Hanns Jürgen Küsters
Ulrike Hospes
Adenauer führte einen Verteidigungskampf zur Bewahrung des Status quo der Westmächte in Berlin und Deutschland - teils gegen anglo-amerikanische Interessen, die elementare traditionelle Positionen ihrer Deutschlandpolitik der 1950er Jahre aufgeben wollten -, um eine sowjetische Kontrolle über ganz Deutschland zu verhindern.
Der Mauerbau in Berlin am 13. August 1961 war Höhepunkt der zweiten Berlin-Krise, die am 10. November 1958 mit Chruschtschows Berlin-Ultimatum begann. Seine Drohung, einen separaten Friedensvertrag mit der DDR abzuschließen, wenn sich die drei Westmächte nicht aus Berlin zurückzögen, warf für Bundeskanzler Adenauer zwei Fragen auf: Werden die drei Westmächte direkte Kontakte mit der DDR einfädeln und ihre langjährige Isolationsstrategie aufgeben? Und: Wie wird das westliche Lager im Falle einer eskalierenden Krise reagieren?
Adenauer zielte auf die Erneuerung der Berlin-Garantie der vier alliierten Mächte. Er wandte sich gegen den Vorschlag, die deutsche Frage als Ganzes zu diskutieren, weil der Westen dann zu Konzessionen gezwungen würde, wenn Verhandlungen unter Druck des Chruschtschow-Ultimatums zustande kämen. Im Dezember 1958 lehnte der NATO-Rat zwar solche Verhandlungen ab; doch konnte die Bundesregierung nicht verhindern, dass im Kommuniqué die Option für Verhandlungen über Berlin und Deutschland offenblieb.
Anfang 1959 schien Adenauer zeitweise bereit, die De-facto-Anerkennung der DDR hinzunehmen. In seinen Augen barg die Genfer Außenministerkonferenz der Vier Mächte das Risiko eines Interimsabkommens, durch das der Viermächte-Status Berlins abgeschafft und der Weg West-Berlins zum Status einer Freien Stadt geebnet würde. Das Scheitern der Konferenz im August 1959 verbesserte Adenauers Position für kurze Zeit in mehrfacher Hinsicht. Das sowjetische Ultimatum war ausgesetzt worden, der Berlin-Status unverändert geblieben und die Kriseneskalation fürs Erste abgewendet. Gegen den Druck Eisenhowers und Macmillans unterstützte de Gaulle im Dezember 1959 die Linie des Bundeskanzlers. Er beharrte auf der Verknüpfung von Berlin- und Abrüstungsfragen und plädierte für die Beibehaltung des Viermächte-Status.
Im Jahre 1960 erwartete Adenauer nicht, dass Ulbricht bei Chruschtschow Rückendeckung für einen Schlag gegen Berlin erhalten werde. Alarmierender klangen dagegen Hinweise aus Moskau, während des Jahres 1961 werde Chruschtschow eine Entscheidung in der deutschen Frage treffen.
Nach der amerikanischen Präsidentschaftswahl im November 1960 rechnete Adenauer mit steigenden Spannungen in Berlin. Daher bedurfte es amerikanischer Schutzgarantien, um die der Bundeskanzler beim ersten Zusammentreffen mit Kennedy im April 1961 in Washington (D.C.) warb. Kennedys Neigung zu einem Kurswechsel in der Berlin-Frage wurde durch die Ankündigung der sogenannten drei „Essentials" - Anwesenheit westalliierter Streitkräfte in Berlin, ihr ungehindertes Zugangsrecht dorthin und Garantie der Sicherheit und Freiheit der West-Berliner - deutlich. Adenauer sah darin die Bereitschaft der Vereinigten Staaten, den Druck auf Bonn zu erhöhen. Denn er war nicht über die Pläne der Westmächte informiert, die sie für den Fall eines Angriffs auf Berlin diskutierten. Erst am 21. Juli 1961, also wenige Tage vor dem Höhepunkt der Berlin-Krise, erlaubten die Amerikaner dem bundesdeutschen Botschafter Grewe, an den Sitzungen der Washingtoner Arbeitsgruppe für die Notfallplanung teilzunehmen. Doch erhielt die Bundesregierung keine genaue Kenntnis über die Zahl der in der Bundesrepublik stationierten Nuklearsprengköpfe, die im Kriegsfall zum Einsatz kommen könnten.
Als Ende Juli 1961 Franz Josef Strauß mit dem amerikanischen Sicherheitsexperten Paul Nitze mögliche militärische Reaktionen im Falle einer sowjetischen Berlin-Blockade diskutierte, stimmten sie überein, als Test der Kriegsbereitschaft Chruschtschows einen Probeangriff auf die Transit-Autobahnen nach West-Berlin zu wagen. Am 3. August berichtete Strauß dem Bundeskanzler in Cadenabbia über die amerikanische Einsatzbereitschaft, falls die Bundesrepublik sich beteilige. Strauß sprach sich für den Einsatz von drei Divisionen aus, die bis zum Jahresende aufgestellt sein müssten. Angesichts der konventionellen Unterlegenheit würden die Westmächte unweigerlich mit der Alternative konfrontiert, einen atomaren Gegenschlag zu riskieren; andernfalls würden sie eine diplomatische Niederlage erleiden. Adenauer sprach sich gegen sofortige Maßnahmen für den militärischen Notfall aus. Dies sollte ihn am 13. August 1961 in eine geschwächte Position bringen, da er nun seinerseits von den Westalliierten keine (militärische) Gegenwehr einfordern konnte.
Versorgungsschwierigkeiten ließen den Flüchtlingsstrom aus der DDR dramatisch anschwellen; insbesondere Fachkräfte fehlten zunehmend. In Berlin (West) und der Bundesrepublik Deutschland beantragten allein vom 10. bis 16. Juli 4.770 Deutsche aus der DDR die Notaufnahme. Zwischen dem 5. und 8. August meldeten sich wiederum 5.009 Flüchtlinge. Dennoch: Die Abriegelung und der Beginn des Mauerbaus in Berlin in der Nacht auf den 13. August trafen die Bundesregierung und den Senat von Berlin ohne nachrichtendienstliche Vorwarnungen, obgleich jedermann Maßnahmen der DDR zur Eindämmung der Fluchtbewegungen erwartete. Der Regierende Bürgermeister Willy Brandt wurde am nächsten Tag erstmals vom Bundesnachrichtendienst informiert. Einen Direktkontakt zwischen Bundeskanzler und Regierendem Bürgermeister gab es an diesem Sonntag nicht. Außenminister Heinrich von Brentano teilte Brandt abends lediglich telefonisch mit, man müsse „eng zusammenarbeiten." Der Brief von Willy Brandt an Präsident Kennedy vom 18. August sorgte dann auch für einige Unruhe und Verärgerung. Ungeachtet der moralischen Verantwortung der Bundesregierung gegenüber Berlin und ohne Abstimmung mit Bonn erinnerte Brandt die USA an ihre Wahrnehmung des Viermächte-Status der Stadt.
Neue Deutsche Wochenschau 604/1961, 25.08.1961, Quelle: Bundesarchiv, Bestand Film: F 001711
Es war Wahlkampf! Am 17. September 1961 standen Wahlen zum Deutschen Bundestag an. Seit Brandts Nominierung zum Kanzlerkandidaten der SPD am 25. November 1960 begegneten sich der Bundeskanzler und sein Herausforderer sehr distanziert. Das in Adenauers Augen ehemals politische Leichtgewicht entwickelte sich zu einem Konkurrenten, der als Vertreter des rechten SPD-Flügels bei der eigenen CDU/CSU-Wählerklientel sehr wohl gefährlich werden konnte. Das Wahlkampfkonzept der Christdemokraten zielte auf personelle Polarisierung. Die Vorwürfe umfassten die Emigration nach Norwegen und fehlendes Nationalgefühl, den Namenswechsel (geb. „Frahm") und Brandts politischen Richtungswandel vom radikalen sozialistischen Jungrebell zum gemäßigten Sozialdemokraten. Der Wahlkampf wurde bereits vor dem Bau der Berliner Mauer härter: Am 12. August setzte Brandt in Nürnberg auf Angriff; er wollte den „alten Greis", „zum Denkmal erstarrt", vom Sockel stoßen. Dem nach Beginn der Absperrmaßnahmen unter Druck stehenden Adenauer entfuhr bei seinem Wahlkampfauftritt am 14. August in Regensburg die Entgleisung „Herr Brandt alias Frahm". Meinungsumfragen zeigen, dass diese Angriffe Adenauer Sympathien in der Bevölkerung kosteten. Wahlkampf anstelle eines entschlossenen gemeinsamen Auftretens bei der Bewältigung der Berlin-Krise? Das war von der Öffentlichkeit nicht gewünscht. Auch ein Schreiben an Brandt vom 31. August enthielt kein Zeichen des Bedauerns. Die Rollen in der Berlin-Frage waren klar verteilt und spitzten sich im Wahlkampf zu: der handelnde Regierende Bürgermeister gegen den zaudernden Bundeskanzler.
In Erinnerung ist zu rufen: Deutschland war bei Fragen, die es als Ganzes betrafen, nicht souverän. Bereits für den Hin- und Rückflug nach Berlin steckte Adenauer in der Falle: Selbst hierfür war er auf die Zustimmung der Westalliierten angewiesen. Bei einer Abriegelung wäre West-Berlin wie bei der Berlin-Blockade 1948/49 einmal mehr auf die Hilfe der Westmächte angewiesen gewesen. Welche konkreten Schutzmaßnahmen hätte der Bundeskanzler fordern sollen?
Als Adenauer am 13. August, Sonntagmorgen um 7 Uhr über die Maßnahmen der DDR an der Sektorengrenze informiert wurde, waren seine Berater - Staatssekretär Hans Globke, der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion Heinrich Krone und der Leiter der außenpolitischen Abteilung im Kanzleramt Horst Osterheld - geteilter Meinung, ob der Kanzler nach Berlin fahren solle. Eines war eindeutig notwendig: Ruhe bewahren. Jedes „falsche" Wort des Bundeskanzlers hätte einen Aufruhr auslösen können. Adenauer wollte die militärische Konfrontation vermeiden, um deutsche Soldaten in einem Bruderkrieg nicht aufeinander schießen zu lassen. Dieser Haltung entsprach Adenauers am Nachmittag abgegebene Erklärung.
Die Strategie des begrenzten Konflikts zeigte sich in den ersten Reaktionen der Westmächte. US-Außenminister Dean Rusk kommentierte am selben Tag die Absperrmaßnahmen als einen Vorgang innerhalb des sowjetischen Machtbereichs. Die verbrieften Positionen der Alliierten in West-Berlin bzw. deren Zugangswege blieben unberührt. Erst am 15. August folgte der erste koordinierte formelle Schritt - Protestnoten der westlichen Stadtkommandanten an ihren sowjetischen Kollegen. Eine Forderung nach Rücknahme der Maßnahmen beinhalteten sie nicht. Diese war auch nicht Gegenstand der schließlich am 16. August von den Westmächten überreichten Protestnoten an die sowjetische Regierung.
Die Abriegelung des Ostsektors wurde zunächst als Beginn von weitergehenden Maßnahmen gesehen. Die Regierungen in Washington und London wollten der Sowjetunion mit ihrem Verhalten keinen Vorwand für das Schließen der Zufahrtswege oder weitere Blockademaßnahmen geben. Drei bis sechs sowjetische und DDR-Divisionen waren um Berlin stationiert. Sie dienten sowohl der Abschreckung der Bevölkerung als auch der Westmächte. In der explosiven Stimmungslage durfte keine Dramatisierung, kein zweiter Volksaufstand wie am 17. Juni 1953 stattfinden. Wäre es zu einer Revolte oder zu einem Überschwappen der Unruhen nach West-Berlin gekommen und die Westalliierten hätten (ein zweites Mal) nicht eingegriffen, wäre das Vertrauen seitens der Westdeutschen und insbesondere der West-Berliner vermutlich noch mehr erschüttert gewesen als bei der Untätigkeit nach dem Mauerbau. Die in Wahlkampfreden viel gerühmte Verlässlichkeit wäre in Frage gestellt worden, sie war aber Basis für die Westpolitik des Bundeskanzlers.
Die Endgültigkeit der Absperrmaßnahmen vom 13. August wurde erst in der Nacht vom Donnerstag auf Freitag deutlich: Am Potsdamer Platz wurden die ersten Steine gesetzt. Mitten im Wahlkampf war es nicht möglich, beide Wünsche der Bevölkerung zu erfüllen: den Frieden zu erhalten und mit deutlicher Gegenwehr (Gewalt?) zu antworten. In Wahlkampfreden drohte Adenauer lediglich mit wirtschaftlichen Sanktionen gegenüber dem Ostblock wie bereits am 11. und 12. August in Kiel und Lübeck. Er wiederholte die Warnung am 14. August in Regensburg, betonte jedoch vier Tage später in Essen die Notwendigkeit von Ost-West-Verhandlungen. Gleichzeitig prophezeite er: „Nicht Betonpfeiler und Stacheldraht machen Weltgeschichte - das Selbstbestimmungsrecht hat seinen Siegeszug in der ganzen Welt angetreten. Was den Völkern Afrikas zugestanden wurde, kann dem Volk im Herzen Europas auf Dauer nicht verwehrt werden." Am 16. August nahm Adenauer in Bonn die Verbündeten und deren abwartende Haltung in Schutz. In der Sondersitzung des Deutschen Bundestages am 18. August wiederholte Heinrich Krone die Warnung, aus einer Krise, die in Wahrheit eine des Kommunismus auf deutschem Boden sei, eine Krise des Vertrauens zu dem Atlantischen Bündnis zu machen. Gerade weil die Gefahren unabsehbar seien, sei jeder Anschein deutscher oder westlicher Unbesonnenheit zu vermeiden.
Nach einem Treffen mit US-Vizepräsident Lyndon B. Johnson urteilte Adenauer in seiner Fernsehansprache am 19. August scharf: „Was das Ulbrichtregime mit Billigung der Warschauer Paktmächte am 13. August durchführte, das war ein Bruch von Vereinbarungen und Abkommen, eine Verletzung des Viermächte-Status, ein brutaler Akt gegen unsere Brüder und Schwestern in der Zone und im Ostsektor, ein Angriff auf die Freiheit schlechthin. Es war aber auch (...) eine Bankrott-Erklärung ersten Ranges für die Machthaber in der Zone." Wiederum warnte er vor einer Vertrauenskrise und damit Schwächung des Westblocks: „Das Bündnis der freien Welt hat uns bisher die Sicherheit und die Freiheit erhalten."
Zu der verfahrenen Situation kam hinzu, dass der Besuch von US-Vizepräsident Johnson und General Lucius D. Clay, der Symbolfigur der Luftbrücke, am 19. August Adenauer keinen Weg aus dem Dilemma bot. Der große Auftritt an der Seite des Verbündeten wurde dem Gastgeber Willy Brandt zugestanden. Der Bundeskanzler hatte zwar in Bonn zuerst mit Johnson geredet, reiste aber erst nach dessen Abflug am 22./23. August nach Berlin.
Nach dem 13. August 1961 war Adenauer um eine Deeskalation der Krise bemüht. Da die Sowjetunion Übergriffe auf das Gebiet West-Berlins vermied und ihre Einflusssphäre auf die DDR und Ost-Berlin zu beschränken gedachte - das jedenfalls konnte Adenauer dem Gespräch mit dem sowjetischen Botschafter Smirnov am 16. August 1961 entnehmen -, waren weder die Westmächte noch der Bundeskanzler bereit, wegen Berlin einen Nuklearkrieg zu riskieren. Die ausbleibenden Reaktionen aus Washington, London und Paris sowie das weitgehend stillschweigende Dulden des Vorgehens der anderen Seite bestärkten Adenauer wohl in der Einsicht, außer beruhigenden Worten selbst wenig ausrichten zu können. Am 7. September kamen Adenauer und General Lauris Norstad zwar überein, der Einsatz militärischer Mittel zur Wahrung der Zugangsrechte der Westalliierten nach Berlin könne gegebenenfalls nicht nur auf konventionelle Waffen begrenzt werden. In Bonn erkannte man aber sehr bald, dass keine der drei Westmächte militärische Maßnahmen ergreifen, geschweige denn um Berlin einen Krieg führen wollte.
Im September 1961 forderte der sowjetische Außenminister Gromyko die De-jure-Anerkennung der DDR und der Oder-Neiße-Linie, eine Vereinbarung über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen und einen Nichtangriffspakt. Kennedy schloss sich dem an und bat Adenauer um erneuten Verzicht auf Nuklearwaffen, was dem Präsidenten die Tür zu Verhandlungen über einen Nichtweiterverbreitungsvertrag mit Moskau öffnete. Adenauer beharrte auf der Verantwortung der Westmächte für die Wiedervereinigung, wies Konzessionen in der Oder-Neiße-Frage zurück und stellte diplomatische Beziehungen mit Polen in Aussicht, vorausgesetzt, die Grenzfrage bliebe bis zu Friedensvertragsverhandlungen offen.
Für Adenauer sollte freie Selbstbestimmung aller Deutschen in einem friedlichen Europa die Einheit bringen.
Das politische Ziel der deutschen Wiedervereinigung gibt Adenauer niemals auf. Fest im Westen verankert geht er aber ab Mitte der 1950er Jahre auch auf den Osten zu.
„Ich bin ein Berliner." – Die Solidaritätsbekundung John F. Kennedys an die Menschen im geteilten Berlin wurde zum Erinnerungsort für die transatlantische Freundschaft.
Die Bundesregierung beanspruchte für die Bundesrepublik das Recht, bis zur Einheit die alleinige legitimierte staatliche Organisation des deutschen Volkes zu sein.
Die sowjetische Armee schlug am 17. Juni 1953 gewaltsam den Aufstand der freiheitssuchenden Bevölkerung in der DDR nieder.
Bei Adenauers Moskaureise wurde die Aufnahme diplomatischer Beziehungen gegen Freilassung der restlichen rund 10 000 deutschen Kriegsgefangenen beschlossen.
Die Hallstein-Doktrin bedeutete, dass die Bundesregierung es als einen „unfreundlichen Akt“ betrachtete, wenn dritte Staaten die DDR völkerrechtlich anerkannten.
Der sogenannte Globke-Plan verband den Vorschlag der Anerkennung der DDR mit freien Wahlen in der DDR und einer Volksabstimmung über die Wiedervereinigung.