* geboren 05.06.1926
in
Berlin-Dahlem
† gestorben 16.11.2016
in
Freiburg im Breisgau
Historiker, Bundesgeschäftsführer der CDU,
Vorsitzender des ZDF-Fernsehrates, Dr. phil., ev.
1946-1951 | Studium der Geschichte und Philosophie in Göttingen und Freiburg |
1951-1952 | Pressereferent im Bundeskanzleramt, Dienststelle Blank |
1953-1956 | Vorsitzender des Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) |
1953-1958 | stellvertretender Bundesgeschäftsführer der CDU |
1958-1970 | Bundesgeschäftsführer der CDU |
1971-1973 | Generalsekretär der CDU |
1965-1980 | MdB |
1962-2002 | Mitglied des ZDF-Fernsehrates |
1992-2002 | Vorsitzender des ZDF-Fernsehrates |
1957-2001 | Vorstandsmitglied der Konrad-Adenauer-Stiftung |
„Mir ist zu allen Zeiten die Sache der Union wichtiger gewesen als die Frage nach Ämtern und Positionen.“
Hans Konrad Ludwig Kraske – so sein vollständiger Geburtsname – kam am 5. Juni 1926 als drittes von sieben Kindern des Kaufmanns Werner Kraske und dessen Ehefrau Ludovika, geborene von Heydebreck, in Berlin-Dahlem auf die Welt. Er wuchs wohlbehütet in großbürgerlichen Verhältnissen auf. In der Rückschau zeigte sich Kraske dankbar für „eine sehr glückliche Kindheit und ein harmonisches Elternhaus“. Im Elternhaus wehte ein Geist protestantischer Pflichterfüllung und liberaler Weltoffenheit – eine Geisteshaltung, die ihn zeitlebens auszeichnete.
Die nationalsozialistische Machtübernahme in Deutschland mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 blieb auch für Kraske nicht folgenlos. Er gehörte einer Generation an, die aufgrund ihres Alters nicht in der Gefahr stand, sich in der Zeit des Nationalsozialismus schuldhaft verstricken zu können, diese Jahre aber noch bewusst miterlebte, insbesondere die Konsequenzen des Nationalsozialismus in Gestalt des Krieges.
Aufgrund der Kriegsentwicklung war es ihm nicht mehr vergönnt, auf dem Lichterfelder Schiller-Gymnasium sein Abitur zu machen. Vielmehr sah er sich gezwungen, seine Reifeprüfung – das sogenannte Notabitur – im Frühjahr 1944 in einer Flakstellung am Rande Berlins abzulegen, wo er als Luftwaffenhelfer eingesetzt war. Auf dem Weg über den Reichsarbeitsdienst begann er am 1. Juli 1944 beim Infanterie-Regiment 9 in Potsdam seine Rekruten-Ausbildung. In den letzten Wochen des Krieges kam er noch als Fahnenjunker-Unteroffizier zum Einsatz, wurde von den Amerikanern gefangen genommen und schließlich an die Franzosen ausgeliefert, die ihn Anfang des Jahres 1946 aus der Kriegsgefangenschaft entließen.
Er kehrte nicht in seine Geburtsstadt Berlin heim, sondern ging nach Freiburg im Breisgau, wo er nach dem Tod des Vaters im Dezember 1945 bei seinem Onkel Hans Kraske, Chefarzt des Krankenhauses im Landkreis Emmendingen, ein neues Zuhause fand. An der Albert-Ludwigs-Universität begann er ein Studium der Geschichte und Philosophie, das er im Herbst 1947 an der Georg-August-Universität in Göttingen fortsetzte. Nach der Rückkehr nach Freiburg 1949 wurde er im Frühjahr 1951 bei dem Sozialhistoriker Clemens Bauer mit einer Arbeit über den „Einfluss der mittelalterlichen Reichsidee auf Luthers historisches Bewusstsein“ zum Doktor der Philosophie promoviert.
Wenige Monate nach seiner Promotion zog es Kraske von Freiburg nach Bonn. In der Bundeshauptstadt übernahm er in der Dienststelle Blank, der Vorgängerinstitution des Bundesministeriums der Verteidigung, das Amt des stellvertretenden Pressesprechers. Diese Möglichkeit des beruflichen Einstiegs verdankte er Axel von dem Bussche-Streithorst, der das Pressereferat in der Dienststelle Blank leitete. Bussche, aktives Mitglied der Widerstandsgruppe des 20. Juli 1944, und Kraske kannten und schätzten sich seit gemeinsamen Göttinger Studententagen. Zu Kraskes Aufgabenbereich gehörten die Betreuung des Bonner Pressekorps und die Anfertigung von Rede-, Aufsatz und Briefentwürfen für Theodor Blank, den Behördenleiter und späteren ersten Bundesminister der Verteidigung.
Daneben schlüpfte er in die „Rolle eines Wanderpredigers in Sachen ‚Wiederbewaffnung‘ “. Die Frage der Wiederbewaffnung stand in den frühen 1950er-Jahren im Zentrum der außen- und sicherheitspolitischen Debatten der Bundesrepublik. Gerade für die Diskussionen mit kirchlichen und politischen Jugendorganisationen war er als Mittzwanziger, der als ganz junger Soldat die Wirren des Krieges noch miterlebt hatte, prädestiniert, um die heranwachsende Generation von der Notwendigkeit eines deutschen Wehrbeitrags mit dem Grundgedanken der Integration in einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und den Reformideen für ein neues innere Gefüge der Streitkräfte zu überzeugen.
Als Kraske feststellen musste, dass die Werte und Ideale, für die er beim Aufbau einer neuen deutschen Armee warb, in der Dienststelle Blank nicht mehr unumstritten waren, zog er die Konsequenzen und bat um seine Entlassung. In seinem Entlassungsgesuch vom 6. Oktober 1952 sprach er von der „bittere(n) Erkenntnis eines zunehmenden Einflusses reaktionärer Kräfte auf die personelle Entwicklung innerhalb der Dienststelle und auf die Vorbereitung der Erziehung künftiger deutscher Soldaten“, die ihn zu diesem Schritt veranlasst habe. Hier zeigte sich ein Wesenszug, der sich wie ein roter Faden durch Kraskes berufliches Leben von Kraske zog: Er hatte nie etwas gegen seine Überzeugung tun können und wollen und stattdessen persönliche Nachteile und ausbleibende Unterstützung auch aus dem Kreis sonst Gleichgesinnter in Kauf genommen.
Mit der Frage der deutschen Wiederbewaffnung war Kraske auch in seiner Funktion als Bundesvorsitzender des Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) befasst. Auf der 3. Bundesdelegiertenversammlung vom 29. Oktober bis 1. November 1953 in Königstein wurde er zum Bundesvorsitzenden des RCDS gewählt. Da er nicht in die innerverbandlichen Auseinandersetzungen der turbulenten Aufbaujahre verwickelt gewesen war, erschien der inzwischen 27-Jährige, der eigentlich kein Student mehr war und nach dem Ausscheiden aus der Dienststelle Blank hauptamtlich in der Bundesgeschäftsstelle der CDU arbeitete, besonders geeignet, den RCDS in ruhigeres Fahrwasser zu führen. In den drei Jahren seiner Amtszeit gelang es ihm, den RCDS organisatorisch wie finanziell zu konsolidieren und die Zusammenarbeit zwischen den Gliederungen dieses Hochschulverbandes zu stärken. Inhaltliche Akzente setzte er mit dem Ausbau der gesamtdeutschen Arbeit und der Intensivierung der Kontakte zu befreundeten ausländischen Studentenverbänden. Maßgeblich war auch sein Beitrag zu der Entschließung, die der RCDS zur Frage der Wiederbewaffnung auf seiner 5. Bundesdelegiertenversammlung Anfang August 1955 in Würzburg verabschiedete. In seinen „Grundsätzen zur Wehrpolitik“ unterstützte dieser Hochschulverband in einer zentralen innenpolitischen Frage der frühen 1950er-Jahre die Politik der von der CDU geführten Bundesregierung. Als Kraske rund ein Jahr später im Oktober 1956 auf der Bundesdelegiertenversammlung in Essen aus dem Amt schied, war der RCDS zum größten politischen Hochschulverband der Bundesrepublik aufgestiegen, verfügte mit der Zeitschrift „Civis“ über ein eigenes Verbandsmagazin und hatte neben der Jungen Union seinen Platz in der CDU-Familie gefunden.
Im Herbst 1956 spielte Kraske als stellvertretender Bundesgeschäftsführer der CDU bereits eine wichtige Rolle innerhalb der christdemokratischen Familie. Während der Studienzeit wurde die CDU für ihn zur politischen Heimat. Ausschlaggebend hierfür war die Faszination des Unionsgedankens – konfessionell wie gesellschaftspolitisch gesehen.
Formell vollzog er den Parteibeitritt erst zum 1. Januar 1953 und damit zu einem Zeitpunkt, als ihm die führenden protestantischen Unionspolitiker Hermann Ehlers und Robert Tillmanns den Weg für ein hauptamtliches Engagement in der CDU geebnet hatten. Die Stelle als Referent für Außen- und Sicherheitspolitik in der Bundesgeschäftsstelle trat er bewusst an, denn es entsprach seiner „Grundüberzeugung, dass zu einer Parteidemokratie auch die hauptamtliche Mitarbeit in eben der Partei gehört“. In hauptamtlichen Mitarbeitern sah er die Grundlage für „ein gutes, solides Management“ der politischen Parteien.
Das Jahr 1953 brachte nicht nur beruflich, sondern auch privat Veränderungen mit sich. Kraske heiratete Gudula Ehrensberger, die ebenfalls aus Berlin stammte und gerade ihr Medizinstudium abgeschlossen hatte. Gudula Kraske war ihrem Mann eine kluge Lebensgefährtin, auf deren Rat vor wichtigen Entscheidungen er nie verzichtete. Aus der Ehe ging die Tochter Claudia hervor, die 1954 geboren wurde, als die CDU Kraske zum Stellvertreter von Bundesgeschäftsführer Bruno Heck berief. Vier Jahre später folgte die Beförderung zum Bundesgeschäftsführer. Heck war 1957 in den Deutschen Bundestag gewählt worden, hatte dort den Vorsitz des Ausschusses für Kulturpolitik und Publizistik übernommen und konzentrierte sich seitdem auf seine parlamentarische Arbeit.
Mit Demut, aber auch mit großer Entschlossenheit trat Kraske die Nachfolge von Heck als Bundesgeschäftsführer der CDU an, wie er seinen Doktorvater Clemens Bauer im Frühjahr 1958 wissen ließ. Er erwartete ein Mehr an Arbeit und „mit der vermehrten Zuständigkeit vermehrten Ärger“. Gleichwohl übernahm er seine neue Aufgabe aus tiefer Überzeugung, denn „wenn man sich einmal einer Sache verschrieben hat, die man für wichtig hält, vermag man sich bei allen stillen Vorbehalten und bei aller inneren Beklommenheit am Ende doch nicht dem Drang zu entziehen, das noch Wichtigere zu tun“.
Als Bundesgeschäftsführer der CDU gehörte er nicht zu den Politikern der ersten Reihe, stand eher im Hintergrund und war „der Mann, der die Arbeit tut“, wie der Journalist Dietrich Schwarzkopf Kraskes Wirken in der Parteizentrale beschrieben hat. 12 Jahre lang fungierte er als Bundesgeschäftsführer unter den Parteivorsitzenden Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger. Die Modernisierung der Wahlkämpfe der Union in den 1960er-Jahren verantwortete Kraske maßgeblich. Daneben trat er als Parteireformer hervor, der wie Franz Meyers, Rainer Barzel oder Josef Hermann Dufhues Ende der 1950er-/Anfang der 1960er-Jahre eine Erneuerung der CDU anmahnte, um die Partei fit zu machen für die Zeit nach Adenauer. „Was für die CDU nottut, ist eine Aktivierung ihrer bestehenden Organe und Institutionen, die Stärkung ihres Selbstbewusstseins als Partei und die Intensivierung des Lebens in der Partei“, forderte er in seiner Analyse zur Bundestagswahl 1961, welche in der Rückschau den Anfang vom Ende der Ära Adenauer markierte.
Nach mehr als einem Jahrzehnt in der Bundesgeschäftsstelle war bei Kraske der Wunsch ausgeprägt, Politik aktiv im Mandat oder auch in der Regierung gestalten zu können. Bei der Bundestagswahl am 19. September 1965 bewarb er sich um ein Mandat als Direktkandidat im Wahlkreis Dinslaken. Er zog als direkt gewählter Abgeordneter in den Deutschen Bundestag ein – ein persönlicher Erfolg für Kraske, denn die CDU blieb in diesem Wahlkreis mit dem Zweitstimmenergebnis hinter der SPD zurück.
Nach der Bundestagswahl von 1969 kündigte er seinen Verzicht auf das Amt des Bundesgeschäftsführers zum 31. März 1970 an, um sich „voll und ganz den Aufgaben im Bundestag“ widmen zu können. Das hieß in der 6. Wahlperiode vor allem die Wahrnehmung des Vorsitzes im Sonderausschuss für Sport und Olympische Spiele.
Diese Aufgabe erfüllte er auch nach dem 5. Oktober 1971, als er auf dem 19. Bundesparteitag der CDU auf Vorschlag des neuen Parteivorsitzenden Rainer Barzel in das Amt des Generalsekretärs gewählt wurde und damit – wie er 20 Jahre später anlässlich des Empfangs der Konrad-Adenauer-Stiftung zu seinem 65. Geburtstag feststellte – „einer der schwierigsten Abschnitte meines Lebens, aber auch einer der forderndsten Abschnitte“ begann.
Kraske war sich bewusst, dass ihn eine „Herkulesarbeit“ erwartete. Der neue Parteivorsitzende verfolgte die Strategie einer vorzeitigen Rückkehr an die Regierung. Gleichzeitig sollte eine grundlegende Parteireform durchgeführt werden. Anfang Januar 1972 legte Kraske ein Arbeitsprogramm vor, das strategische Fragen mit Überlegungen zur künftigen Parteiarbeit verband, ergänzt um „eine Alarmplanung“, damit bei der Bundespartei „im Falle einer vorzeitigen Auflösung des Bundestages sämtliche Vorbereitungen, die überhaupt im Voraus denkbar sind, getroffen sein werden“. Strategisch war Kraske wichtig, dass die CDU eine konstruktive Oppositionspolitik betrieb, also „keine Neinsagerpartei ist, sondern dass sie unserem Lande die positive, die konstruktive, die bessere Alternative bietet“.
Aus diesem Grund warb er im Frühjahr 1972 für eine Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion zu den Ostverträgen im Deutschen Bundestag – auch aus wahltaktischen Gründen, wie er Anfang Mai gegenüber dem Partei- und Fraktionsvorsitzenden Barzel erklärte: „Mit einem Ja der Union wird der Linken die Möglichkeit genommen, ihre gefährliche Friedens- und Entspannungskampagne mit der gleichen emotionalen Wirkung wie bisher fortzufahren. Der außenpolitische Streitstoff wird auf Einzelfragen begrenzt, deren Auswahl weithin von uns bestimmt werden kann. Rechtzeitig vor der nächsten Bundestagswahl können innenpolitische Themen und der Kampf gegen Radikalisierung der Linken in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt werden. So schafft ein Ja der Union – und nur dieses! – optimale Voraussetzungen, bei der nächsten Bundestagswahl eine klare Mehrheit für die CDU/CSU zu gewinnen und damit langfristig eine Außenpolitik nach unseren Prinzipien zu sichern.“
Sein Eintreten für ein Ja zu den Ostverträgen löste heftigen Widerspruch in der in dieser Frage tief zerstrittenen Unionsfraktion aus. Insbesondere im Verhältnis zur CSU waren die Auswirkungen nachhaltig. Bereits Ende Mai 1972 ergab sich – wie Kraske süffisant in seinem Tagebuch festhielt – „die groteske Situation, dass die CSU zu ihrem Parteitag zwar einen Vertreter der sowjetischen Botschaft, aber nicht den Generalsekretär der CDU eingeladen“ hatte.
Bei der Mehrheit seiner Fraktionskollegen drang Kraske mit seinen Argumenten nicht durch. Aufgrund der großen Meinungsunterschiede in dieser Frage konnte sich die CDU/CSU-Fraktion nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner verständigen, und der lautete Stimmenthaltung bei der parlamentarischen Verabschiedung der Ostverträge. Die mangelnde Einigkeit der Unionsparteien in Grundfragen der Deutschland- und Ostpolitik beeinflusste die konzeptionellen Überlegungen des CDU-Generalsekretärs für die Neuwahl des Deutschen Bundestages im November 1972. Der Wechsel von acht Abgeordneten aus dem Regierungslager zur CDU/CSU-Fraktion hatte zu einem parlamentarischen Patt geführt. Die Wiedergewinnung der Stabilität und der inneren Sicherheit standen inhaltlich im Mittelpunkt der Wahlkampfkonzeption der CDU, die Kraske im September 1972 im Bundesvorstand vorstellte. Erstmals traten CDU und CSU bei einer Bundestagswahl mit einem gemeinsamen Regierungsprogramm an, das unter dem Motto „Wir bauen den Fortschritt auf Stabilität“ stand und auf dem 20. Bundesparteitag der CDU Anfang Oktober 1972 in Wiesbaden vorgestellt wurde.
In seinem Rechenschaftsbericht konnte der Generalsekretär auf erste Erfolge der seit dem Saarbrücker Parteitag eingeleiteten Reformmaßnahmen verweisen: Die innerparteiliche Kommunikation hatte sich verbessert und die Finanzlage der Partei stabilisiert. Von der Organisationskommission waren „sehr weittragende Vorschläge zur Straffung der organisatorischen Zuständigkeiten“ gemacht worden, und die Grundsatzkommission unter dem Vorsitz von Richard von Weizsäcker hatte ihre Arbeit aufgenommen. Schließlich durfte sich Kraske über einen Mitgliederzuwachs freuen, „wie ihn die CDU seit ihrer Gründung in den 40er-Jahren nicht mehr erlebt hat“. In Wiesbaden konnte das 400.000ste Mitglied der CDU begrüßt werden, sodass das vom Parteipräsidium für den 31. Dezember 1972 formulierte Ziel bereits Anfang Oktober erreicht war.
Diese Erfolge fanden kaum Beachtung, da der Parteitag ganz im Zeichen des bevorstehenden Bundestagswahlkampfs stand. Die Bundestagswahl vom 19. November 1972 wurde zu einem Plebiszit über die Deutschland- und Ostpolitik der sozial-liberalen Koalition mit ihrem populären Bundeskanzler Willy Brandt an der Spitze. Die SPD konnte 45,8 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen und stellte erstmals die stärkste Fraktion im Deutschen Bundestag. Zusammen mit der FDP, die ihren Stimmenanteil nach mageren 5,8 Prozent bei der Wahl von 1969 auf 8,4 Prozent steigern konnte, verfügte sie über 284 Sitze und damit eine komfortable Mehrheit im Bonner Parlament, in dem die Unionsparteien nur noch mit 234 Abgeordneten vertreten waren. Mit 44,9 Prozent der abgegebenen Stimmen erzielte die Union ihr schlechtestes Ergebnis seit 1953.
Nach dieser bitteren Wahlniederlage stand Kraske als oberster Wahlkampfmanager im Kreuzfeuer der innerparteilichen Kritik. Der hessische CDU-Vorsitzende Alfred Dregger warf ihm in einem Interview mit dem STERN vor, „einen viel zu komplizierten Wahlkampf“ geführt zu haben. Der Generalsekretär stellte sich dieser Kritik und forderte zu „einer schonungslosen Analyse“ des Wahlkampfs auf. Er zeigte sich allerdings „ein wenig betrübt und enttäuscht, wenn Parteifreunde, mit denen man in seinem Leben schon mehr als ein persönliches Wort gesprochen hat, ihre kritischen Bemerkungen zwar einem Journalisten anvertrauen, aber nicht wenigstens im gleichen Augenblick auch einem selbst unmittelbar zugänglich machen“.
Auf der Klausurtagung des Bundesvorstands der CDU am 27./28. Januar 1973 legte er seine Wahlanalyse vor und gestand dabei selbstkritisch ein, „dass es den Unionsparteien nicht gelungen war, ihr weitgehend negatives Erscheinungsbild in allen Fragen von gesellschaftspolitischem Rang zu verbessern“. Zugleich ging er gemeinsam mit Barzel in die Offensive und legte ein Programm zur Aktivierung der Partei vor. Diese Initiative kam freilich zu spät. Seit der Bundestagswahl verfügten der Parteivorsitzende und sein Generalsekretär nicht mehr über die Autorität, dieses Programm zügig umsetzen zu können. Im Gegenteil, die Zeichen standen personell auf Neuanfang. Auf der Klausurtagung kündigte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Helmut Kohl an, auf dem nächsten Bundesparteitag im Herbst 1973 erneut für den Parteivorsitz zu kandidieren. Nachdem Rainer Barzel in der Frage des Beitritts der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen in der CDU/CSU-Fraktion eine Abstimmungsniederlage erlitten hatte und daraufhin nicht nur als Fraktionsvorsitzender zurückgetreten war, sondern auch seinen Verzicht auf den Parteivorsitz erklärt hatte, wurde dieser Parteitag auf den 12. Juni 1973 vorgezogen und Kohl zum neuen Vorsitzenden der CDU Deutschlands gewählt.
Wie von ihm vorher angekündigt, trat Kraske – obwohl 1971 auf dem Parteitag in Saarbrücken auf vier Jahre gewählt – vom Amt des Generalssekretärs zurück, um dem neuen Parteivorsitzenden freie Hand bei der Bestellung seiner engsten Mitarbeiter zu lassen. Er war der Meinung, dass die Bestimmung, wonach der Generalsekretär für bestimmte Zeitperioden gewählt werde, zweifelhaft sei, denn dieses Amt könne nur in enger Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Vorsitzenden wahrgenommen werden. Das bedeute, dass bei veränderten Verhältnissen an der Spitze der Partei auch der auf Vorschlag des Vorsitzenden gewählte Generalsekretär seine Konsequenzen zu ziehen habe.
In seinem Rechenschaftsbericht, den er zum Ende seiner Amtszeit dem 21. Bundesparteitag in Bonn vorlegte, bedauerte er sehr, „dass vieles – ich sage das ganz offen –, was wir uns vorgenommen hatten, unfertig und erst in Umrissen erkennbar ist“. Das Jahr 1972 mit der Bundestagswahl, der Entwicklung, die zu ihrer Vorverlegung geführt habe, und der Auseinandersetzung über Ursachen und Folgen des Wahlergebnisses habe in den zurückliegenden 20 Monaten „eine wirklich kontinuierliche Arbeit“ nur schwer möglich gemacht. Gleichwohl fanden nach Überzeugung des scheidenden Generalsekretärs der neue Vorstand und das neue Präsidium „eine brauchbare Grundlage“ vor. In der Tat durfte sich Kraske zugute schreiben, dass während seiner Amtszeit die Organisation der Partei gestrafft werden konnte und der Weg von der Wähler- zur Mitgliederpartei und zur programmatischen Erneuerung eingeleitet worden war.
Der Schwerpunkt seiner politischen Tätigkeit verlagerte sich zurück in den Deutschen Bundestag, in dem er fortan vor allem das Feld der Verteidigungspolitik beackerte. Die CDU/CSU-Fraktion wählte ihn zu ihrem Sprecher im Verteidigungsausschuss. Damit verbunden war der Vorsitz der Fraktionsarbeitsgruppe Verteidigung. Wegen der Ablehnung des Verteidigungshaushalts durch seine Fraktion legte er diese Ämter im Juni 1977 nieder. Obwohl er in den voraufgegangenen parlamentarischen Beratungen die Zustimmung aus staatspolitischen Erwägungen angekündigt hatte, ordnete er sich bei der Abstimmung über den Verteidigungshaushalt der Fraktionsmehrheit unter, weil es sich bei der Entscheidung über einen Einzelhaushalt „ganz sicher nicht um eine Gewissensfrage“ handle, wie er gegenüber dem Fraktionsvorsitzenden Helmut Kohl erklärte. Gleichwohl sah er sich zu persönlichen Konsequenzen veranlasst, weil „es weder der Glaubwürdigkeit unserer Fraktion nützen, noch meinen eigenen Vorstellungen von angemessenem parlamentarischen Stil entsprechen würde, wenn ich nach der heutigen Entscheidung mein Amt weiterführte als sei nichts geschehen“. Die Fraktionskollegin Dorothee Wilms zollte ihm Hochachtung für seine „politisch wie menschlich gradlinige Haltung“.
Ebenso konsequent handelte Kraske im Juli 1979, nachdem die Unionsfraktion Franz Josef Strauß zum gemeinsamen Kanzlerkandidaten von CDU und CSU für die Bundestagswahl 1980 nominiert hatte. Auf diese Entscheidung reagierte er nicht mit öffentlicher Kritik, sondern mit dem Verzicht auf eine erneute Bewerbung um einen Parlamentssitz. Zwar respektiere er die Nominierung von Strauß, auch wenn sie gegen seine Stimme erfolgt sei. Im kommenden Bundestagswahlkampf reiche es indessen nicht aus, einmal getroffene Entscheidungen zu akzeptieren. Sie müssten vielmehr „mit Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit werbend vertreten“ werden. Da er sich dazu nicht in dem Maße im Stande sah, wie dies „nach (s)einen eigenen Vorstellungen von Solidarität und Loyalität“ erforderlich war, stand er für eine erneute Bundestagskandidatur nicht zur Verfügung.
Mit der Konstituierung des 9. Deutschen Bundestages am 4. November 1980 endete nach 15 Jahren das Mandat von Kraske als Abgeordneter. „Ein politisches Mandat ist ein Auftrag auf Zeit, den ich zurückgebe“, konstatierte er in seinem Resümee. „Ob ich ihn erfüllt habe, können nur meine Freunde in der CDU und letztlich die Wähler beurteilen.“ Er selbst könne über seine Arbeit nur sagen: „Ich habe mich bemüht, meine Pflicht zu tun.“
Auch nach seinem Abschied von der Bonner Bühne blieb er politisch aktiv, vor allem auf die Medienpolitik in Deutschland nahm er Einfluss. Seit der konstituierenden Sitzung am 6. Februar 1962 gehörte er als Vertreter der CDU dem Fernsehrat des Zweiten Deutschen Fernsehens an. Viele Jahre war er Vorsitzender des wichtigen „Richtlinien- und Koordinierungsausschusses“ und arbeitete „ebenso intensiv wie kreativ“ (Dieter Stolte) in den Ausschüssen „Politik und Zeitgeschehen“, „Finanzen, Haushalt und Werbefernsehen“ und „Kabel- und Satellitenfernsehen“ mit. Zudem leitete er den Freundeskreis der der CDU nahestehenden oder angehörenden Mitglieder des Fernsehrates. In diesem Zusammenhang wehrte er sich gegen den Vorwurf einer „Politisierung des Fernsehrates“, schon gar nicht befinde sich das ZDF im „Würgegriff“ der Parteien. Im Gegenteil, die Freundeskreise seien sich ihrer gemeinsamen Verantwortung bewusst, „in der es nicht um rot oder schwarz und um diesen oder jenen Einfluss geht, sondern in der es um den Beitrag geht, den dieses Haus mit seinem Programm für unsere gesamte Gesellschaft zu leisten hat.“
1992 wurde er zum Vorsitzenden des ersten gesamtdeutschen Fernsehrates gewählt – ein bewegender Moment für einen Mann, der die Wiedervereinigung als „das schönste Erlebnis meines politischen Lebens“ bezeichnet hat. Diese Funktion, in der er sich durch einen konsensorientierten Führungsstil auszeichnete, übte er bis zu seinem Ausscheiden aus dem Fernsehrat nach 40-jähriger Mitgliedschaft im Jahr 2002 aus.
In diesen vier Jahrzehnten war ihm das ZDF „zu einer ganz wichtigen Aufgabe“ geworden. Gleiches galt für die Konrad-Adenauer-Stiftung, von der er als „einer meiner treuesten Wegbegleiter“ sprach. Die Gründungs- und Aufbauphase der Stiftung und ihrer Vorläuferorganisationen prägte er maßgeblich mit: als stellvertretender Vorsitzender der „Gesellschaft für christlich-demokratische Bildungsarbeit e.V.“ von 1956 bis 1958, als zweiter Vorsitzender der „Politischen Akademie e.V.“ von 1958 bis 1964 und als Geschäftsführender Vorsitzender der „Konrad-Adenauer-Stiftung für politische Bildung und Studienförderung e.V.“. An allen wesentlichen Entscheidungen jener Jahre wie den Erwerb und die Erweiterung von Schloss Eichholz oder die Gründung des Instituts für Internationale Solidarität der Konrad-Adenauer-Stiftung war er unmittelbar beteiligt. 1968 gab er sein Amt als Geschäftsführender Vorsitzender an Manfred Wörner ab, blieb aber der Stiftungsarbeit als Mitglied des Vorstands bis 2001 aufs Engste verbunden.
Im hohen Alter von 90 Jahren starb Konrad Kraske am 16. November 2016 in Freiburg im Breisgau. In der Schwarzwaldregion hatte er nach dem Abschied aus der Politik sein Zuhause gefunden.
In Erinnerung bleibt ein Mensch mit großem politischem Sachverstand, klar und nüchtern in der Analyse, zugleich aber auch humorvoll und mit einer Portion Selbstironie ausgestattet. Die Kombination dieser Eigenschaften ermöglichte es ihm, in dem politischen Haifischbecken von Bonn nicht nur nicht unterzugehen, sondern als Bundesgeschäftsführer und Generalsekretär der CDU und langjähriges Mitglied des Deutschen Bundestages auch eigene Akzente zu setzen. Konrad Kraske verkörpert „ein großes Stück Parteigeschichte“ (Volker Rühe) – mit all ihren Höhen und Tiefen, die er auch und gerade als Wahlkampfmanager erlebte. Hier die Bundestagswahl von 1965, als die CDU „unter der einfallsreichen Regie“ ihres Bundesgeschäftsführers „einen ihrer besten Wahlkämpfe“ (Hans-Otto Kleinmann) führte und nur knapp die absolute Mehrheit der Sitze im Deutschen Bundestag verfehlte. Dort die Bundestagswahl von 1972, bei der Kraske in seiner Funktion als Generalsekretär eine schwere Niederlage zu verantworten hatte, die die Union „nun definitiv in die Opposition“ (Günter Buchstab) verbannte.
Nachruf der Konrad-Adenauer-Stiftung