten. Dass sich das Plenum am 10. Mai 1949 mit 33:29 Stimmen für Bonn entschied, hat Adenauers spätere Kanzlerschaft wesentlich erleichtert. Nicht erreicht hat er eine Zweite Kammer in Form eines von den Landtagen gewählten Senats. Dessen Mitglieder sollten unabhängig von Weisungen der Länderregierungen sein, also keine "Oberregierungsratskammer" werden. Er befürchtete, dass in einem Bundesrat die SPD die Mehrheit haben werde, zumal wenn eines Tages die "Ostzone und Berlin noch dazukämen". Eine Sicherung des Föderalismus erblickte der Unionspolitiker in einer "richtigen Verteilung" der Kompetenzen und der Finanzen zwischen Bund und Ländern sowie der Erschwerung einer Verfassungsänderung. Unter "lebenskräftigen und lebensfähigen Ländern" verstand Adenauer solche mit einem "Existenzminimum aus eigenem Steueraufkommen". Dass es gleichwohl Ehard und dem SPD-Abgeordneten Menzel am 26. Oktober 1948 gelangen, sich auf den Bundesrat (mit suspensivem Veto) zu verständigen, hat Adenauer nur schwer verwunden. Die dadurch in der eigenen Fraktion ausgelöste, wochenlang anhaltende Krise suchte er durch den Vorschlag eines Dreikammersystems (Unterhaus, Senat und Bundesrat), den er selbst nicht glücklich fand, zu verhindern, musste sich aber schließlich fügen.

Ein Auflösungsrecht für den Bundestag begründete er so: "Ein Parlament, das überhaupt nicht aufgelöst werden kann, bekommt Größenwahn." Adenauer zählte zu den Befürwortern der Flagge Schwarz-Rot-Gold. Nicht durchzusetzen vermochte er eine auch finanziell starke Gemeindeselbstverwaltung und eine Begrenzung des Bundestags auf 250 Abgeordnete. Ebenso misslangen ihm und seiner Fraktion die Einführung des Mehrheitswahlrechts und eine Annahme des Grundgesetzes durch Volksabstimmung. Adenauer gehörte zu den Gegnern der Verankerung eines "Gesetzgebungsnotstands". Seiner Fraktion gelang es nicht, kirchen- und kulturpolitische Garantien (Elternrecht, Schulfragen, Gültigkeit des Reichskonkordats von 1933) durchzusetzen. In den teilweise leidenschaftlich geführten innerfraktionellen Auseinandersetzungen um diese Probleme vermittelte Adenauer erfolgreich auch gegenüber Vertretern beider Kirchen. Mit seiner Fraktion trat er dafür ein, den Schutz der künftigen Bundesrepublik nach außen unter die Zuständigkeit des Bundes aufzunehmen. Dabei blieb jedoch offen, wem dieser Schutz, außer starken Länderpolizeikräften, anvertraut werden sollte. Mit seinen Vorstellungen einer Bundespolizei fand der Unionspolitiker weder bei den Besatzungsmächten noch bei der CSU Anklang. Noch weniger galt das für sein stilles Werben für die Notwendigkeit einer Remilitarisierung. Umso dringlicher erhob er die Forderung nach einer Sicherheitsgarantie der Westmächte für Westdeutschland im Rahmen einer "kollektiven Organisation des Friedens und der Sicherheit".

Ziel: Handlungsfreiheit für die Bundesrepublik

Unterzeichnung des Grundgesetzes
Als Präsident des Parlamentarischen Rats unterzeichnet Konrad Adenauer das Grundgesetz....

Um für das neue Staatswesen so rasch wie möglich eigene, wenn auch vorerst begrenzte Handlungsfreiheit zu gewinnen, war Adenauer zu Vorleistungen und Konzessionen bereit. Gleichzeitig warnte er jedoch davor, das Grundgesetz als Provisorium anzusehen; denn es könne "unter Umständen sehr lange in Geltung" bleiben und müsse folglich "gut" gemacht werden. Bis zum Schluss des Parlamentarischen Rats bestand die Gefahr des Scheiterns seiner Arbeit. Dass sie vermieden werden konnte, ist nicht zuletzt Adenauers „höchst aktiver und elastischer Gegenwärtigkeit" (Heuss) zu verdanken. Er nannte in der Schlusssitzung, nach Annahme des Grundgesetzes, den 9. Mai 1949 den "ersten frohen Tag seit dem Jahre 1933". Sein damaliges Urteil, dass das Grundgesetz "sehr viel besser ist, als man selbst angenommen hat", hat er später allerdings wiederholt relativiert, vor allem wegen der starken Stellung des Bundesrats und des Bundesverfassungsgerichts.

Adenauer selbst gewann dadurch, dass er die Möglichkeiten seines Präsidentenamts ausschöpfte, bedeutenden Prestigezuwachs. Er wurde auch international bekannt und, wie es Carlo Schmid 1969 formuliert hat, für die Öffentlichkeit und für die Besatzungsmächte "zum ersten Mann des zu schaffenden Staates, noch ehe es ihn gab".

Zu Adenauers Arbeit im Parlamentarischen Rat siehe auch den Beitrag im CDU-Portal.

  • Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Akten und Protokolle in 14 Bänden. Hg. vom Bundesarchiv. Berlin 1986–2009.

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