* geboren 03.12.1896
in
Perpignan
† gestorben 11.12.1979
in
Bad Honnef
Jurist, Dr. jur., Vizepräsident der Europa-Union, SPD
1914 | Abitur am Stuttgarter Karls-Gymnasium |
1914-1918 | freiwillige Meldung zum Wehrdienst im Ersten Weltkrieg |
1919-1921 | Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Tübingen |
1923 | Promotion in Frankfurt am Main zum Dr. jur. |
1924-1925 | Tätigkeit als niedergelassener Rechtsanwalt in Reutlingen |
1925-1927 | Eintritt in den Justizdienst am Amtsgericht Tübingen als Richter auf Probe, später als Amtsrichter tätig |
1927-1928 | Referent für ausländisches und öffentliches Recht, sowie Völkerrecht am Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin, Teilnahme an Sitzungen des Ständigen Internationalen Gerichtshofes in Den Haag |
1929 | Habilitation in Tübingen |
1930-1940 | Privatdozent für Völkerrecht an der Universität Tübingen |
1940-1944 | eingezogen als juristischer Berater der deutschen Oberfeldkommandantur in Lille, Frankreich |
1945-1947 | Präsident des Staatssekretariats im franz. Besatzungsgebiet Württembergs und Hohenzollerns, gleichzeitig Landesdirektor für Justiz, sowie zeitweise für Kultur, Erziehung und Kunst |
Seit 1946 | Mitglied der SPD |
1946-1950 | Landesvorsitz der SPD in Südwürttemberg |
1946-1953 | Professur für Öffentliches-Recht in Tübingen |
1947-1950 | Stellvertretender Staatspräsident und Justizminister von Württemberg-Hohenzollern |
1947-1973 | Mitglied des Parteivorstandes der SPD |
1948-1949 | SPD-Fraktionsvorsitzender im Parlamentarischen Rat und Vorsitzender des Hauptausschusses, maßgebliche Beteiligung an der Ausarbeitung des Grundgesetzes |
1949-1952 | Vizepräsident der Europa-Union |
1949-1972 | Mitglied des Deutschen Bundestags (1949-1966 u. 1969-1972 Vizepräsident des Deutschen Bundestages) |
1953-1966 | Professur für Politische Wissenschaften an der Universität Frankfurt a. M. |
1955-1972 | Mitglied der Versammlung der Westeuropäischen Union (WEU) in Paris ; (1963-1966 deren Präsident) |
1958-1970 | Mitglied des SPD-Präsidiums |
1959 | Niederlage bei der Wahl zum Bundespräsidenten gegen Heinrich Lübke (CDU) |
Dez. 1966 - Okt. 1969 | Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder unter der Regierung Konrad Adenauers |
1950-1966 u. | |
1969-1973 | Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarates in Straßburg |
1969-1979 | Koordinator der deutsch-französischen Beziehungen |
1970-1974 | Vorstandsmitglied des Deutschen Rats der Europäischen Bewegung |
Unterschiedliche politische Konzepte und geistige Haltungen, Kontroversen und Rivalitäten prägten das Verhältnis des Sozialdemokraten Schmid und des Christdemokraten Adenauer ebenso wie eine wechselseitige persönliche Wertschätzung. Im Parlamentarischen Rat, wo Schmid zu einem der wirkungsmächtigsten Väter des Grundgesetzes avancierte, und in der Außenpolitik der 1950er Jahre kooperierten die ungleichen Männer zwar gelegentlich, aber die konfrontative, wenn auch nie kompromisslos-feindliche Auseinandersetzung überwog. Die Kandidatur Schmids zum Amt des Bundespräsidenten 1959 betrachtete Adenauer als eine die Dominanz der CDU gefährdende Herausforderung.
Der Sohn eines schwäbischen Realschullehrers und einer Französin studierte 1919 bis 1921 Rechtswissenschaft in Tübingen und wurde 1923 an der Universität Frankfurt von Hugo Sinzheimer promoviert. 1927/28 arbeitete er am Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht in Berlin, 1929 habilitierte er sich an der Universität Tübingen. Als Gegner des NS-Regimes wurde ihm nach 1933 eine Berufung auf einen Lehrstuhl für Völkerrecht verwehrt. Seinen Lebensunterhalt verdiente er als Landgerichtsrat in Tübingen, wo er nebenher als Privatdozent Studierende im Fach Völkerrecht unterrichtete. In den Jahren 1940 bis 1944 versuchte er als Kriegsverwaltungsrat in Lille die Last des deutschen Besatzungsregimes zu mildern; zugleich nahm er Kontakt zu Helmuth James Graf von Moltke und dem Kreisauer Kreis auf. Im Juni 1945 übernahm er die Landesdirektion für Kult in Stuttgart; nach der Teilung Württembergs in eine amerikanische und eine französische Zone wurde er im Oktober 1946 mit dem Amt des Regierungschefs in Württemberg-Hohenzollern betraut, zugleich leitete er das Kult- und Justizressort. Nach den Wahlen im Mai 1947 musste er das Staatspräsidentenamt Lorenz Bock überlassen, das Justizressort lag weiterhin in seinen Händen. Im Februar 1946 wählten ihn die Sozialdemokraten Württemberg-Hohenzollerns zu ihrem Vorsitzenden, 1947 gelang der Sprung in den Parteivorstand der SPD , wo er ihren Wandel von einer Klassen- zu einer Volkspartei voranzutreiben versuchte.
Zu einer ersten Begegnung zwischen Schmid und Adenauer kam es nach der Eröffnungssitzung des Parlamentarischen Rates am 1. September 1948, in der Adenauer zu dessen Präsidenten gewählt worden war. In einer Vereinbarung zwischen CDU und SPD hatte der SPD-Fraktionsvorsitzende Schmid im Ausgleich dafür den Vorsitz im Hauptausschuss erhalten. Die SPD-Seite hielt diese Aufgabenverteilung für einen geschickten Schachzug, weil sie davon ausging, dass Schmid im Hauptausschuss dem Grundgesetz einen sozialdemokratischen Stempel aufdrücken könne. Tatsächlich beteiligte sich der Präsident des Parlamentarischen Rates am Ausformulieren des Verfassungstextes so gut wie nicht, er hatte aber privilegierten Zugang zu den Militärgouverneuren, die er für die föderalistischen Pläne der CDU und CSU zu gewinnen suchte. Obwohl Schmid – wie die meisten Mitglieder des Parlamentarischen Rates – dieses Vorgehen missbilligte und er sich obendrein heftiger Attacken von Adenauer ausgesetzt sah, bemühte er sich um eine Beilegung des Streits, um ein Scheitern des Grundgesetzes zu verhindern. Dessen Verabschiedung war auch durch den SPD-Parteivorsitzenden Kurt Schumacher gefährdet, der die föderalistischen Grundsätze der Besatzungsmächte radikal ablehnte. Schmid vermochte es jedoch, dessen politische Absichtserklärungen zu konterkarieren und er fand hierfür zumindest zeitweise auch die Unterstützung Adenauers.
Schmid wollte die verfassungsrechtlichen Grundlagen für ein vereintes Europa, für eine wehrhafte parlamentarische Demokratie und eine aktive Bürgergesellschaft legen. Im Gegensatz zu Adenauer, der in parteipolitischen Kategorien dachte, verstand er Verfassungsschöpfung auch als Bürgerpädagogik. Angesichts der doppelten Hypothek der deutschen Teilung und der Fremdbestimmung durch die Besatzungsmächte vertrat er die Überzeugung, dass zunächst nur ein Provisorium geschaffen werden könne. Adenauer plädierte hingegen für die Schaffung eines starken westdeutschen Staates als Bollwerk gegen den Expansionsdrang der Sowjetunion. Für den Westintegrationskurs des zukünftigen Kanzlers hatte Schmid das rechtliche Gerüst aufgebaut. Adenauer verkannte die exzellenten staats- und völkerrechtlichen Kenntnisse seines Kontrahenten Schmid nicht, meinte aber, dass dieser in die CDU und nicht in die von ihm mit Misstrauen beargwöhnte SPD gehöre.
Nach dem Gang der SPD in die Opposition infolge der verlorengegangen Bundestagswahl 1949 musste sich Schmid, der selbst gern Bundeskanzler geworden wäre, mit dem Amt des Ersten Vizepräsidenten des Bundestages und dem Vorsitz im Auswärtigen Ausschuss begnügen. Adenauer hatte sich Schmid als Ausschussvorsitzenden gewünscht, denn er wie auch die CDU wollten dessen Stellung in der SPD-Fraktion stärken und die Außenpolitik auf eine breite gemeinsame Basis stellen. Adenauers Adlatus Herbert Blankenhorn hatte darüber hinaus den Auftrag, einen guten Draht zu dem außenpolitisch versierten und kompromissbereiten Sozialdemokraten aufzubauen. Kaum hatte sich der außenpolitische Ausschuss konstituiert, klagte der Bundeskanzler jedoch, dass sich der Auswärtige Ausschuss unter Schmid als Auswärtiges Amt etabliere. Adenauers Missachtung des Bundestages, sein Hang zur Geheimniskrämerei in außenpolitischen Fragen ließen nicht nur beim Ausschussvorsitzenden, sondern auch bei Mitgliedern der Regierungsfraktionen Kritik laut werden. Schmid, der im Parlament das Herzstück der Demokratie sah, wollte es nicht hinnehmen, wenn Adenauer die Bundestagsabgeordneten überging oder gar abkanzelte. „Man sollte das Parlament nicht nur für einen Störenfried halten“, ermahnte er den Bundeskanzler bereits Ende September 1949.
Wenn auch viele Abgeordneten der Regierungsfraktionen Schmids Klage über den autoritären Führungsstil Adenauers teilten, so bestand doch schon bald keine Chance mehr für die von Schmid erstrebte Durchsetzung einer gemeinsamen Außenpolitik. Adenauer und Kurt Schumacher fuhren einen radikalen Konfrontationskurs, der Kompromisslösungen nicht zuließ. In der Europapolitik gab es kaum Dissens zwischen Adenauer und Schmid, der dem Regierungschef allenfalls vorwarf, gegenüber den Westalliierten zu nachgiebig zu sein und zu wenig auf das Völkerrecht zu rekurrieren. In wenigen Fällen wie zum Beispiel bei der Neuregelung der Vorkriegsschulden suchte Adenauer dann auch den Rat des sozialdemokratischen Ausschussvorsitzenden.
Die Rücksichtnahme auf den SPD-Parteivorsitzenden führte jedoch zu einem Lavieren Schmids in seinen außenpolitischen Stellungnahmen, sodass er innerhalb der SPD-Fraktion an Rückhalt verlor. Adenauer, der enttäuscht war über Schmids geringes Durchsetzungsvermögen in der SPD-Fraktion, ritt nun auch gegenüber dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses immer heftigere Attacken. So warf er ihm in der Wehrdebatte im Februar 1952 vor, an ihn und andere SPD-Abgeordnete weitergegebene vertrauliche Informationen preisgegeben zu haben, obwohl Schmids Ausführungen nachweislich nur auf Pressemitteilungen beruht hatten.
Rededuellen mit Schmid wich Adenauer gern aus. Am 16. Dezember 1954 trieb Schmid durch gezielte Zwischenfragen den Bundeskanzler so in die Enge, dass er schwer angeschlagen das Rednerpult verließ. Adenauer hatte geleugnet, dass er das eine Europäisierung des Saargebietes vorsehende Saarstatut nur unterschrieben hatte, um die Zustimmung des französischen Ministerrates zum Beitritt der Bundesrepublik zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu erreichen. Da auch die FDP unter Thomas Dehler das Saarstatut ablehnte, befand sich die Koalition nach dem desaströsen Auftritt Adenauers im Bundestag am Rande einer Regierungskrise.
Im Bereich der äußeren Sicherheit war Adenauers Eintreten für eine Mitgliedschaft in der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft bzw. der NATO zukunftsweisender als Schmids Rückgriff auf die Locarno-Verträge als Vorbild für ein zukünftiges kollektives Sicherheitssystem, das die gegenüber der Zwischenkriegszeit gewandelten außenpolitischen Konstellationen unberücksichtigt ließ. Schmid fürchtete jedoch, dass eine Einbindung der Bundesrepublik in ein westliches Verteidigungssystem den Weg zur deutschen Einheit versperre.
Am 16. Juli 1955, zwei Wochen nachdem Adenauer die Einladung der Sowjetunion, zu Gesprächen über die Herstellung diplomatischer Beziehungen nach Moskau zu kommen, angenommen hatte, bat er den nunmehr nur noch stellvertretenden Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses Schmid, als Mitglied der Moskau-Delegation an der Reise teilzunehmen. Dieser sagte spontan zu, was ihm Vorwürfe der SPD-Parteispitze einbrachte, die betonte, dass Schmid nicht als Sprecher der SPD, sondern allein in seiner Eigenschaft als stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses mit nach Moskau fahre. Hinter der Einbeziehung eines Oppositionspolitikers in das Wagnis Moskau-Reise stand das Kalkül des Kanzlers, für ein mögliches Scheitern der Verhandlungen nicht die alleinige Verantwortung tragen zu müssen. Außerdem wollte er verhindern, dass Herbert Wehner, der innerhalb der SPD zum Moskau-Experten avanciert war, sich im Vorfeld der Reise in die Diskussion einmischte. Während er dem Ex-Kommunisten misstraute, schätzte er Schmids Urteil, insbesondere in Völkerrechtsfragen, weiterhin.
Seinen zunächst geäußerten Vorsatz, sich in Moskau für die Wiederherstellung der deutschen Einheit einzusetzen, gab Adenauer schnell auf, da sich die sowjetischen Verhandlungspartner nach Unterzeichnung der Pariser Verträge weigerten, die deutsche Wiedervereinigung zu einem Verhandlungsgegenstand zu machen. Während die Diplomaten des Auswärtigen Amts die von sowjetischer Seite schroff und aufbrausend geführten Verhandlungen am liebsten abgebrochen hätten, waren sich Adenauer und Schmid einig, dass der Preis der Aufnahme diplomatischer Beziehungen gezahlt werden müsse, wollte man die Freilassung der von Moskau noch zurückgehaltenen fast 10 000 Kriegsgefangenen erreichen. Konsens herrschte auch darüber, dass ein solches Abkommen nicht auf die Anerkennung des derzeitigen territorialen Besitzstandes und der DDR als zweiten deutschen Staat hinauslaufen durfte. Adenauer folgte Schmids Vorschlag, in den Text der Vereinbarungen einen Ratifizierungsvorbehalt aufzunehmen, der eine einseitige völkerrechtliche Vorbehaltserklärung hinsichtlich der Oder-Neiße-Linie und der Anerkennung der DDR ermöglichte.
Dass Schmid das Wort ergreifen wollte, sollten die Verhandlungen über die Freilassung der Kriegsgefangenen erneut in ein hitziges Meinungsgefecht ausarten, war ganz im Sinne Adenauers. Stand der deutsche Sozialdemokrat doch allein schon wegen seines Leibesumfangs und seiner Trinkfestigkeit bei dem KPdSU-Chef Nikita Chruschtschow in großem Ansehen. Schmid fand die richtigen Worte. Seinem Eingeständnis der Schuld der Deutschen an den Verbrechen der NS-Diktatur folgte der Appell an die „Großherzigkeit des russischen Volkes“ und das Flehen um Gnade. Zugleich bezeugte er, dass hinter der Bitte um Freilassung der Kriegsgefangenen das „ganze deutsche Volk ohne Unterschied der Parteien“ stand. Adenauer hätte Schmids Rede nicht im Wortlaut in seine „Erinnerungen“ aufgenommen, wenn diese nicht eine große Bedeutung für den Erfolg der Moskau-Reise gehabt hätte. In einer Sondersitzung des Kabinetts bedankte sich der Kanzler bei Schmid, der der „deutschen Sache gedient“ habe, „ohne seine grundsätzliche politische Überzeugung aufzugeben“. In Moskau hatten Adenauer und Schmid eine Art großer Koalition praktiziert. Des Kanzlers Beteuerung, dass die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Sowjetunion „zur Stärkung des Gedankens der Wiedervereinigung Deutschlands“ beigetragen habe, konnte sich sein sozialdemokratischer Kombattant allerdings nicht anschließen.
Die große Übereinstimmung zwischen Adenauer und Schmid in Moskau wich schon bald wieder dem Dissens. Während Schmid in dem von dem polnischen Außenminister Adam Rapacki wie auch dem von dem amerikanischen Diplomaten George F. Kennan entwickelten Plan zur Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa einen Ansatzpunkt sah, um aus dem Teufelskreis des Wettrüstens herauskommen, beargwöhnte der Bundeskanzler diese Vorschläge, weil er fürchtete, die Bundesrepublik könnte durch sie zu einem zweitklassigen Staat degradiert werden. Während Adenauer eine atomare Aufrüstung der Bundeswehr befürwortete, drängte Schmid 1958 die SPD-Fraktion, einen Gesetzentwurf zur Volksbefragung über die Atombewaffnung im Bundestag einzubringen. Wäre sie erfolgreich gewesen, hätte Adenauer seinen außenpolitischen Kurs nicht mehr unverändert fortsetzen können und hätte möglicherweise sogar als Kanzler zurücktreten müssen. Das Scheitern des Gesetzentwurfs war jedoch absehbar gewesen.
Schmid kreidete dem Kanzler an, dass er seine Westpolitik nicht durch eine aktive Ostpolitik ergänzte. 1958 bemühte sich Schmid bei einer Reise durch Polen um eine deutsch-polnische Aussöhnung und rief Adenauer zu Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Polen auf. Die Unabhängigkeit Polens gegenüber Moskau überschätzte er allerdings ebenso wie das Interesse des Kreml an einem militärischen Disengagement, wie er bei einem gemeinsam mit seinem SPD-Fraktionskollegen Fritz Erler geführten Gespräch mit Chruschtschow im Frühjahr 1959 erfahren musste.
Die Aussöhnung mit Israel lag Schmid nicht weniger am Herzen als die mit Polen. Im Frühjahr 1958 und zur Weihnachtszeit 1959 besuchte er Israel und hatte dort auch die Gelegenheit mit Ministerpräsident David Ben Gurion zu sprechen. Nach seiner Rückkehr aus Israel appellierte er an Adenauer, diplomatische Beziehungen mit Israel aufzunehmen. Dieser wich dem Thema jedoch aus Furcht vor der Reaktion arabischer Staaten aus, traf sich aber im Frühjahr 1960 in New York mit Ben Gurion und kam dessen Bitte nach deutscher Wirtschaftshilfe und Waffenlieferungen nach. Schmid verargte dem Kanzler auch, dass er lange Zeit an einem Minister wie Theodor Oberländer festhielt, obwohl selbst das westliche Ausland an dessen brauner Vergangenheit Anstoß nahm.
Am 12. Februar 1959, dem Tag als der amtierender Bundespräsident Theodor Heuss sich entschied, nicht erneut zu kandidieren, nominierten die Führungsgremien der SPD Schmid zum Präsidentschaftskandidaten. Während der protestantisch-norddeutsche Flügel der CDU mit dem Einzug Schmids in die Villa Hammerschmidt liebäugelte, löste die Kandidatur des im Volk und selbst bei CDU-Frauen beliebten Sozialdemokraten bei Adenauer nahezu Panikstimmung aus. Im CDU-Bundesvorstand malte er ein Menetekel an die Wand: „Wenn Carlo Schmid Bundespräsident wird, dann hat er in zwei Jahren die SPD hoffähig gemacht. […] Darum handelt es sich hier um eine Angelegenheit von größter politischer Tragweite.“ Nachdem Adenauer die Nominierung des populären Bundeswirtschaftsministers Ludwig Erhard in der CDU/CSU-Fraktion nicht hatte durchsetzen können, gab er am 7. April seine eigene Kandidatur für das höchste Staatsamt bekannt. Schmid zeigte sich hocherfreut: „Ich rechne es mir zu hoher Ehre, dass die CDU glaubt, nur mit ihrem besten Mann gegen mich bestehen zu können.“
Der Alte aus Rhöndorf merkte schnell, dass er einer Fehlkalkulation aufgesessen war: Er hatte die Kompetenzen, die dem Bundespräsidenten nach dem Grundgesetz zustehen, völlig überschätzt. Er zog seine Präsidentschaftskandidatur zurück. Schmid war sehr enttäuscht, als er erfuhr, dass der farblose Heinrich Lübke sein Gegenkandidat sein sollte. Aufgrund des Parteienproporzes in der Bundesversammlung wurde Lübke am 1. Juli 1959 mit der absoluten Mehrheit der Stimmen gewählt. Nachdem die SPD-Führungsgremien im Vorfeld der Bundestagswahl Willy Brandt Carlo Schmid als Kanzlerkandidaten vorzogen, geriet der wortgewaltige Professor, dessen Kandidatur zum Bundespräsidenten bei Adenauer noch alle Alarmglocken hatte schrillen lassen, ins politische Abseits. Auch der Bundeskanzler verlor nach seinem falschen Taktieren bei der Bundespräsidentenwahl in seiner Partei an Einfluss und Ansehen und war nach der Bundestagwahl 1961 nur noch ein „Kanzler auf Abruf“.
In den 1960er Jahren lieferten sich Schmid und Adenauer keine großen Kontroversen mehr und auch zu politischer Rivalität fehlte nunmehr der Anlass. Beide waren sich einig in ihrem vernichtenden Urteil über Ludwig Erhard. Sie warfen ihm politische Führungslosigkeit vor, die die Bundesrepublik im Ausland in Misskredit gebracht habe. Wechselseitige Konzilianz prägte nun das Verhältnis beider. Wenn Schmid die Glückwünsche der SPD bei runden Geburtstagen Adenauers überbrachte, hörte dieser die lobenden Worte des ihn früher so manches Mal in die Bredouille bringenden Sozialdemokraten mit großer Genugtuung. Schmid war immer sein bevorzugter sozialdemokratischer Ansprechpartner gewesen. Schmid attestierte er, „bürgerlich und frei vom Marxismus“ zu sein, während er die SPD auch nach der Verabschiedung ihres Godesberger Programms auf ihre Rolle als Klassenpartei reduzieren wollte.