Kennedy-Besuch in West-Berlin

Christine Bach

John F. Kennedy: „Ich bin ein Berliner." – Die Solidaritätsbekundung des US-Präsidenten an die Menschen im geteilten Berlin wird zum Erinnerungsort für die transatlantische Freundschaft und Wertegemeinschaft.

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Kennedys Besuch in der Bundesrepublik

John F. Kennedy, Heinrich Lübke, Konrad Adenauer, Dean Rusk und Gerhard Schröder stehen nebeneinander.
Am 23. Juni vor der Villa Hammerschmidt in Bonn; v.l.n.r.: US-Präsident John F. Kennedy,...

John F. Kennedys Rede vor dem Schöneberger Rathaus am 26. Juni 1963 stellt den Höhepunkt der Reise dar, die den amerikanischen Präsidenten im Rahmen eines Europabesuchs vom 23. bis 26. Juni 1963 in die Bundesrepublik führt. Zweieinhalb Jahre nach der Wahl des 43jährigen Demokraten trägt der Besuch wesentlich dazu bei, Spannungen, die sich in den deutsch-amerikanischen Beziehungen seit 1961 aufgebaut haben, beizulegen und das atlantische Bündnis zu festigen.

Ein Grund für die Spannungen ist in eine strategische Neuausrichtung der Kennedy-Administration: das Abrücken von dem von den Vorgänger-Regierungen gegenüber der Sowjetunion verfolgten Konzept der „Massive Retaliation", das heißt der Androhung eines nuklearen Gegenschlags im Falle von sowjetischen Angriffshandlungen jeder Art, hin zur Strategie der „Flexible Repsonse", also einem abgestuften Vorgehen, das neben nuklearen Abwehrmaßnahmen auch konventionelle Verteidigungsmaßnahmen einschließt. Unter den westlichen Verbündeten und insbesondere in der Bundesrepublik hatte der Strategiewechsel Zweifel über die Haftungsbereitschaft der USA für die Sicherheit der westeuropäischen Verbündeten ausgelöst. Verstärkt worden waren diese durch die zurückhaltende Haltung der USA und Großbritannien nach dem Bau der Berliner Mauer im August 1961. Dass die USA den Mauerbau hinnahmen, hatte in der Bundesrepublik und vor allem in Berlin selbst erhebliche antiamerikanische Kritik ausgelöst. Auch Bundeskanzler Konrad Adenauer ist mit der amerikanischen Haltung, die Berlin- und Deutschlandfrage in eine globale Entspannungsstrategie zu integrieren, nicht einverstanden. Gegenüber der Sowjetunion besteht Adenauer auf einer „Politik der Stärke". Der - wohlbegründeten - Überzeugung des Kanzlers nach bergen Konzessionen jedweder Art an die Sowjetunion die Gefahr, dass die politischen Machthaber dort sie als Einladung verstehen, um ihren politischen Einflussbereich nach Westen, das heißt auf den Westteil Berlins und die Bundesrepublik, auszudehnen.

In den USA blickt man zu Beginn des Jahres 1963 skeptisch auf die durch das Paar Adenauer und de Gaulle verkörperte Annäherung zwischen der Bundesrepublik und Frankreich, die als mögliche „Ablösung des kontinentalen Europa von Amerika" interpretiert wird. Als inmitten der Vorbereitungen zum Abschluss des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags der französische Staatspräsident de Gaulle am 14. Januar 1963 auf einer Pressekonferenz die nukleare Souveränität Frankreichs gegenüber den USA betont, verstärkt sich die Krise der transatlantischen Beziehungen. Inmitten dieser Konstellation ergeht, um ein positives Signal an die Verbündeten jenseits des Atlantiks zu setzen, am 18. Januar 1963 eine Einladung Adenauers an Kennedy zu einem Besuch der Bundesrepublik. Kennedy, der die Chance erkennt, sich im Rahmen einer Visite direkt an die deutsche Bevölkerung zu wenden, nimmt die Einladung bereits am nächsten Tag an. Ein weiteres Motiv für Kennedy mag auch das Ausscheiden Adenauers aus seinem Amt gewesen sein, dass der Bundeskanzler bereits am 7. Dezember 1962 für den Herbst 1963 angekündigt hat. In dieser Perspektive erhält der Kennedy-Besuch auch den Charakter eines Abschiedsbesuchs und einer Würdigung des Älteren.

Köln, Bonn und Frankfurt

Kennedy und Adenauer stehen sich gegenüber und unterhalten sich.
Konrad Adenauer und John F. Kennedy am 26. Juni 1963 im Rathaus Schöneberg.

Bei seiner Ankunft am Flughafen Köln/Bonn am Vormittag des 23. Juni 1963 wird Kennedy von Konrad Adenauer und den versammelten Mitgliedern der Bundesregierung empfangen. Offiziell wird die Visite des US-Präsidenten zwar nicht als Staats-, sondern als bloßer Arbeitsbesuch geführt, dennoch wird Kennedy mit allen Ehren willkommen geheißen. Bei der anschließenden Fahrt im offenen Wagen nach Köln, wo Kennedy und Adenauer gemeinsam im Dom eine Messe feiern, wird der Gast bereits von zehntausenden Schaulustigen mit lauten „Ken-Ne-Dy-Ke-Ne-Dy"- Rufen bejubelt. Bis zum Ende seiner Reise vier Tage später werden die Jubelrufe ein ständiger Begleiter des Präsidenten sein. Den Nachmittag und Abend des 23. Juni sowie den gesamten nächsten Tag verbringt Kennedy in Bonn, wo er Gespräche mit dem Bundeskanzler und dem Bundespräsidenten führt und verschiedene Empfänge zu Ehren des Gastes stattfinden.

Der dritte Reisetag führt den US-Präsidenten nach Hanau, wo er eine Kaserne des US-Militärs besucht. Am Nachmittag des 25. Juni 1963 hält Kennedy in der Frankfurter Paulskirche vor etwa 1000 Zuhörern eine Rede. Als Ort, wo 1848 das erste frei gewählte deutsche Parlament zusammentrat, ist die Paulskirche ein symbolträchtiger und bewusst gewählter Schauplatz. Die Frankfurter Rede Kennedys wird in den folgenden Tagen in der Presse als „visionär" gerühmt, sie ist ein Abgesang auf den Nationalismus. „Die Zukunft des Westens", so Kennedy in der Paulskirche, „beruht auf der Atlantischen Partnerschaft - einem System der Zusammenarbeit, der wechselseitigen Abhängigkeit und der Übereinstimmung zwischen Völkern, die ihre Lasten gemeinsam tragen und ihre Chancen in aller Welt gemeinsam nutzen können. Mancher mag sagen, dass sei lediglich ein Traum, doch ich bin anderer Meinung. Eine ganze Kette großer Leistungen - MarshallplanNATOSchumanplan und Gemeinsamer Markt - drängt uns auf dem Weg zu größerer Einheit immer mehr voran." Als Grundwert des westlichen Bündnisses benennt Kennedy in Frankfurt die Freiheit, die ein universeller Wert ist: „Die Freiheit darf weder amerikanisch noch europäisch, sondern sie muss schlicht und einfach ‚die Freiheit' sein." Hier klingt bereits der Grundton der Politischen Botschaft Kennedys an, der auch in seiner berühmten Rede vor dem Schöneberger Rathaus enthalten ist. Vor Absolventen der American University in Washington hatte Kennedy zwei Wochen zuvor, am 10. Juni 1963, mit Blick auf den universellen Wert des „Friedens" ganz ähnlich formuliert: „Frieden darf nicht nur eine Pax Americana sein. Er muss als globales Ziel aller Nationen angestrebt werden."

„Der Tag Berlins"

Eine Autoparade zieht an vielen jubelnden Menschen vorbei. Im mittleren, offenen Auto sitzen John F. Kennedy und Konrad Adenauer.
John F. Kennedy und Konrad Adenauer in Berlin am 26. Juni 1963.
Adenauer und Kennedy sitzen in einem offenen Auto. Die Menschen am Straßenrand jubeln ihnen zu.
Besuch des US-Präsidenten John F. Kennedy in der Bundesrepublik Deutschland am 23. Juni 1963.

Dass Kennedy im Rahmen seiner Deutschlandreise Berlin besuchen würde, war im Vorfeld nicht unumstritten. Der Charakter Berlins als Schauplatz des Kalten Kriegs und die rechtliche Sonderstellung der Stadt unter dem Viermächtestatus machen jeden Besuch dort zu einem besonderen Politikum. Seit 1945 hatte kein Regierungschef der Westallierten die Stadt mehr besucht. Einige Berater des Präsidenten, darunter sein Bruder Robert F. Kennedy, betonen jedoch den politischen Wert eines solchen Besuchs. Es geht dabei um ein deutliches Zeichen westlichen Zusammenhalts nach der Teilung der Stadt durch den Mauerbau im August 1961. Auch dass de Gaulle bei seinem Deutschlandbesuch im September 1962 Berlin nicht besucht hat, ist ein Argument für eine offizielle Visite Kennedys in der Stadt.

Ein protokollarisches Novum beim Kennedy-Besuch ist, dass der Amerikaner in Berlin offiziell sowohl von Berlins Regierendem Bürgermeister Willy Brandt, als auch von Bundeskanzler Adenauer begrüßt wird. Der Viermächtestatus der Stadt, die staatsrechtlich nicht zur Bundesrepublik zählt, verpflichtet die Bundesregierung hier eigentlich zur Zurückhaltung. Adenauers Anwesenheit in Berlin am 26. Juni unterstreicht jedoch die durch das Völkerrecht legitimierte Haltung der Bundesregierung, dass dem Berliner Senat „eine eigene von der Bundesregierung unabhängige außenpolitische Kompetenz" nicht zukommt. Brandt und Adenauer begleiten Kennedy dann auch auf der Fahrt, die den Präsidenten am 26. Juni in offenem Wagen über eine Streckenlänge von 53 km durch Berlin führt.

Nur acht Stunden verbringt John F. Kennedy am 26. Juni 1963 im Westteil Berlins, in dieser Zeitspanne erlebt der Präsident einen Höhepunkt seiner gesamten politischen Laufbahn. Nach der Landung in Tegel, dem Flughafen, der 1948 für die Durchführung der Luftbrücke gebaut wurde, und der Begrüßung des Präsidenten durch Adenauer, Brandt und den Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses Otto Bach, beginnt eine Fahrt durch Berlin, die von Begeisterungsstürmen der Bevölkerung begleitet wird. Stationen auf Kennedys Route durch Berlin sind das nach dem Krieg neu erbaute Hansaviertel, das „liberale Gegenstück zur Ost-Berliner Stalinallee", das 1957 eingeweihte Amerikahaus und der Ku'Damm. In der Berliner Kongresshalle spricht Kennedy beim 6. Ordentlichen Gewerkschaftstag der IG Bau, Steine und Erden. Danach besucht der Präsident die Berliner Mauer. Von diesem Abschnitt seiner Reise ist kein Wort Kennedys überliefert. Um viertel vor zwölf erreicht der Wagen des Präsidenten den Platz vor dem Brandenburger Tor, dessen Säulen an diesem Tag von der DDR mit Fahnen verhängt wurden. Anschließend macht Kennedy am Checkpoint Charlie, wo sich am 27. Oktober 1961 amerikanische und sowjetische Panzer gefechtsbereit gegenübergestanden hatten, Station. Gegen 13.00 Uhr erreicht Kennedys Wagen die Rückseite des Schöneberger Rathauses, dem Amtssitz des Regierenden Bürgermeisters von Berlin.

Nach einer protokollarischen Pause im Dienstzimmer Willy Brandts treten Kennedy, Adenauer, Brandt und Bach wenige Minuten nach eins vor die begeisterte Menge vor dem Rathaus. Zunächst spricht Bach, dann Adenauer. Doch der Protagonist des Tages ist Kennedy. Unter lauten „Ke-Ne-Dy"- Rufen tritt der Präsident ans Rednerpunkt. Hier geschieht das Unerwartete. In seiner Ansprache hält Kennedy sich nicht an sein bis ins Detail ausgearbeitetes und monatelang vorbereitetes Manuskript, das möglichen diplomatischen Verwicklungen vorbeugen soll. Unter dem Eindruck des direkten Erlebnisses der Unterdrückung und Gewalt an der Berliner Mauer spricht Kennedy nicht, wie ursprünglich geplant, von einer möglichen friedlichen Koexistenz der beiden politischen Systeme. Kennedy klagt den Kommunismus und die kommunistischen Machthaber an: „Die Mauer ist die abscheulichste und stärkste Demonstration für das Versagen des kommunistischen Systems. Die ganze Welt sieht dieses Eingeständnis des Versagens. Wir sind darüber keineswegs glücklich; denn, wie Ihr Regierender Bürgermeister gesagt hat, die Mauer schlägt nicht nur der Geschichte ins Gesicht, sie schlägt der Menschlichkeit ins Gesicht. Durch die Mauer werden Familien getrennt, der Mann von der Frau, der Bruder von der Schwester, und Menschen werden mit Gewalt auseinandergehalten, die zusammen leben wollen." Das Bekenntnis „Ich bin ein Berliner" trägt er am Anfang seiner Rede und am Ende erneut vor. „Alle freien Menschen, wo immer sie leben mögen, sind Bürger dieser Stadt Berlin, und deshalb bin ich als freier Mann stolz darauf, sagen zu können: Ich bin ein Berliner".

Der Satz „Ich bin ein Berliner" geht in die Geschichte ein, weil sich in ihm der historische Augenblick eines deutsch-amerikanischen Gemeinschaftsgefühls verdichtet. Ihr besonderes Gewicht erhält die Berliner Rede Kennedys, weil sie nicht von langer Hand geplant wurde, sondern spontan entsteht, als Ergebnis der Begegnung Kennedys mit Berlin und den Menschen, die ihn feiern. Der politische Erfolg von Kennedys Auftritt in Berlin besteht darin, dass damit die zuvor von Misstrauen geprägten deutsch-amerikanischen Beziehungen auf eine neue, positive, Grundlage gestellt und das transatlantische Bündnis neu legitimiert werden. Verstärkt wird die positive Wirkung dadurch, dass Kennedy mit seinen erst 46 Jahren für die Menschen einen Aufbruch in die politische Zukunft verkörpert. Ihm gegenüber steht mit Adenauer ein Vertreter der Generation, die gerade dabei ist, die Bühne des politischen Geschehens zu verlassen. So symbolisiert der Kennedy-Besuch auch den Übergang von der Nachkriegszeit, der Ära Adenauers, in einen neuen Zeitabschnitt.

Die anschließende Rede Willy Brandts geht im Beifall und weiteren „Ke-Ne-Dy"-Rufen der Menschenmenge vor dem Schöneberger Rathaus beinahe unter. Überraschenderweise feiern die Zuschauer während Brandts Ansprache nicht den Bürgermeister, sondern den Kanzler in einer amerikanisierten Form seines Namens, „Konny", „Konny". Der Tag entwickelt sich damit auch zu einem einen großen Erfolg für den Bundeskanzler, dem die Westberliner oft verübelt haben, dass er im August 1961 erst Tage nach dem Mauerbau die Stadt besucht hat.

Weitere Programmpunkte des Tages sind ein Eintrag Kennedys ins Goldene Buch der Stadt und ein festliches Mittagessen im Schöneberger Rathaus. Am Nachmittag erhält Kennedy das Ehrenbürgerrecht der Freien Universität Berlin, die mit wesentlicher Unterstützung der Amerikaner gegründet und aufgebaut wurde. An der FU hält Kennedy die letzte Rede während seines Deutschlandaufenthalts, er spricht von der Schaffung einer gerechten Weltordnung und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker als universalem Recht. Nach einem kurzen Besuch des Hauptquartiers der amerikanischen Truppen in West-Berlin nimmt die Autokolonne des Präsidenten erneut Fahrt auf zum Flughafen Tegel, wo Adenauer und Brandt zur Verabschiedung des Gastes bereitstehen. Die Abschiedsworte an Kennedy sind dem Bundeskanzler vorbehalten. Um 17:45 Uhr verlässt das Flugzeug des Präsidenten, die Air Force One, Berlin in Richtung Irland.

Besuch John F. Kennedys in der Bundesrepublik Deutschland 1963.

UFA-Wochenschau 361/1963, 28.06.1963

Quelle: Bundesarchiv, Bestand Film: F 001711

Quellen

  • Eckart Conze, Die gaullistische Herausforderung. Die deutsch-französischen Beziehungen in der amerikanischen Europapolitik 1958-1963. München 1995.
  • Andreas W. Daum, Kennedy in Berlin. Politik, Kultur und Emotionen im Kalten Krieg. Paderborn 2003.
  • Reiner Pommerin u.a. (Hg.), Quellen zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen 1917-1963 (Quellen zu den Beziehungen Deutschlands zu seinen Nachbarn im 19. und 20. Jahrhundert, Bd. 2). Darmstadt 1996.

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