Michael W. Krekel
Zwölf Tage lang reiste Konrad Adenauer im April 1953 kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten. Er führte politische Gespräche in Washington, besuchte die Metropolen an Ost- und Westküste und fand schließlich noch Zeit für einen Abstecher in die kanadische Hauptstadt Ottawa. Dieser erste USA-Besuch, dem noch viele folgen sollten, markierte die politische und symbolische Ankunft der Bundesrepublik im Westen. Für den Bundeskanzler war er ein großer diplomatischer Erfolg, der ihm im Wahljahr 1953 auch innenpolitisch gelegen kam.
Es war noch vor Kriegsende: Am 16. März 1945 suchten amerikanische Offiziere den ehemaligen Oberbürgermeister von Köln in seinem Wohnhaus in Rhöndorf auf. Die damaligen Ereignisse sind uns in der Überlieferung Werner Bornheims, genannt Schilling, erhalten geblieben. Bornheim, der nach der Einnahme Kölns Adenauer kurzzeitig als persönlicher Referent zur Seite stand, berichtet, dass zwei amerikanische Offiziere in einem offenen Jeep das Adenauer-Anwesen am Zennigsweg ansteuerten und um Einlass baten. Sie ersuchten den Hausherrn, unter Leitung ihres Stadtkommandanten wieder den Posten des Oberbürgermeisters von Köln zu übernehmen, doch dieser wiegelte ab: Er könne nicht unter der Besatzung erneut Bürgermeister werden, während drei seiner Söhne noch bei der Wehrmacht dienten und so der Sippenhaft ausgesetzt seien.
Adenauers Zurückhaltung wird vor dem Hintergrund des aktuellen Kriegsgeschehens in und um Rhöndorf verständlich: Noch wurde - nur wenige Tage nach der Eroberung der Brücke zu Remagen - auf dem östlichen Rheinufer gekämpft, noch hielten sich oberhalb seines Wohnorts SS-Junker und Mitglieder des Lehrpersonals der HJ-Führerschule verschanzt, die erbitterten Widerstand leisten. Doch die beiden US-Offiziere bedrängten ihn. Auf ihre Frage, was er denn überhaupt wolle, notierte Bornheim den Satz, er, Adenauer, fühle sich vor allem dazu ausersehen, „das deutsche Volk von Grund auf zum Frieden zu erziehen“.
Der frühere Kölner Oberbürgermeister, der damals im 70. Lebensjahr stand, übernahm die Aufgabe. Er erklärte sich bereit, dem amerikanischen Stadtkommandanten in seiner Heimatstadt als Berater zur Verfügung zu stehen und im Hintergrund mitzuarbeiten. Wie es heißt, drängten seine Kräfte, die zwölf Jahre hatten brachliegen müssen, auf Betätigung. Nach seiner Tätigkeit in Köln, die er nach nur wenigen Wochen aufgrund von Differenzen mit der britischen Besatzungsmacht aufgeben musste, begann Adenauers neue, seine zweite Blitzkarriere.
Der Rheinländer Adenauer, der seit seiner Oberbürgermeisterzeit im Ruf stand, vor allem den westlichen Nachbarn Deutschlands, insbesondere Frankreich, emotional näherzustehen, galt nichtsdestoweniger als Bewunderer der Vereinigten Staaten. Er schätzte den Pioniergeist und Pragmatismus der Amerikaner, der das Land im 20. Jahrhundert zur weltweit führenden Wirtschaftsmacht katapultiert hatte, aber auch die Resistenz und Vitalität ihres demokratischen Systems, wie es sich in zwei Weltkriegen bewährt hatte. Sein rationales, situationsbedingtes Abwägen nach 1945 führte ihn unwillkürlich zu der Erkenntnis, dass es ohne den Schutz, ohne die Hilfe und letztlich auch ohne die militärische Präsenz der Amerikaner nicht gehen würde. Mit Beginn des Ost-West-Konflikts 1946, mit der Verkündung der Truman-Doktrin und des Marshall-Plans 1947 und nicht zuletzt mit dem Prager Staatsstreich und der Berlin-Blockade 1948 wuchs in ihm die Überzeugung, dass Westdeutschland, auch Westeuropa, vom bleibenden Engagement der Vereinigten Staaten abhängig war.
Ausgangspunkt seiner Analyse war die Politik der Sowjetunion. Aus dem ihr zugrunde liegenden Menschen- und Geschichtsbild leitete Adenauer einen grundsätzlichen Gegensatz zum Modell einer freiheitlichen, selbstbestimmten Gesellschaft ab, wie es in westlichen Staaten vorherrschte. Die sowjetische Außenpolitik verstand er als expansiv. „Sowjetrusslands Politik erschien mir sehr klar und im Grunde sehr einfach“, schrieb er in seinen Erinnerungen: „Es wollte die Vereinigten Staaten von Amerika aus Europa herausdrängen, um dann Europa zu beherrschen.“ Seiner Überzeugung nach lag der Rückzug der Amerikaner, nicht aber der Zusammenschluss des mittleren und westlichen Teils des europäischen Kontinents im Interesse Russlands. Als sich abzeichnete, dass die US-Soldaten in Deutschland verbleiben würden und die Westeuropäer erste Schritte hin zu einer wechselseitigen Annäherung und Verständigung vollzogen, war es das erklärte Ziel Moskaus, die europäischen Einigungsbemühungen durch eine Neutralisierung Deutschlands zu durchkreuzen und eine Integration der Bundesrepublik in westliche Bündnisstrukturen nach Kräften zu verhindern.
Adenauers Bild von der Sowjetunion, aber auch von den Vereinigten Staaten und ihrer Bedeutung als „Vormacht des Westens“, hatte sich also im Verlauf der Nachkriegsjahre herausgebildet und war bereits gefestigt, als er Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wurde. Ohne Washington, das wurde zu seinem politischen Credo, war an einen wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes nicht zu denken, geschweige denn an eine militärische Sicherung oder eine politische Einigung Westeuropas. Daran arbeitete er.
Für die Beziehungen der Bundesrepublik zu den USA wurde das Jahr 1953 eine Art Epochenzäsur. Es begann, wie der Historiker Michael Lemke formulierte, „unter einer günstigen Konstellation der politischen Gestirne“: Innenpolitisch hatte sich der demokratische Weststaat „trotz verschiedener Turbulenzen“ – gemeint ist Oppositionsführer Kurt Schumachers Vorwurf vom „Kanzler der Alliierten“, der auf Adenauer abzielte und im Bundestag zu Unruhe führte – schneller stabilisiert als von den Deutschen oder auch im Ausland erwartet worden war. Die demokratische Bundesrepublik hatte an Profil gewonnen.
Außenpolitisch war mit der – formalrechtlichen – Beendigung des Kriegszustandes mit den drei Westmächten ein Zustand erreicht, der eine Revision des Besatzungsstatuts ermöglichte. Sie erfolgte im März 1951 und erlaubte der Adenauer-Regierung in Bonn unter anderem, ein Außenministerium und erste diplomatische Missionen im Ausland zu errichten. Anschließend handelte der Kanzler, der in Personalunion auch das Außenministerium leitete, mit den drei westlichen Besatzungsmächten einen „Generalvertrag“, auch Deutschlandvertrag genannt, aus, der im März 1953 mit der Ratifizierung im Bundestag eine erste, bedeutende Hürde nahm. Zugleich waren damit die Weichen gestellt für das wohl wichtigste Vertragswerk der Zeit, das, freilich erst im Mai 1955, mit der Unterzeichnung der Pariser Verträge, Gestalt annahm. Diese sollten der Bundesrepublik die volle Souveränität und die Mitgliedschaft im Nordatlantischen Verteidigungsbündnis bringen.
Im Februar 1953 wurde nach langwierigen Verhandlungen das Londoner Schuldenabkommen unterzeichnet, das die deutschen Auslandsschulden mit 29 Staaten regelte, und im März erfolgte endlich die – auch in der eigenen Partei umstrittene – Ratifizierung des Luxemburger Abkommens mit Israel, auch "Wiedergutmachungsabkommen" genannt. Diese diplomatischen Erfolge steigerten nicht nur die Kreditwürdigkeit und das internationale Ansehen des jungen westdeutschen Staates beträchtlich – sie schienen auch die Richtigkeit der Politik der Adenauer-Regierung zu beweisen. Gerade das Israel-Abkommen hatte eine starke Symbolwirkung, weil sich mit ihm „das neue Deutschland vor den amerikanischen Medien als Argument glaubhafter darstellen“ ließ, wie Hans-Peter Schwarz schrieb.
Im Vorfeld der USA-Visite waren also von der Bundesregierung wichtige Entscheidungen getroffen worden, die auch bei der amerikanischen Administration auf eine positive Resonanz stießen. Indes war das Inkrafttreten des Deutschlandvertrags mit dem Beitritt der Bundesrepublik zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) verknüpft – und hier lag der sprichwörtliche „Hase im Pfeffer“.
Denn auch wenn es Adenauer im Frühjahr 1953 als einen Erfolg seiner Integrationspolitik betrachten konnte, dass es Moskau misslungen war, die Unterzeichnung der Westverträge durch den Deutschen Bundestag zu torpedieren, stand zum einen noch die Ratifikation des EVG-Vertrags durch Frankreich aus. Zum anderen lag seinerzeit auch das sowjetische Angebot einer Viermächtekonferenz der Außenminister auf dem Tisch, über das die Westmächte zu befinden hatten. Da aber der deutsche Außenminister, mithin Adenauer, von einer solch exklusiven Vierer-Konferenz ausgeschlossen bleiben sollte, erwachte im Kanzler erneut ein lange gehegtes Misstrauen: Wollten sich die drei Westalliierten über seinen Kopf hinweg mit den Sowjets zu Lasten der Bundesrepublik arrangieren, vielleicht sogar auf der Basis des Potsdamer Abkommens vom August 1945, das wie ein „Alptraum“ auf ihm lastete? Noch im August 1953, als in der renommierten Wochenzeitschrift TIME eine Titelstory über das neue „Adenauer-Deutschland“ erschien, bekannte der Kanzler, dass ihn ein Alpdruck plagte, nämlich „die Sorge, ja […] teilweise die Furcht, dass unter den vier Siegermächten eine Einigung erfolgen würde auf unserem Rücken, auf Kosten Deutschlands.“
Nichtsdestoweniger standen die Zeichen günstig für einen Besuch in Washington, zumal dort im Januar 1953 eine neue Administration ins Amt gelangt war, die von Weltkriegsgeneral Dwight D. Eisenhower angeführt wurde. Am 5. März war der sowjetische Diktator Stalin verstorben, und wenige Tage danach kündigte der neue Außenminister John Foster Dulles mit den Worten: „Die Eisenhower-Ära beginnt, die Stalin-Ära ist zu Ende“, für die USA ein neues Zeitalter an. Adenauer war also gespannt, mehr über die Ansichten der US-Regierung zum Ost-West-Konflikt und damit verbundene, neue Perspektiven zu erfahren. Seine vordringliche Aufgabe sah er allerdings darin, vertrauensvolle Beziehungen zu der neuen Administration herzustellen und die bilateralen deutsch-amerikanischen Beziehungen zu vertiefen.
Gänzlich unbekannt waren ihm weder Eisenhower noch Dulles. Im Februar 1951 hatte er erstmals den General getroffen, als dieser noch Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte in Europa war, und zwei Jahre danach, am 5. Februar 1953, war es der neue Außenminister, den Adenauer bei dessen Landung auf dem Flughafen Köln-Wahn begrüßen konnte. Schon damals stand zu vermuten, dass es ein Wiedersehen wenige Wochen danach in Washington geben würde. In weiter Ferne lag allerdings noch die Vorstellung, dass sich des Kanzlers Verhältnis zu seinem amerikanischen Counterpart derart erfreulich entwickeln würde, dass es bis zu Dulles’ Tod im Jahre 1959 zu weiteren 14 Begegnungen kommen konnte.
Die Chronisten vermerkten es, und die Historiker sparten nicht mit Lob: Konrad Adenauers zwölftägige USA-Reise im April 1953 war der erste Staatsbesuch eines deutschen Regierungschefs in den Vereinigten Staaten überhaupt – und insofern historisch. Auf die Verlierer des Zweiten Weltkriegs machte sie einen gewaltigen Eindruck, und für den Bundeskanzler wurde sie zu einem persönlichen Triumph. Die Begegnungen mit höchsten Repräsentanten der Regierung in der Hauptstadt, mit Presse- und Wirtschaftsvertretern sowie Vereinen und Verbänden im Land setzten deutliche Zeichen gegenseitigen Vertrauens – und schufen mithin gute Voraussetzungen für Adenauers politische Karriere, die mit dem Wahlsieg vom September 1953 einen weiteren glanzvollen Höhepunkt erfuhr.
Das Programm führte den Kanzler in verschiedene Metropolen der USA: Washington, D.C., San Francisco (mit dem beschaulichen Städtchen Carmel), Chicago, New York und Boston. Zwischenzeitlich wurde kurzerhand ein 22-stündiger Besuch in der kanadischen Hauptstadt Ottawa organisiert, der die mehrere tausend Kilometer lange Tour d’Horizon abrundete. Insgesamt kam es im Rahmen seines Aufenthalts in der „Neuen Welt“ zu einer „nicht abreißenden Kette von Besuchen, Konferenzen, Empfängen und Reden“, wie es der Adenauer-Biograph Paul Weymar formuliert. Hans-Peter Schwarz, der spätere Adenauer-Biograph, erweitert den inhaltlichen Bezugsrahmen der Reise: Neben einem „vollen politischen Programm“ müsse auch Gelegenheit bestehen, der „nimmersatten Neugier“ des Kanzlers „auf alles Fremde und Neue zu frönen“, formulierte er. Dabei dürfe das kulturelle Interesse, insbesondere die Besuche in Bildergalerien nicht außer Acht gelassen werden. Sein Resümee lautet denn auch: Adenauers erster USA-Aufenthalt habe von allem etwas gebracht, und zwar „Politik, Horizonterweiterung, Polit-Tourismus und Wahlpropaganda“.
Der Kanzler wurde von einer Delegation begleitet, zu der unter anderem Adenauer-Tochter Lotte (als „First Lady“), Staatssekretär Walter Hallstein und Protokollchef Hans-Heinrich Herwarth von Bittenfeld vom Auswärtigen Amt sowie der Chef des Bundespresseamts, Felix von Eckardt, zählten. Die Reiseroute führte von Bonn zum französischen Le Havre, von wo aus der Passagierdampfer United States in Richtung New York startete. „Die Überfahrt war äußerst stürmisch“, schrieb der Kanzler in seinen Erinnerungen. Nach Aussage des Kapitäns erreichten die Wogen nach Abflauen des Sturms, der am ersten und zweiten Tag der fünftägigen Schiffsreise wütete, eine Höhe von bis zu vierzehn Metern. Dabei seien „fast alle Mitglieder meiner Begleitung seekrank geworden“, er selbst ausgenommen.
Am Morgen des 6. April erreichte die United States den Hafen von New York, wo die deutsche Reisegruppe mit dem üblichen Sirenentuten und einer Gruppe heimischer Abgeordneter begrüßt wurde. Noch bevor er von Bord gehen konnte, musste sich der Kanzler dem Sperrfeuer von Reportern stellen. Damit schien schon bei der Ankunft die Atmosphäre des Besuchs vorgegeben: Freundliche Begrüßung der deutschen Delegation, konstante Aufmerksamkeit der Medien, gemischt mit einer beträchtlichen Portion Neugier über diesen neuen, freundlichen Deutschen.
Während seines kurzen Aufenthalts in New York bezog Adenauer Quartier im Waldorf-Astoria-Hotel, wo – zum ersten Mal seit dem Krieg – wieder einmal die deutsche Fahne aufgezogen war. Im gleichen Hotel wohnte auch der nun achtzigjährige ehemalige US-Präsident Herbert Hoover, dem der Kanzler einen Besuch abstattete, um sich für die Hilfe, die Hoover nach seinen beiden Deutschlandbesuchen organisiert hatte, zu bedanken: Kinder-, Jugend- und Studentenspeisungen, die zehntausende von jungen Menschen in den Not- und Hungerjahren 1946–1948 vor dem Ärgsten bewahrt hatten.
Noch am Vormittag des ersten Tages besuchte der Kanzler das deutsche Generalkonsulat und das Metropolitan Museum of Modern Art Art (MOMA), und am Nachmittag traf er mit einem „alten“ Freund, dem Industriellen Dannie Heineman in dessen Haus in Greenwich zusammen. Danach begab man sich zu einem Abendessen mit Ex-Hochkommissar John McCloy und anschließend zu einem Empfang im exklusiven Union Club, zu dem McCloy unter anderem John D. Rockefeller, Kardinal Spellman und General Lucius D. Clay eingeladen hatte. Am Morgen des 7. April verließ die Delegation New York, um in einer Sondermaschine des Präsidenten („Columbine“) nach Washington weiterzufliegen. Dort wurde der Kanzler auf dem Flugfeld von Vizepräsident Richard Nixon, Außenminister Dulles und anderen Kabinettsmitgliedern empfangen und zu einer ersten Begegnung mit Präsident Eisenhower ins Weiße Haus chauffiert.
Während seines dreitägigen Aufenthalts in der Hauptstadt wohnte Adenauer im – unmittelbar gegenüber dem Weißen Haus gelegenen – Blair House, dem Gästehaus der US-Regierung. Am Vormittag empfing der US-Präsident den deutschen Gast zu einem ersten, ausführlichen Meinungsaustausch im Oval Office. Selbstverständlich war ihm bekannt, dass Adenauer von den Nationalsozialisten verfolgt worden war. Darüber hinaus begegnete ihm hier der Repräsentant eines neuen Deutschland, der die Westverträge im Bundestag durchgesetzt hatte sowie eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik unterstützte. Andererseits wusste Adenauer, dass Deutschland und Westeuropa keinen idealeren Präsidenten finden konnte als den Weltkriegsgeneral der Jahre 1944/45 und nachfolgenden NATO-Oberbefehlshaber in Paris. Auch war ihm bewusst, dass Eisenhower in einem Schlussbericht über seine dortige Tätigkeit einen militärischen Beitrag der Bundesrepublik zu den Verteidigungsanstrengungen des Westens gefordert hatte, was im Jahr 1953 für die Mehrheit der Deutschen noch unvorstellbar war. Eine Wiederaufrüstung beziehungsweise Remilitarisierung der Bundesrepublik so kurz nach Kriegsende wurde weithin abgelehnt.
Adenauers Anliegen war es zunächst, dem US-Präsidenten gegenüber zwei Botschaften zu übermitteln: dem „amerikanischen Volk“ für die nach dem Krieg geleistete Aufbauhilfe zu danken, und ihm, dem Präsidenten, zu versichern, dass die Bundesrepublik „fest auf der Seite der freien Völker unter Führung der Vereinigten Staaten“ stehe. Wenn der Westen einig sei und an seiner „kraftvollen und konstruktiven Politik“ festhalte, so seine Überzeugung, „[dann] können wir bekommen, was wir wollen, nämlich die Wiedervereinigung Deutschlands, einen Staatsvertrag für Österreich und eine Friedensregelung in Korea und Indochina.“ So jedenfalls vermerkt es das Protokoll über die Besprechung vom 7. April 1953.
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass sich bei den Gesprächen eine auf einer gemeinsamen Wertebasis fußende, breite Übereinstimmung in allen wesentlichen Sachfragen zeigte. Dies wurde auch in weiten Teilen der amerikanischen Öffentlichkeit registriert. Am Abend berichteten Presse und Fernsehen ausführlich über den Kanzlerbesuch, in amerikanischen Kinos – es sollen angeblich 15.000 gewesen sein – wurden dazu entsprechende Aufnahmen ausgestrahlt. Dabei wurde nicht zuletzt auch die auf US-amerikanische Hilfe gestützte Aufbauleistung der Deutschen gewürdigt und das Vertrauen in den jungen westdeutschen Staat gestärkt.
Nach einem Besuch der National Gallery of Art begab sich Adenauer am Abend zur ältesten katholischen (von Jesuiten gegründeten) Universität Amerikas, der Georgetown University, um eine besondere Auszeichnung entgegenzunehmen: Die Verleihung der Ehrendoktorwürde. Die in lateinischer Sprache verfasste Urkunde weist „Conradum Adenauer“ als „Legum Doctorem honoris causa“, also als „Ehrendoktor der Rechte“ aus und wurde vom Rektor der Universität, Pater Edward Bunn, im Rahmen einer Feierstunde übergeben. Der Besuch in Georgetown, der wohl bekanntesten Universität in Washington, diente überdies noch einem anderen Zweck: der Förderung des deutsch-amerikanischen Studentenaustauschs auf der Grundlage von Programmen, die in einem bilateralen Kulturabkommen festgehalten werden sollten. Vor diesem Hintergrund verwies der Kanzler unter anderem auf die beispiellosen Erfolge des Fulbright-Programms, das nun auch amerikanischen Studierenden einen Studienaufenthalt in der Bundesrepublik ermöglichen sollte. 1976 gelang es sogar, an der Georgetown University einen nach Adenauer benannten Lehrstuhl („Konrad Adenauer Chair“) zu etablieren.
Der bewegendste Moment war sicher die Kranzniederlegung am Grab des Unbekannten Soldaten auf dem nationalen Heldenfriedhof in Arlington, Virginia, am 8. April. Adenauer selbst beschrieb seine dortige Visite als den „Höhepunkt meines Aufenthaltes in den Vereinigten Staaten“: „Die amerikanische Administration gestaltete die Kranzniederlegung zu einer überaus eindrucksvollen Zeremonie“, die für die US-Regierung Anlass gewesen sei, „in einer sehr zu Herzen gehenden Weise einen Schlussstrich zu ziehen unter die Jahre der Feindschaft“. Die Eisenhower-Administration habe „vor der ganzen Welt“ zeigen wollen, dass „nunmehr eine Ära der Freundschaft begonnen“ habe, denn „die Bundesrepublik Deutschland [sei] wieder aufgenommen [...] in den Kreis und die Gemeinschaft der freien Völker“.
Einer, der von deutscher Seite dabei war, stimmte in den Chor der Laudatoren ein. Es war der spätere Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Washington, Wilhelm Grewe. Auch er nannte im Rückblick Adenauers erste USA-Reise „ein herausragendes Ereignis“ und hielt des Kanzlers persönliche Reaktion auf dem Heldenfriedhof fest, indem er schrieb: „Adenauer war tief bewegt, als er am Denkmal des unbekannten Soldaten auf dem Nationalfriedhof in Arlington stand und die deutsche Nationalhymne von einer militärischen Ehrengarde gespielt wurde.“ Das war 1987, als Grewe vor britischem Publikum in Oxford die Konrad Adenauer Memorial Lecture hielt.
An den Vormittagen des 8. und des 9. April wurden die Gespräche mit Außenminister Dulles und anderen Regierungsmitgliedern in Washington fortgesetzt. Dabei standen Fragen der Wirtschaftspolitik und des – für die wechselseitigen Beziehungen wichtigen – Außenhandels im Zentrum der Gespräche: Fragen der Zoll- und Tarifschranken, der Erweiterung des Welthandels, der Erreichung einer Konvertierbarkeit der Währungen, das Problem deutscher Vermögenswerte und Warenzeichen, die Rückgabe von 350 kleineren Handelsschiffen aus früherem deutschen Eigentum sowie die Frage der Aufnahme von Verhandlungen über einen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag zwischen beiden Ländern. Für die amerikanische Seite spielte die Thematik des Ost-West-Handels sowie des Exports von strategisch wichtigen Materialien und Rüstungsgütern eine wichtige Rolle. „Wir kamen überein“, so Adenauer im Nachhinein, „zusammen mit anderen Nationen der freien Welt die Lieferung von strategischen Materialien an Nationen zu kontrollieren, deren Politik den Frieden und die Sicherheit der Welt gefährdeten.“
Die diesbezüglichen Ergebnisse wurden in einem Kommuniqué zusammengefasst, das auch den Abschluss eines Kulturabkommens zur Verbesserung des deutsch-amerikanischen Akademiker-, Schüler- und Studentenaustauschs beinhaltete.
Der mittlere Teil der USA-Reise war dem Aufenthalt an der Pazifikküste Kaliforniens und in der Metropole des Mittleren Westens gewidmet. Von dort aus ging es zurück nach New York, dann nach Boston und an die Harvard University, und schließlich – nach einem improvisierten Trip in die kanadische Hauptstadt Ottawa – noch einmal zurück nach Boston. Dabei legte die Delegation angeblich rund 1.600 Kilometer pro Tag zurück.
Es begann mit einem Cross-Country-Langstreckenflug an die Westküste. In San Francisco konnte die Maschine der United Airlines – offenbar wegen eines Schneesturms über Denver – mit einstündiger Verspätung erst nach Mitternacht landen. Am Morgen um 9.30 Uhr fand im dortigen Generalkonsulat programmgemäß eine Pressekonferenz statt, bevor man zusammen mit rund 700 Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft an einem sogenannten Herrenfrühstück im ältesten und größten Club der USA, dem Commonwealth Club, teilnahm. Anschließend konnte die Gruppe im Rahmen einer Stadtrundfahrt die Golden Gate Bridge und weitere Sehenswürdigkeiten besichtigen. Auch der folgende Tag, ein Sonntag, diente der Entspannung. Man verbrachte ihn in der bezaubernden Kleinstadt Carmel bei Monterey, einer der schönsten Orte der Pazifik-Region.
Am 13. April setzte die Delegation ihre Reise mit einem Flug nach Chicago fort. Dort, in der damals zweitgrößten Stadt der USA, besuchte der Kanzler ein weiteres Generalkonsulat, bevor er im Chicago Club vor einer Gruppe von Geschäftsleuten sprach. Im Rahmen des eng getakteten Programms besuchte Adenauer ein weiteres Museum, das Chicago Art Institute, sowie die University of Chicago, wo er einmal mehr ein Stipendienprogramm für ein Studium in Deutschland präsentierte. Am Abend gab es im Germania Club, einer Vereinigung der – in Chicago und Umgebung zahlreich vertretenen – Deutsch-Amerikaner, ein festliches Diner, bevor um 21.30 Uhr der Abend mit einem Wohltätigkeitskonzert eines deutsch-amerikanischen Männerchores ausklang.
Die Rückkehr in die Megacity New York an Tag zehn des USA-Aufenthalts erbrachte zunächst einen Besuch bei der New York Times nebst Mittagessen mit dem – auch dem Bundeskanzler – bekannten Chefredakteur Cyrus Sulzberger. Am Nachmittag sprach Adenauer vor dem einflussreichen Council on Foreign Relations, und am Abend wohnte er in der Carnegie Hall einem Benefiz-Konzert der aus 300 Sängerinnen und Sänger der Groß-New-Yorker Chöre bestehenden Formation „Vereinigten Sänger von New York“ bei, die von den deutsch-amerikanischen Gesellschaften organisiert worden war und deren Einnahmen Flüchtlingskindern und dem Ernst-Reuter-Fonds des International Rescue Committee in Berlin zugutekommen sollten. Das Konzert sowie die Rede des Bundeskanzlers wurden vom US-Radiosender Voice of America aufgenommen und auch in Deutschland ausgestrahlt.
Am 16. April, einem Donnerstag, folgte Adenauer nach einem Gottesdienstbesuch in der privaten Kapelle des New Yorker Kardinals Spellman einer Einladung des Bürgermeisters in die City Hall, dem Rathaus der Stadt. Weitere Termine standen im Rahmen eines vom American Committee for a United Europe veranstalteten Mittagsessens an, dem sich eine weitere Pressekonferenz für die amerikanische und ausländische Presse anschloss. Um 17.30 war Adenauer Ehrengast des deutschen Generalkonsuls Hans Riesser im Waldorf Astoria, wo sieben Jahre danach ein – im doppelten Sinne – einmaliges Treffen mit dem israelischen Staatsgründer David Ben-Gurion stattfinden sollte.
Den vorletzten Tag der Reise verbrachte Adenauer in und bei Boston, wo noch einmal ein dichtes Besuchsprogramm anstand. An der ältesten und wohl bekanntesten Universität der USA, der Harvard University, gab der Kanzler einen weiteren Startschuss für ein Stipendium an einer deutschen Universität und traf mit Austauschstudenten aus der Heimat zusammen. Danach nahm er sich noch einmal Zeit, um zwei Museen zu besichtigen: das Fogg Art Museum, das älteste Kunstmuseum der Hochschule, das Sammlungen europäischer Kunst vom Mittelalter bis hin zur Gegenwart umfasst, sowie das Busch-Reisinger-Museum, das sich der Erforschung und dem kritischen Verständnis der Kunst Deutschlands und deutschsprachiger Länder widmet. Am Abend verzeichnet die Chronik einen – zunächst ungeplanten – „Abstecher“ ins Nachbarland. Eine kanadische Regierungsmaschine brachte die Delegation nach Ottawa, wo der Kanzler erstmals mit hochrangigen Vertretern der Regierung zusammentraf. Den Gesprächen schloss sich ein Abendessen und noch zu später Stunde ein Presseempfang an, der am folgenden Morgen mit der Verleihung des Ehrendoktorats der Universität Ottawa komplettiert wurde. Der Rückflug nach Boston erfolgte am Mittag des 18. April, von wo aus der Kanzler nach einer letzten Dankadresse an die amerikanische Nation die Rückreise antrat. Sie führte ihn unmittelbar nach Hamburg zum Bundesparteitag der CDU.
Als Adenauer am Vormittag des 19. April von seiner Reise zurückkehrte, schlug ihm allseits Jubel entgegen. Die Wochenschauen – noch steckte das Fernsehen in den Kinderschuhen – berichteten von einem „großen Erfolg“ des Kanzlers, über die Reise wurde ein Film gedreht, der noch während des Wahlkampfs fast überall in der Bundesrepublik zu sehen war. Vor allem die Szene auf dem Soldatenfriedhof von Arlington blieb von nachhaltigem Eindruck.
Auch die politischen Auswirkungen der Reise wurden spürbar. Erstmals seit seinem Amtsantritt ermittelten Meinungsumfragen eine breite Zustimmung zur Politik des Kanzlers, die infolge seiner westlichen Integrationspolitik bei vermeintlicher Hintansetzung der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands - Stichwort Stalin-Note vom März 1952 - noch lange umstritten war. Eine Welle der Sympathie, die dem 77-Jährigen entgegenströmte, kam ihm gerade recht, standen doch im Herbst des Jahres Bundestagswahlen an. Dabei war klar, dass es für die CDU nur einen Kanzlerkandidaten gab: den Regierungschef und Außenminister Konrad Adenauer.
Am 31. August 1953 erschien in der Zeitschrift TIME eine Titelstory über die deutschen Wahlen. Auf dem Umschlag prangte eine farbiges Porträt Adenauers, im Hintergrund der schwarze Bundesadler auf schwarz-rot-goldenem Farbstreifen. Die Hauptbotschaft des Heftes lautete: „Die westliche Hälfte Deutschlands ist acht Jahre nach der Götterdämmerung von 1945 auf dem Weg, die mächtigste Nation des Kontinents zu werden, und der Garant dieser Entwicklung ist Adenauer.“
Adenauer, Konrad: Erinnerungen 1945-1963. Stuttgart 1965.
Grewe, Wilhelm G.: Konrad Adenauer and the United States of America. Oxford : Univ. Printing House, 1987. 16 S. (The Konrad Adenauer Memorial Lecture ; 1987).
Köhler, Henning: Adenauer. Eine politische Biographie. Berlin 1994.
Krekel, Michael W.: Aufbruch in die Neue Welt: Konrad Adenauers erster Staatbesuch in den Vereinigten Staaten (6.-18.April 1953). Bad Honnef 1996 (‚Rhöndorfer Hefte‘. Publikationen zur Zeitgeschichte).
Schwabe, Klaus (Hg.): Adenauer und die USA. Bonn 1995 (Rhöndorfer Gespräche Bd. 14).
Schwarz, Hans-Peter: Adenauer. Der Aufstieg 1952–1967. Stuttgart 1991.
Weymar, Paul: Konrad Adenauer. Die autorisierte Biographie. München 1955.
Williams, Charles: Adenauer. Der Staatsmann, der das demokratische Deutschland formte. Biografie. Bergisch Gladbach 2001. (Originalausg. unter dem Titel: Adenauer. The father of the new Germany. London 2000).
Adenauers Politik der Westbindung ruht auf einem atlantischen und einem westeuropäischen Pfeiler. Mit der Westintegration schlägt Adenauer einen völlig neuen Weg deutscher Außenpolitik ein.
Die Pariser Verträge brachten der Bundesrepublik weitgehende Souveränität und regelten ihre Wiederbewaffnung im Rahmen der NATO.
Als Bundeskanzler unternahm Adenauer insgesamt 54 wichtige Auslandsreisen, die Sie hier aufgelistet finden.